Italienische Gastarbeiter waren die ersten Europäer

Er wollte dem Leben als Schafhirte und Landarbeiter in Apulien entfliehen. Trotzdem begann die Karriere als Gastarbeiter in Deutschland wieder mit der Arbeit auf einem Bauernhof. Seine Abreise liegt nun 67 Jahre zurück. Heute ist Lorenzo Annese 88 Jahre alt. In seinem großzügigen Haus mit Garten in der Nähe von Wolfsburg macht der erste italienische Volkswagen-Mitarbeiter einen rundum zufriedenen Eindruck.

Die harten Zeiten der Anfänge beschreibt er mit Gelassenheit: „Damals, 1958, betrug der Monatslohn auf dem Bauernhof in Deutschland 180 D-Mark, das waren damals 27.000 Lire. Die konnte ich in Italien für zwei Monate Arbeit bekommen, doch dort musste man dem Geld immer hinterherlaufen, weil die Bauern mit immer neuen Ausreden auf die Zukunft vertrösteten.“

Das Leben auf dem Bauernhof in Bokensdorf war dennoch entbehrungsreich. Geschlafen hat er in einem Wirtschaftsgebäude des Hofes. Es gab kein Badezimmer, als Toilette ein Holzhäuschen hinter dem Gebäude. Doch einen neuen Arbeitgeber zu suchen, war kaum möglich: Annese war auf der Grundlage des deutsch-italienischen Anwerbeabkommens von 1955 nach Deutschland gekommen und dabei einem Arbeitgeber zugeteilt.

Lorenzo Annese hat seine Stelle in der Autoindustrie durch einen gewitzten Trick erhalten.
Lorenzo Annese hat seine Stelle in der Autoindustrie durch einen gewitzten Trick erhalten.Anjou Vartmann

Der strenge Beamte im Arbeitsamt, der für Annese und seinen Arbeitsaufenthalt in Deutschland zuständig war, drohte beim Wechsel des Arbeitsplatzes mit Konsequenzen: Zumindest müssten die Kosten von 62 D-Mark für Anwerbung und Fahrtkosten an den Arbeitgeber zurückerstattet werden, also mehr als ein Wochenlohn. Annese kam los vom Bauernhof, als sich ein frischer Zuwanderer aus Italien fand, der ihn ersetzte.

Vom darauf folgenden Arbeitsplatz finden sich noch Spuren. Sein Keller ähnelt einem Museum – mit Stockbetten, Esstisch und portablen Kochplatten, daneben die Bimssteine von 20 oder 30 Kilogramm, die Annese damals bewegen musste. Je nach Gewicht habe der Akkordlohn ein Pfennig oder 1,5 Pfennige für jeden Stein betragen, der vom Fließband genommen oder auf Lastwagen geladen wurde.

„Für die zwei Mark, die eine Minute Telefonieren nach Italien kostete, musste ich 200 Steine schleppen“, sagt er. Klar, dass so kein enger Kontakt in die Heimat möglich war. Trotz harter Arbeitsbedingungen wollte er allerdings nicht aufgeben und in die Heimat zurückkehren. Sonst hätten die Nachbarn spöttisch gesagt: „Der Amerikaner ist zurück.“ Und überhaupt hatte sich Annese nach den Arbeitserfahrungen zu Hause geschworen, nie mehr in den Heimatort Alberobello zurückzukehren.

VW war seine dritte Station: Lorenzo Annese nahm an einer Führung durch das Werk teil, verließ unbemerkt die Besuchergruppe, ging zur Personalabteilung und fragte forsch nach dem „Direktor“. Nachdem er länger insistiert hatte, wurde dieser gerufen. Er fand die Vorgehensweise gewitzt und ebnete Annese den Weg zur Einstellung im August 1961, mit mehr als verdoppeltem Lohn. Volkswagen hatte ohnehin vor, Gastarbeiter aus dem Ausland zu holen. VW-Chef Heinrich Northoff sagte im Oktober 1961: „Es ist nur Arbeitskräftemangel, der unsere weitere Expansion hemmt, obwohl 4800 Wagen am Tage weit mehr sind, als irgendein europäischer Automobilproduzent erzeugt.“

