Der 1. FC Union überwintert auf Platz acht – fernab aller Abstiegssorgen. Das sah vor einem Jahr noch ganz anders aus. Was Trainer Steffen Baumgart mit dieser Entwicklung zu tun hat und wieso er an Urs Fischer erinnert.
Man kann es sich gut vorstellen, wie Union-Päsident Dirk Zingler und sein Sportchef Horst Heldt vor einem Jahr Weihnachten feierten: mit tiefen Sorgenfalten und im engen Austausch. Ihr erst im Sommer verpflichtete Trainer Bo Svensson war gescheitert. Nach zwei Monaten ohne Sieg hatte er das letzte Spiel des Jahres mit 1:4 in Bremen verloren und Union schlingerte der Abstiegszone entgegen.
Die Verantwortlichen hatten genug gesehen. Ein neuer Coach musste her, und zwar schnell. Schon das erste Spiel des neuen Jahres leitete Svenssons Nachfolger Steffen Baumgart. Und dieser Entscheidung verdanken Zingler und Heldt, dass sie dieses Weihnachtsfest deutlich besinnlicher verbringen dürfen.
Baumgart hat Union wieder stabilisiert
Denn Baumgart führte Union – nach einem schlechten Start – erst zum souveränen Klassenerhalt und in dieser Saison auf den achten Tabellenplatz. Nach 15 Spielen beträgt der Vorsprung auf den Relegationsplatz neun Punkte.
Der Klassenerhalt ist nicht in Gefahr, zumal der 1:0-Sieg zum Jahresabschluss gegen den 1. FC Köln zwei wichtige Entwicklungen mit sich brachte. Die inkonstanten Unioner gewannen zum ersten Mal in dieser Saison zwei Spiele in Folge und distanzierten außerdem einen Rivalen um den Verbleib in der Bundesliga. Auf fremdem Platz! Alles super also. Oder, Herr Baumgart? „Wir wissen, dass das kein Sieg war, weil wir 90 Minuten besser waren“, sagte der Trainer.
Eine Eigenart von Steffen Baumgart ist folgende: Wenn seine Mannschaft verliert und dabei möglicherweise auch noch schlecht spielt, dann neigt der Trainer dazu, sie in den Interviews nach dem Spiel zu loben. Kritiker könnten ihm deshalb vorwerfen, dass er versuchen würde, schlechte Leistungen schönzureden. Aber nur, wenn sie seine Interviews nach Siegen nicht kennen. Da bremst Baumgart gerne die Euphorie und weist darauf hin, dass auch vieles nicht funktioniert habe. „Komplett zufrieden“, war er nur nach dem 3:1-Sieg gegen RB Leipzig.
Auf Fischers Spuren
Das zeigt, wie akribisch Baumgart an der Weiterentwicklung seiner Mannschaft feilt. Für den gelernten KFZ-Mechaniker ist die Arbeit nie beendet. Wie pragmatisch er dabei ist, hat er zu Beginn seiner Amtszeit bewiesen, als er sein missglücktes Experiment, mithilfe einer Viererkette offensiver zu spielen, abbrach und wieder auf Urs Fischers altbewährtes 5-3-2 setzte.
Obwohl Baumgart mit seiner extrovertierten und lauten Art am Spielfeldrand Fischer so gleicht wie ein Stier einer Maus, spielt seine Mannschaft wieder den Fußball, für den sie unter dem Schweizer bekannt war. Union belegt Spitzenränge bei der Laufstatistik, hat kaum den Ball und schießt unter Baumgart jedes zweite Tor nach einem Standard.
Die Mannschaft hat sich so wieder ein Selbstverständnis erarbeitet, das ihr in den turbulenten Zeiten unter Nenad Bjelica und Svensson fehlte. Der Sieg in Köln war das perfekte Beispiel. Union verteidigte konzentriert, ließ so gut wie keine Chance zu und entschied das Spiel nach einer Ecke. „Vor so einer lauten Kulisse muss man geduldig sein, das war auch unser Matchplan heute“, sagte Rani Khedira. Abgezockt.
Ballbesitz weiter zu harmlos
Baumgart sagte noch etwas anderes, das viel über den Leistungsstand seiner Mannschaft verrät: „Wenn das 0:0 ausgeht, gehen wohl alle zufrieden nach Hause.“ Im Offensivspiel mangelt es den Berlinern weiter an Lösungen. Aus dem Spiel entstehen viel zu wenige Chancen und gegen tiefstehende Gegner tut sich Union besonders schwer, Torabschlüsse zu kreieren. Das zu ändern, ohne dabei die defensive Stabilität zu opfern, wird die große Aufgabe fürs kommende Jahr.
Hoffnung machen viele junge Spieler, die sich unter Baumgart bisher gut entwickeln. Wenn Aljoscha Kemlein das Spiel aus dem Mittelfeld dirigiert, entsteht zeitweise schon so etwas wie Spielkontrolle. Stürmer Ilyas Ansah hat sich in seinem ersten halben Jahr an die Bundesliga gewöhnt und der Flügelspieler Livan Burcu zeigte nach seiner Einwechslung in Köln, wie er mit Tempo und Dribbelstärke an Verteidigern vorbeikommt. Sie alle drei sollen gemeinsam mit dem 22-jährigen Abwehrchef Leopold Querfeld das Gerüst einer neuen Union-Mannschaft werden.
Doekhi und Leite könnten gehen
Dass Querfeld sich unter Baumgart so prächtig entwickelt, kommt zeitlich gerade recht. Mit Diogo Leite und Danilho Doekhi droht Union zwei wichtige Verteidiger zu verlieren. Ihre Verträge laufen im Sommer aus und sie wollen sie nicht verlängern. Dass mindestens einer der beiden schon im Winter geht, um noch etwas Ablöse zu kassieren, ist nicht unwahrscheinlich.
Für Baumgart, dessen Erfolg in der Hinserie maßgeblich darauf gründet, dass die Abwehr steht und seine Verteidiger bei Standards sehr gefährlich sind, wäre das ein herber Verlust. Umso wichtiger ist die gute Punkteausbeute aus den ersten 15 Spielen. Solche Abgänge über das Kollektiv zu kompensieren, war übrigens eine große Stärke von Urs Fischer. Auf ein ruhiges Weihnachtsfest an der Alten Försterei.
Sendung: rbb|24, 25.12.2025, 08:00 Uhr
