
Dieter Hoeneß schoss den VfB Stuttgart 1977 mit seinen Toren zurück in die Bundesliga und hatte anschließend maßgeblichen Anteil daran, dass der Klub sich im Oberhaus etablierte. 1992 feierte der heute 72-Jährige als Manager mit den Schwaben die deutsche Meisterschaft. Sein Sohn Sebastian ist seit April 2023 Trainer des VfB. Und das sehr erfolgreich. Der 43-Jährige bewahrte den Klub vor dem Abstieg, führte ihn in die Champions League und zum Sieg im DFB-Pokal.
Frage: Herr Hoeneß, wie wird bei Ihnen eigentlich Weihnachten gefeiert – und welche besonderen Erinnerungen haben Sie?
Sebastian Hoeneß: Wir waren die letzten Jahre an den Weihnachtsfeiertagen immer zusammen, feiern als Familie. Früher hatte ich an Weihnachten Bauchschmerzen.
Frage: Bauchschmerzen?
Dieter Hoeneß: Basti war als Kind so nervös, ob das Christkind kommt, dass er an Heiligabend Bauchschmerzen hatte (lacht). Und wenn die Geschenke nicht seinen Wünschen entsprochen haben, hat er damit nicht hinter dem Berg gehalten.
Sebastian: Die Zeiten liegen schon etwas zurück (lacht). Heute bekommen nur noch unsere Kinder etwas. Wir schenken uns Zeit und ein gutes Essen.
Frage: Sebastian, Ihr Vater Dieter ist Ihr Berater, sieht jedes Spiel des VfB. Oft ist er bei Heimspielen im Stadion – wie auch bei der bitteren 0:5-Heimniederlage gegen Bayern im vorletzten Bundesliga-Spiel des Jahres 2025. Wie läuft bei Ihnen die Kommunikation nach Abpfiff?
Sebastian: Wir sprechen nach jedem Spiel, in der Regel so eineinhalb Stunden nach Abpfiff, oftmals auch spät. Das war auch nach dem Bayern-Spiel der Fall. Der Austausch war nach dem 0:5 allerdings nicht besonders ausführlich.
Dieter: Wenn Sebastian mit den Presseterminen durch ist, tauschen wir uns meistens kurz aus, um die frischen Eindrücke vom Spiel zu verarbeiten. Das ist zu einem festen Ritual geworden.
Frage: Aber immer im persönlichen Austausch?
Dieter: Ja, ich weiß: Heutzutage wird viel per SMS oder WhatsApp kommuniziert. Aber ich bevorzuge das persönliche Gespräch.
Frage: Das VfB-Jahr 2025 steht unter dem Zeichen des Pokalsiegs am 24. Mai gegen Bielefeld. Was bedeutet dieser Erfolg im Rückblick?
Dieter: Der erste Titel ist etwas ganz Besonderes. Es ist nur wenigen vorbehalten, Titel zu erringen. Es gibt großartige Spieler und Trainer, die nie eine Trophäe gewonnen haben. Das nimmt Sebastian keiner mehr. Und vielleicht gelingt es ihm, noch den einen oder anderen Titel zu gewinnen. Er ist ja noch jung …
Frage: Gab es in der Pokal-Nacht einen Moment, der Sie besonders berührt hat?
Sebastian: Der Autokorso in Stuttgart am nächsten Tag hat mich besonders berührt. Als wir durch die Menschenmassen gefahren sind, die Reaktionen der Fans gesehen haben. Dort realisiert man die Emotionen erst so richtig: Der Jubel im Berliner Olympiastadion vor unserer Kurve war total emotional, aber dort hatte ich eine Wand von Fans vor mir, habe nur wenige einzelne Gesichter registriert. Im Korso sind wir dann langsam gefahren, haben diese ganzen beseelten Menschen gesehen, ihnen in die Augen blicken können. Das war bewegend.
Dieter: Besonders schön war, dass die ganze Familie an diesem Abend in Berlin zusammen war. Ich stand in den Katakomben zum Interview bereit, als Basti und ich uns begegnet sind. Das war ein ganz besonderer, emotionaler Moment.
Frage: Champions League, Europa League, Pokalsieg. Welche Note geben Sie dem Jahr 2025?
Sebastian: Die Note muss positiv ausfallen. Wir haben als Klub, als Team einen riesigen Schritt nach vorne gemacht, uns in der Bundesliga wieder oben etabliert. Das war vor zwei, drei Jahren weit weg. Die Entwicklung geht weiter in die richtige Richtung, das ist positiv.
Dieter: Stimmt. Und das nach Jahren des Leidens mit tristem Abstiegskampf … Trotzdem muss man sehen, dass es noch ein weiter Weg ist, um sich dauerhaft als Aspirant für die Champions League zu sehen. Der VfB musste in den letzten Jahren – auch aus wirtschaftlichen Gründen – viele Topspieler abgeben. Das dauerhaft zu kompensieren, geht nicht, wenn man sich oben festsetzen will. Trotzdem ist es Sebastian auch in dieser Saison wieder mit seiner Mannschaft gelungen, mit einer Serie den Anschluss zur Spitzengruppe der Bundesliga zu halten. Zudem ist der VfB fürs Viertelfinale im DFB-Pokal qualifiziert und hat gute Chancen, auch in der Europa League weiterzukommen. Wenn man den Pokalsieg im Sommer hinzurechnet, dann würde ich dem Jahr 2025 eine 2, vielleicht sogar eine 2+ geben.