Eigentlich wollte Annese nie in seinen Heimatort zurückkehren, heute ist er dort wie in der Nähe von Wolfsburg zu Hause.
Eigentlich wollte Annese nie in seinen Heimatort zurückkehren, heute ist er dort wie in der Nähe von Wolfsburg zu Hause.Anjou Vartmann

Das deutsch-italienische Anwerbeabkommen für Gastarbeiter vom 20. Dezember 1955 erlaubte, das Arbeitskräfteangebot für Landwirtschaft und Industrie deutlich zu erweitern. Es herrschte Vollbeschäftigung. Vor allem in Süditalien war die Arbeitslosigkeit hoch. Zudem hatte Italien – noch vor der Tourismuswelle – ein hohes Leistungsbilanzdefizit gegenüber Deutschland. Arbeitskräfte konnten die Angebotslücke verkleinern und mit Überweisungen an ihre Familien das Leistungsbilanzdefizit verkleinern.

Deutschland befürchtete eine Überhitzung der Konjunktur mit steigender Inflation. Gastarbeiter sollten eine Quadratur eines Kreises bewirken: Wenn Italiener in Baracken lebten und in Deutschland nur wenig konsumierten, würden trotz größeren Arbeitsangebots Konsum und Inflationsdruck nicht nennenswert steigen.

Auf dem deutschen Arbeitsmarkt hatten an die 15 Millionen Vertriebene für reichlich Angebot an Arbeitskräften gesorgt, auch in ländlichen Gegenden, wo sie verteilt wurden und selbst ehemalige Universitätsprofessoren mit Stallausmisten den Lebensunterhalt verdienen mussten. Bis 1960 war spürbar, dass der Krieg die Geburtenrate gedrückt hatte und nicht mehr so viele junge Schulabgänger zur Verfügung standen. Mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 versiegte der Flüchtlingsstrom aus Ostdeutschland. Den angeworbenen „Fremdarbeitern“ war die Rolle einer Arbeitskraftreserve zugedacht, die nur ­vorübergehend bleiben würde.

Der Begriff „Gastarbeiter“ sollte Sorgen der Bevölkerung vor einer Zuwanderungswelle zerstreuen. Als Gäste aber konnten sich die Ankömmlinge nicht fühlen. Es mangelte an Wohnungen, wegen der geplanten kurzen Aufenthaltsdauer wurden die Ankömmlinge in Baracken untergebracht. Manchmal auch in Siedlungen mit Stacheldrahtzaun. Die Zeiten, als Italiener nach einem Abkommen von Mussolini und Hitler 1938 am Vorläufer des VW-Werks mitbauten oder als während der Besatzung Italiener zur Zwangsarbeit nach Deutschland gebracht wurden (1943 bis 1945), waren noch frische Erinnerung.

Die Bezahlung der Gastarbeiter entsprach genau den deutschen Tariflöhnen. Nur deshalb stimmten Gewerkschaften der Anwerbung zu. Arbeitskosten sollten nicht durch die steigende Beschäftigung von Gastarbeitern zu Billiglöhnen gedrückt werden. Wer am Geldverdienen interessiert war, konnte mit Akkordarbeit oder Nachtschichten den Verdienst erhöhen. Beförderungschancen waren anfangs rar. Der erste italienische VW-Mitarbeiter Lorenzo Annese findet darin nichts Verwerfliches: „Wenn man aus der Ferne kommt, kann man nicht erwarten, gleich in der ersten Reihe zu stehen“, sagt er.

Mit seiner Frau Frieda hat Annese den längeren Teil seines Lebens im niedersächsischen Bokensdorf verbracht.
Mit seiner Frau Frieda hat Annese den längeren Teil seines Lebens im niedersächsischen Bokensdorf verbracht.Anjou Vartmann

Annese hat nicht lange am Fließband gestanden, bei Ankunft der ersten großen Gruppe italienischer Arbeiter im Jahr 1962 wurde er Verbindungsmann. Seine Sprachkenntnisse halfen. Die Ankömmlingen lernten Umstände und Spielregeln kennen. Der VW-Verwaltung konnte er über Probleme berichten. Denn VW-Chef Northoff hatte auf einer Betriebsversammlung den Wunsch geäußert, dass die Mitarbeiter gut behandelt würden: „Wenn nun im Januar die Italiener kommen, dann seien Sie bitte nett zu ihnen. Sie kommen in ein ganz fremdes Land, zu ganz fremden Leuten und haben es schwer.“

