Reihen um Reihen rußgeschwärzter Fensterhöhlen stehen im Dunst des Wang Fuk Court, in manchen Fensterrahmen stecken noch die Styroporplatten, durch die das Feuer sich ins Innere der sieben Hochhäuser fraß.
Es ist still, allein der Hongkonger Verkehr ist zu hören, der im Hintergrund wieder beständig fließt. Die Feuerruine ist verlassen, die Feuerwehr abgezogen. Nur noch Sicherheitskräfte stehen jetzt vor dem Wang Fuk Court, wo Baunetze an sieben Hochhäusern Feuer fingen. Mindestens 160 Menschen kamen ums Leben.
Um eine Sitzgruppe mit Sonnenschutz, an der die Hongkonger Hunderte Blumen abgelegt hatten, ist jetzt ein Absperrband gezogen. Das Hygieneamt hat die vielen Blumengestecke in der Parkanlage vor dem Katastrophenort entfernen lassen. Und die Hunderten Klebezettel gleich mit abgerissen, auf denen Menschen ihr Beileid bekundet haben und hin und wieder auch Kritik an den Behörden zu lesen war. Auch im U-Bahntunnel, der dorthin führt, haben sie alles abgenommen.
Die Zivilgesellschaft regte sich kurz
Die Brandkatastrophe Ende November hatte ein kurzes Aufflackern der Zivilgesellschaft ausgelöst. Über soziale Medien organisierte Selbsthilfegruppen, Geschäftsinhaber und andere Freiwillige kamen noch während des Brandes zusammen, wie seit den Demokratieprotesten von 2019 und 2020 nicht mehr, nach deren Niederschlagung sich die Zivilgesellschaft weitgehend ins Private zurückgezogen hat. Am Ende übernahmen staatliche Stellen rasch wieder die Kontrolle.
Die Polizei nahm rund ein Dutzend Leute aus der Bauwirtschaft fest, die der Korruption und der Missachtung von Brandschutzbestimmungen verdächtigt werden. Vorübergehend festgenommen aber wurden auch mehrere Personen wegen angeblicher Aufwiegelung in Zusammenhang mit dem Brand. Darunter auch ein Student, der in der Nähe der Parkanlage Flugblätter verteilt hatte und eine unabhängige Aufklärung der fahrlässig herbeigeführten Brandkatastrophe gefordert hatte.
Eine angekündigte Pressekonferenz zivilgesellschaftlicher Gruppen über das Gebäudemanagement und die Renovierungsarbeiten am Wang Fuk Court wurde nach einem Anruf der Behörden kurzfristig abgesagt.
Das 2020 von Peking ins Leben gerufene „Nationale Sicherheitsbüro“ in Hongkong warnte vor „anti-chinesischen und chaotischen Elementen“, die „Katastrophen ausnutzen, um Hongkong zu destabilisieren“.
Wenig später bestellte das von einem chinesischen Geheimdienstler geleitete Sicherheitsbüro internationale Medien ein, um die Journalisten vor „Falschinformationen und Verleumdungskampagnen“ im Zusammenhang mit dem Feuer zu warnen. Einige Berichte hätten „Falschinformationen verbreitet“ und „gesellschaftliche Spaltung und Konfrontation geschürt“. Teilnehmer berichten von der Aussage: „Sagt nicht, man hätte euch nicht gewarnt.“
Überall sind Polizisten
Wer jetzt noch Blumen vor die Feuerruine bringen will, muss sie in eine Plastikwanne neben einem Zaun legen, die, so scheint es, regelmäßig geleert wird. Ein junger Mann geht mit schnellen Schritten darauf zu, er trägt einen Bund weiße Lilien. Der Mann legt sie in die Wanne, hält kurz inne und geht dann rasch wieder zurück Richtung U-Bahn. Er will nicht sprechen, offenbar schon gar nicht mit Ausländern. Überall ist Polizei. Ein ungewohntes Bild in dieser abgelegenen Wohngegend im ländlicheren Norden von Hongkong, der teilautonomen Sonderverwaltungszone, über die im Hintergrund China herrscht.