Frage: Guirassy, Anton, Endo, Mavropanos, Ito, Millot, Woltemade: Zahlreiche Leistungsträger gingen bereits. Im kommenden Sommer ist Angelo Stiller ein Abgangskandidat. Befürchten Sie, dass Ihre Arbeit wieder von vorn losgeht?
Sebastian: Angelo hat einen langfristigen Vertrag, der VfB hat das Heft des Handelns in der Hand. Fakt ist: Ange hat sich sehr gut entwickelt, wird mit großen Klubs in Verbindung gebracht. Wir müssen uns als Verein die Frage stellen: Wo wollen wir hin? Wenn du als Anwärter auf einen internationalen Wettbewerb in eine Saison gehen willst, solltest du aus sportlicher Sicht dahin kommen, die besten Spieler zu behalten. Für mich ist der VfB noch nicht am Ende der Entwicklung angekommen. Wenn ich so denken würde, hätte ich meinen Vertrag im März nicht verlängert.
Frage: Dieter Hoeneß, gibt es einen Karriereplan für Ihren Sohn?
Dieter: Nein, eine Trainerkarriere wird nicht am Reißbrett entworfen. Dazu ist der Fußball zu schnelllebig. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass Sebastian bei einem Klub arbeiten kann, der jedes Jahr den Anspruch hat, in der Champions League und um Titel zu spielen. Das kann auch der VfB sein, wenn sich der Klub entsprechend entwickelt. Die Anfragen, die in der Vergangenheit auf dem Tisch lagen, kamen zu früh. Wir sind uns darin einig, dass wir nicht den zweiten vor dem ersten Schritt machen wollen. Das ist allerdings Zukunftsmusik, Sebastian ist beim VfB sehr gut aufgehoben. In der Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen hat sich der VfB in den letzten Jahren sowohl sportlich als auch wirtschaftlich sehr gut entwickelt.
Frage: Menschen aus der Familie Hoeneß waren im deutschen Fußball Spieler, Manager, Trainer, Präsidenten. Einen Bundestrainer Hoeneß gab es noch nicht. Würden Sie das Ihrem Sohn eines Tages zutrauen?
Dieter: Warum nicht? Aber aktuell ist das gar kein Thema. Dafür ist Basti auch noch zu jung (lacht).
Frage: Im Sommer findet die WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko statt. Wie haben Sie die Auslosung verfolgt?
Dieter: Das war teilweise peinlich. Natürlich geht die Entwicklung hin zu mehr Show, aber da muss es auch Grenzen geben. Es war einfach zu viel Trump. Das Wichtigste bei einer WM-Auslosung ist der Fußball. Die ausgeloste Gruppe ist für das DFB-Team machbar.
Frage: Sie verfolgen das Fußballgeschäft mit wachem Auge, genau wie den Transfermarkt. Als Vater und Berater: Wie schwer ist es für Sie, in einem Transfersommer wie dem vergangenen, als mit Nick Woltemade der beste Stürmer kurz vor Ablauf der Frist ging und kein Mittelstürmer als Ersatz kam, die Ruhe zu bewahren?
Dieter: Das ist schon eine Herausforderung. Ich weiß, wie schwierig es ist, solche Abgänge wie von Nick Woltemade (zu Newcastle United; d. Red.) zu kompensieren. Das hat Sebastian als Trainer großartig gemeistert, aber das geht nicht ewig gut. Auf der anderen Seite verstehe ich die wirtschaftlichen Zwänge des Klubs. Woltemade für 75 Millionen Euro zu verkaufen, das kann man machen, man muss es wahrscheinlich sogar! Es gibt keine Kritik an dem Transfer, sondern der Zeitpunkt war suboptimal, weil man keinen Ersatz mehr verpflichten konnte. Erschwerend kamen dann die Verletzungen von Demirovic und Undav dazu. Aber auch diese Schwierigkeiten hat das gesamte Team hervorragend gemeistert.
Frage: Sie haben eben betont, dass im Frühjahr vereinbart wurde, Führungsspieler bzw. Top-Qualität zu holen. Wie viele Zugänge mit diesen Merkmalen kamen seitdem?
Dieter: Die Messlatte ist dann natürlich hoch. Aber der Führungsspieler mit großer Erfahrung, der sofort unumstrittener Stammspieler ist und das Team besser macht, wurde seitdem nicht verpflichtet. Allerdings ist der Kader in der Breite gut verstärkt worden.
Sebastian: Was mir aber wichtig ist: Ich lasse an meiner Mannschaft überhaupt keine Zweifel aufkommen! Wir haben gute, entwicklungsfähige Spieler geholt. Aber eben keinen Eins-zu-eins-Ersatz für Nick Woltemade oder Enzo Millot. Beide waren absolute Stammspieler und Leistungsträger.