Berichte über Konflikte und einen wilden Streik der Jahre 1962 und 1963 sieht Annese als übertrieben an. Die Buchautoren Hedwig und Ralf Richter berichten von einer Schlägerei, nachdem ein Italiener mit einer Deutschen getanzt hatte. Danach berichtete die Turiner Zeitung „La Stampa“, im Besitz der Fiat-Eigner, offenbar weitab von den Fakten, dass Arbeiter ausgepeitscht worden seien und arbeitsrechtlich diskriminiert würden. Hier könnte die Konkurrenz um qualifizierte Arbeitskräfte aus Süditalien eine Rolle gespielt haben. In Turin ist die Diskriminierung gegen Menschen aus dem Süden mit dem abwertenden Begriff „Terroni“ verbreitet – und der Satz: „Man vermietet nicht an Süditaliener.“ In Wolfsburg wurde an Lokalen ein Schild aufgehängt: „Kein Zutritt für Italiener und Hunde“.

Lorenzo Annese erzählt, daran habe er sich nicht abarbeiten wollen, sondern mit gewerkschaftlicher Unterstützung selbst einen Tanzabend veranstaltet und mit Unterstützung des Unternehmens eine internationale Weihnachtsfeier, die in diesem Jahr nun zum 44. Mal stattfand.

Brennpunkte entstanden dort, wo viele Gastarbeiter in Baracken untergebracht wurden. An der „Berliner Brücke“ lebten 5000 italienische Männer ohne Familien. Annese will Probleme nicht herunterspielen, doch rückt er den Pragmatismus in den Vordergrund: Als neue Wohnungen gebaut wurden, sollten keine Ghettos entstehen. Je acht Wohneinheiten wurde eine ausländische Familie untergebracht. „Wir haben hier keine Insel ausländischer Gastarbeiter entstehen lassen wie in anderen Städten mit Gastarbeitern aus anderen Ländern.“ Seine Bemühungen wurden anerkannt, mit einer Ausnahmeregelung konnte er als Ausländer 1965 in den Betriebsrat gewählt werden.

F.A.Z--Redaktionsfotograf Wolfgang Haut nahm diese Männergruppe wenige Jahre nach Abschluss des Anwerbeabkommens auf.
F.A.Z–Redaktionsfotograf Wolfgang Haut nahm diese Männergruppe wenige Jahre nach Abschluss des Anwerbeabkommens auf.Wolfgang Haut

Zur Integration der Italiener in Wolfsburg beigetragen hat auch Engagement der katholischen Kirche im protestantischen Niedersachsen. „Der erste Pfarrer der italienischen Gemeinde kam in den sechziger Jahren, er hat sich bemüht um die Integration der Italiener in das deutsche System“, berichtet Antonio De Florio, ein jahrzehntelang engagierter Laie der Gemeinde. Rund um diese Gemeinde sei eine italienische Welt entstanden, einschließlich Fußballverein und Ausbildungskursen des katholischen italienischen Arbeitervereins Acli. De Florio ist heute 75 Jahre alt. Nach Abschluss des Musikkonservatoriums war er im VW-Orchester abgestellt. 7800 der 130.000 Wolfsburger hätten italienische Wurzeln.

Die katholische Verbindung hat offenbar auch die Entscheidung beeinflusst, Gastarbeiter aus Italien anzuwerben und nicht etwa aus der Türkei wie bei Ford in Köln. VW-Chef Northoff war in den fünfziger Jahren zur Privataudienz beim Papst und Mitglied eines päpstlichen Ritterordens. Die Meinungen über die Entscheidungen gehen auseinander. Vielleicht gab es einen Beitrag durch Kontakte von Northoff zum VW-Importeur in Italien.

Verbindung in Richtung heimatliche Kultur boten später Pizzerien und Ristoranti oder italienische Supermärkte, anfangs war den Gastarbeitern die deutsche Küche eine Last. „Gelatieri“, die Eisdielenbesitzer, waren schon länger da. Fast alle stammten aus zwei Tälern nördlich von Venedig. Dort hatten viele in Zeiten des österreichischen Kaiserreichs, im 18. Jahrhundert, die Arbeit in Erzbergwerken verloren, danach einige beim Aufenthalt in Wien die Herstellung von Eiskrem gelernt. Die waren Vorbild für alle, die in Italien oder Mitteleuropa Eisdielen eröffneten.