Das Engagement der Nachbarn und Ladeninhaber hier im Stadtteil Tai Po aber geht weiter. Der Zusammenhalt scheint groß. Im Restaurant Hei Hei Kitchen können sich die überlebenden Hausbewohner kostenlos Mittagessen abholen. „Ich fühle so viel Wärme, die mir die normalen Hongkonger entgegenbringen“, sagt Herr Toh. „So viel Dankbarkeit.“
Toh hatte ein Apartment in Haus B. Als das Feuer ausbrach, war er gerade draußen, so wie seine Frau mit der Schwiegertochter und der Enkelin. Zu viert hatten sie in ihrem kleinen Apartment gewohnt, nicht untypisch in Hongkong, wo Platz knapp ist und sich Großeltern oft um die Kleinkinder kümmern, damit deren Eltern lange arbeiten können.
Toh ist Pensionär, seine Wohnung hat er Mitte der Achtzigerjahre gekauft. Die Stadtregierung hatte damals vergünstigten Wohnraum geschaffen und zum Kauf angeboten. Rund 4000 Menschen lebten in den knapp 2000 Appartements der acht Hochhäuser, nur eins blieb vom Feuer verschont. Toh sagt, er habe damals rund die Hälfte zahlen müssen, die Stadtverwaltung übernahm die andere Hälfte des Preises. Vierzig Jahre später war es an der Zeit, die Gebäude zu sanieren.
Hoch brennbare Plastiknetze
Toh sagt, über die Vergabe der Renovierungsarbeiten habe die Eigentümerversammlung im Namen aller Wohnungsbesitzer entschieden. „Wir sind gewöhnliche Menschen“, sagt Toh, „schließlich hatten die Auftragnehmer eine Lizenz.“
Dass die Bauarbeiter immer wieder rauchten, obwohl es überall Verbotsschilder gab, sei ihm schon aufgefallen. Aber das, worüber jetzt berichtet wird, das hätten sie nicht gewusst: Dass die Feueralarme abgestellt waren, die Sanierungsfirma minderwertige, hoch brennbare Plastiknetze benutzte. Oder dass einer der Festgenommenen sowohl Zeichnungsberechtigter der Sanierungsfirma war, als auch gleichzeitig als Bausachverständiger für das Wohnungsbauamt arbeitete.
Verbindungen zwischen Politik und der Bauwirtschaft sind in Hongkong nicht unbekannt. Die Bezirksrätin Peggy Wong etwa war Anfang 2024 Beraterin der Eigentümergemeinschaft des Wang Fuk Court, als diese den Auftrag für die Sanierung an die Baufirma Prestige Construction and Engineering vergab. Kostenpunkt: mehr als 36 Millionen Euro. Das war eine doppelt so hohe Summe wie ein Ausschreibungsgutachten noch im Vorjahr veranschlagte. Peggy Wongs Wahlkreisbüro befindet sich im Erdgeschoss eines Hochhauses unmittelbar neben dem Wang Fuk Court. Es ist verschlossen.
Der Betroffene Toh sagt, er vertraue der Regierung, die Aufklärung versprochen hat. Er und seine Frau sind in einer Jugendherberge um die Ecke untergekommen, seine Tochter mit der Enkelin wohnt erstmal bei Freunden. Die Behörden zeigen sich großzügig. Toh bekam rasch umgerechnet 1300 Euro, zwei weitere Tranchen in gleicher Höhe sind für Sachspenden versprochen.
Die Stadtverwaltung will auch einen Teil der künftigen Miete der Betroffenen übernehmen. Toh findet, die Regierung kümmere sich gut. Dass die Blumengestecke vor seinem abgebrannten Hochhaus entfernt wurden, kann er verstehen. „Die Tage der Trauerzeit sind vorbei“, sagt er. „Es muss weitergehen.“ Dann kommen ihm die Tränen.
Audienz bei Xi Jinping
Regierungschef John Lee hat einen Ausschuss zur Aufklärung des Feuers ernannt. Geleitet wird er von einem Richter. Nach allem was bekannt ist, hat das Komitee allerdings nicht die Macht einer Untersuchungskommission und keine Vorladungsbefugnisse.
„Die Probleme sind komplex und betreffen Interessenkonflikte, Korruption und wahrscheinlich auch Inkompetenz oder Nachlässigkeit der Regierung“, sagt der Hongkonger Politikwissenschaftler John Burns, der an der University of Hongkong lehrt. „Die Öffentlichkeit sieht zumindest derzeit die dringende Notwendigkeit einer gründlichen Untersuchung.“ Er schließe sich dieser Forderung an.