Frage: Es kamen vor allem entwicklungsfähige Spieler.
Sebastian: Wir haben mit Lorenz Assignon und Tiago Tomás zwei Spieler, die dem Talent-Status entwachsen sind. Aber wir haben keine Spieler geholt, die schon auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit sind. Gleiches gilt bei Bilal El Khannouss, der noch wenig Erfahrung hat. Chema Andrés, Badredine Bouanani, Lazar Jovanovic, Noah Darvich: Das sind alles Talente, die aber noch Zeit brauchen. Bitte versteht mich nicht falsch: Sie können sich zur Spitzenklasse entwickeln, aber dort sind sie noch nicht.
Frage: Wie war der Moment, als Sie vom Verkauf von Nick Woltemade erfahren haben?
Sebastian: Sportvorstand Fabian Wohlgemuth und unser Vorstandsvorsitzender Alexander Wehrle haben mich zusammen angerufen, sie waren auf dem Weg zur Europa-League-Auslosung in Monaco. Ich war natürlich nicht begeistert. Aber mir wurde erklärt, dass eine finanzielle Region erreicht war, in der es keinen Spielraum mehr für Diskussionen gab, die Gremien informiert wurden. Der Klub hatte entschieden. Dann wird von meiner Seite nicht lange lamentiert. Meine erste Frage war: „Wie gehen wir damit um, was sind die Folgen?“
Frage: Hätten Sie gedacht, dass sich Woltemade so schnell bei Newcastle zurechtfindet?
Sebastian: Mir war klar, dass Nick ein sehr guter Stürmer ist, der ein herausragender sein wird. Das liegt an seiner fußballerischen Klasse, seinem Profil mit der Körpergröße von 1,98 Metern. Sein Charakter ist offen, lernwillig, intelligent. Er steht für Weiterentwicklung. Wir haben seit seinem Wechsel zwei-, dreimal telefoniert: Die Intensität in der Premier League ist ungemein hoch, er musste sich sofort anpassen – aber er ist dazu in der Lage! Deswegen war es für mich nicht überraschend, dass es für ihn funktioniert und er seinen steilen Weg weiter fortsetzt. Das war ja im Sommer auch Teil meiner Argumentation: Nick wird nicht schlechter, sondern besser. Er wird deutscher Nationalspieler und noch gefragter. Aber über allem schwebte natürlich auch das Risiko einer Verletzung. Ich glaube, die Ablösesumme hat sich schnell relativiert – und dass Nick noch teurer geworden wäre.
Frage: Wenn Sie von Summen wie den 75 Millionen bei Woltemade hören, was denken Sie da, Dieter?
Dieter: Es sind andere Dimensionen! Wir haben für Marcelinho bei der Hertha 8,5 Millionen bezahlt, heute wäre er das Zehnfache wert. Der Transfermarkt hat sich dramatisch verändert.
Frage: Sie waren von 1990 bis 1995 VfB-Manager und sind mit dem VfB Deutscher Meister geworden, von 1997 bis 2009 das Gesicht der Hertha, danach Chef beim VfL Wolfsburg. Gab es eigentlich mal Angebote von größeren Klubs?
Dieter: Uli (Bayern-Manager und Bruder) hatte mich mal, als er aufgehört hat, gefragt, ob ich mir vorstellen könne, beim FC Bayern anzufangen.
Frage: Tatsächlich? Sie sollten Bayern-Manager werden?
Dieter: Das ist Schnee von gestern. Das war Ulis Idee. Wir waren damals im Sommer in Südfrankreich beim Golfspielen, Wolfgang Dremmler, Raimond Aumann, Uli und ich. Uli hatte das Ende seiner Manager-Tätigkeit 2009 lange vorher im Kopf. Bei der Gelegenheit hat er mich gefragt, ob ich mir einen Wechsel zum FC Bayern als sein Nachfolger vorstellen könnte.
Frage: Wie war Ihre Antwort?
Dieter: Wir hatten bei der Hertha zu der Zeit eine kritische Phase, da konnte ich nicht weglaufen. Deswegen hat es nicht gepasst. Ich habe Uli nach wenigen Tagen Bedenkzeit abgesagt und meinen Vertrag bei der Hertha noch mal verlängert.
Frage: War die Versuchung nicht groß?
Dieter: Natürlich wäre der FC Bayern reizvoll gewesen. Allerdings war für mich die „Mission“ Hertha noch nicht beendet.
Frage: Wenn man die Entwicklung der Hertha sieht, kann man in der Nachbetrachtung feststellen, dass Hertha unter Ihrer Führung die erfolgreichste Zeit der Vereinsgeschichte hatte.
Dieter: Richtig, wir haben uns nach dem Aufstieg in die Bundesliga in zwölf Jahren in der Bundesliga gehalten, achtmal europäisch qualifiziert und in der Champions League gespielt. Und am Ende meiner letzten Saison 2008/09 Vierter geworden, daher war die Entscheidung damals vollkommen richtig.
Der Artikel wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) verfasst und zuerst in SPORT BILD veröffentlicht.