Sein Großvater habe 1951 die erste Eisbar der Gegend eröffnet, berichtet Paolo Gamba in der Eisdiele im Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt, über der auch der Familienname „Gamba“ prangt. Aus dem gleichen Dorf seien viele in Deutschland aktiv. Den traditionellen Rhythmus der Familien – Arbeit von März bis September, Rückkehr in die Heimat im Winter – hat er aufgegeben. Er verbringe nur noch zehn Tage in Italien. „Ich habe hier mein Zuhause und meine Freunde.“

Gamba legt Wert auf die traditionelle Art der Eisproduktion, mit echter Vanille und Früchten, und auf unternehmerische Selbständigkeit. „Es kommt an auf Opferbereitschaft und Entschlossenheit“, sagt er. Mit Einwanderern aus Süditalien sieht er wenig Gemeinsamkeiten. „Wir sind zu verschieden.“ Italienische Eisdielenbesitzer gehörten bei Ankunft der Gastarbeiter zu den wenigen, die beide Sprachen beherrschten. Als Vermittler zwischen den Kulturen sahen sie sich aber überfordert.

Rodolfo Dolce aus Frankfurt ist der erste Italiener, der sowohl als Rechtsanwalt in Deutschland als auch als Avvocato in Italien zugelassen war. „Die Einstellung zu Italien hängt ab vom Bildungsstand des deutschen Gegenübers“, sagt er: Wenig bis mittelmäßig Gebildete denken an Spaghetti und Pizza. Kulturell gebildete Deutsche denken an Goethe und die Grand Tour als Bildungsreise für die Kinder der deutschen Oberschicht im 18. Jahrhundert, italienische Kunststädte und die italienische Kulturnation.

Rodolfo Dolce ist der erste Anwalt mit Zulassung in beiden Ländern.
Rodolfo Dolce ist der erste Anwalt mit Zulassung in beiden Ländern.Anjou Vartmann

Rodolfo Dolce, geboren Ende der fünfziger Jahre, kam mit seinem Vater, einem Arzt, ins Land und kennt echte Unterschiede und Allgemeinplätze: Deutsche geben angeblich ihr Geld für Autos und Urlaub aus, Italiener für Essen und Kleidung. Manche Unterschiede findet Dolce aber real, etwa dass italienische Frauen im Durchschnitt eleganter gekleidet seien, italienische Männer öfter Krawatte tragen und diese häufiger wechseln. Für Italien undenkbar war zu Beginn seiner Karriere, dass er mit seinem Kompagnon zur Bank ging und ohne Beziehungen einen Kredit von 40.000 D-Mark bekam.

Italiener sieht er häufig zwischen Deutschland und Italien zerrissen. Rückkehrer bauten im Heimatdorf ein Familienhaus oder ein Geschäft auf, was sich in menschenleeren Gegenden als Fehlgriff erwies. „Oft sind Italiener immer noch mit einem Bein hier, behalten die alte Staatsbürgerschaft“, sagt Dolce. Um Aufenthaltsgenehmigungen müssten sie sich anders als türkische Gastarbeiter nicht sorgen und somit auch nicht so bald wie möglich die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Die europäische Freizügigkeit erlaubt dies. Dadurch seien im Gegensatz zu türkischen Gastarbeiterkindern die Italiener hier nicht wählbar und in der deutschen Politik kaum sichtbar.

Die Sichtbarkeit von Italienern in Deutschland leide darunter, dass sie nicht die Staatsbürgerschaft annehmen, stellt Rechtsanwalt Dolce fest.
Die Sichtbarkeit von Italienern in Deutschland leide darunter, dass sie nicht die Staatsbürgerschaft annehmen, stellt Rechtsanwalt Dolce fest.Anjou Vartmann

Viele Italiener sind zurückgekehrt. Ihre Motive sind kaum erforscht. Zwischen 1955 und 1975 sind nach Angaben der italienischen Botschaft rund drei Millionen Italiener nach Deutschland gekommen. Heute zählt das Statistische Bundesamt in Deutschland 853.000 Bewohner mit italienischem Migrationshintergrund, davon 463.000 mit direkter Migrationserfahrung. Italiener, früher die zweitgrößte Gruppe der Gastarbeiter, sind im Einwanderungsland nur noch die achte Einwanderernation.