Am Mittwoch war der Hongkonger Regierungschef John Lee zur Audienz beim Staatschef Xi Jinping in Peking. Xi „bekundete seine uneingeschränkte Anerkennung für die Arbeit von Lee“, hieß es in den chinesischen Staatsmedien. Das bezog sich weniger auf das Feuer, für dessen Opfer Xi „sein Beileid“ aussprach – sondern vor allem auf die guten Wirtschaftsdaten in Hongkong und wohl auch auf die Verurteilung der wichtigsten Symbolfigur der Stadt: Vergangene Woche sprachen von der Staatsmacht handverlesene Richter den Verleger und Demokratieaktivisten Jimmy Lai schuldig, „mit ausländischen Kräften kollaboriert“ und gegen die nationale Sicherheit verstoßen zu haben.

China verfolgt eine doppelte Strategie für Hongkong. Zum einen die Niederschlagung jeder wirkmächtigen politischen Opposition. Dafür steht die Verfolgung des Verlegers Jimmy Lai, der für Demokratie und Pressefreiheit kämpft. Bei den Lokalwahlen dürfen mittlerweile zudem „nur Patrioten“ antreten. Die Democratic Party, Hongkongs letzte große Oppositionspartei, gab jüngst ihre Selbstauflösung bekannt – nach 31 Jahren.
Nur eine Woche nach dem Feuer hatte am 7. Dezember eine Lokalwahl stattgefunden. Die Wahlbeteiligung lag bei nur knapp 32 Prozent. Diese wurde auch nur deshalb erreicht, weil Angestellte etwa im öffentlichen Dienst ausdrücklich zur Wahl aufgefordert wurden. Wähler erhielten Rabattkarten zum Einkaufen, Kinogutscheine und kostenlosen Eintritt in Schwimmbäder. Am Ende registrierten sich trotzdem so wenige Wahlberechtigte wie noch nie.
Inwiefern sich darin Desinteresse oder politischer Unmut zeigt, hängt davon ab, wen man fragt. Großbritanniens bis 1997 letzter Gouverneur der Kronkolonie Hongkong Chris Patten teilte nach dem Urteil gegen Lai mit: „Die Kommunistische Partei Chinas hat eindeutig ihr Wort bezüglich der Gemeinsamen Erklärung gebrochen, einem zwischen Großbritannien und China unterzeichneten Vertrag, der Hongkongs Freiheit und Rechtsstaatlichkeit bis 2047 garantieren sollte.“
Der andere Teil der chinesischen Doppelstrategie ist, dass Peking Hongkong als Finanz- und Handelsschnittstelle zwischen der Volksrepublik und der Außenwelt beibehalten will. „Bislang hat sich die Zentralregierung bei der Ausweitung der nationalen Sicherheitsbelange auf wirtschaftliche und andere Bereiche wie Verträge, Testamente und Deliktsrecht zurückhaltend gezeigt“, sagt der Hongkonger Professor Burns. „Peking möchte Hongkong weiterhin als Finanzzentrum etablieren und möglicherweise auch dazu nutzen, um die chinesische Währung Renminbi zu internationalisieren.“
Während der Renminbi in China strengen Kapitalverkehrskontrollen und Ausfuhrbeschränkungen unterliegt, ist der Hongkong-Dollar frei handelbar. Über Hongkong werden weiter viele Geschäfte aus und nach China abgewickelt: vor allem mit dem Westen, dem Nahen Osten, zunehmend Russland.
In Hongkong gab es dieses Jahr außerdem die meisten Börsengänge der Welt. Dafür will die Regierung ausländischen Firmen ein weiteres vertrautes und verlässliches Rechtssystem anbieten. Mit einem Ort, wo man in der Lage ist, internationale Geschäftssprache zu sprechen. Geschäftsleute in Hongkong erkennen das an. Sie preisen die immer noch hohe Lebensqualität der Metropole. Professor Burns sagt: „Diese Anreize könnten verhindern, dass China nationale Sicherheitsbelange zumindest vorerst über Bereiche wie Strafrecht und Menschenrechte hinaus ausweitet.“ So propagiert Peking weiter seine Losung „ein Land, zwei Systeme“: eins für das Festland und eins für Hongkong.
In Fällen „nationaler Sicherheit“ wie bei Jimmy Lai scheinen die Systeme immer mehr zu verschmelzen. Die Feuerkatastrophe vom Wang Fuk Court gilt manchen nun als Test, inwiefern Aufklärung im Schatten stark eingeschränkter Pressefreiheit und einer oppositionsfreien Parteienlandschaft noch möglich bleibt. „Die Schuld wird wohl auf Beamte abgewälzt“, sagt Burns. „Ich erwarte nicht, dass jemand politisch zur Verantwortung gezogen wird.“