Ressentiment lässt sich auch mit vielen Nachfragen nicht finden. „In Italien wäre es noch schlimmer gewesen“, lautet die Antwort am Stammtisch der Italiener in Frankfurt. „Es war nicht leicht, meine Familie hatte 1970 zum ersten Mal eine Familienwohnung in einem Steinhaus, im Keller mit Außentoilette“ sagt ein Mitglied der Deutsch-Italienischen Vereinigung. „Doch wir wollten uns anpassen und integrieren, während heutige Einwanderer vieles ohne Anstrengung bekommen.“

Das Bild italienischer Einwanderer wäre aber nicht komplett ohne einen Blick auf die jüngste Welle junger Einwanderer, mit allein 5000 Wissenschaftlern und Forschern. Diesmal kamen nicht Arme und Ungebildete aus unterentwickelten Regionen, sondern die am besten ausgebildeten Italiener, deren Weggang in der Heimat als „Flucht der Superhirne“ verfolgt wird.

Zu diesen gehört Michela Mapelli, seit zwei Jahren Professorin für Astrophysik in Heidelberg. Sie vermittelt den Eindruck, sie habe mit ihrer Berufung nach Deutschland ein wichtiges Lebensziel erreicht. Für sie zählt die Position als „Full Professor“, aber auch die Freiheit, ihre Forschung zu organisieren. Der Universität war es eine Pressemitteilung wert, als sie im vergangenen Sommer für die Erforschung von Schwarzen Löchern und Gravitationswellen im All europäische Forschungsmittel von 2,5 Millionen Euro erhielt.

Michela Mapelli ist vor der Vetternwirtschaft in Italien geflohen.
Michela Mapelli ist vor der Vetternwirtschaft in Italien geflohen.Anjou Vartmann

In Italien gebe es keine Institutionen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Zweimal ist Mapelli in ihrer Karriere für mehrere Jahre nach Padua gegangen, doch auf die Professorenpositionen wurden andere ernannt. „Ich wollte nicht mehr warten“, sagt sie. Über die Universität Padua sagt sie nur Positives. Doch in Italien füllen die Missstände in der Wissenschaft Bücher und Satiresendungen – geheim gehaltene Ausschreibungen, mit denen Professoren ihre Lieblinge einstellten, gehören zum Alltag. Um Konkurrenz zu vermeiden, wird von Dozenten an italienischen Universitäten ein Sprachtest verlangt. Mapelli lehrt dagegen in Englisch. Sie gehört zur mobilen und hoch qualifizierten Generation, die alle Chancen nutzt, die schnelle europäische Verkehrsverbindungen bieten.

In Deutschland gebe es eine Reihe von Institutionen, die das akamische Forschen professionalisierten, sagt Mapelli.
In Deutschland gebe es eine Reihe von Institutionen, die das akamische Forschen professionalisierten, sagt Mapelli.Anjou Vartmann

Lorenzo Annese, der erste italienische VW-Arbeiter, fliegt entgegen seiner Absicht immer wieder nach Apulien, in seine Heimatstadt Alberobello, die nach einem touristischen Aufschwung zum UNESCO-Welterbe gehört. Er besitzt dort einen für die Stadt typischen „Trullo“, ein Haus mit spitzem Steindach. Vor Kurzem habe der ehemalige Betriebsrat am Flughafen eine Betreuerin gefragt: Wie viel verdienst du? Die Antwort: vier Euro die Stunde. Für Annese ein Zeichen, dass alte Plagen Süditaliens nicht beseitigt seien. Sein Lebensmittelpunkt bleibt in Deutschland bei Frau, Tochter und Enkeln. Sein geräumiges Einfamilienhaus in Bokensdorf steht nur ein paar Hundert Meter entfernt von dem Bauernhof, wo er einst als Landarbeiter begann. Dem Bauern hat er zuletzt einen historischen Porsche-Traktor für einen Euro abgekauft und ihn restauriert. „Mir fehlt hier nichts“, sagt Annese. „Wann immer ich will, kann ich aber nach Apulien, denn es ist vieles einfacher geworden in Europa. Doch wir waren dabei die ersten Europäer.“