Die erste Liebe, eine schmerzhafte Trennung, Freundschaft, Tod: Gute Popsongs sind in der Lage, Momente zu prägen. Selten gelingt es einem Popsong aber, eine konkrete kalendarische Zeit für sich zu beanspruchen. „Driving Home for Christmas“ von Chris Rea ist so ein Song.
Komponiert hat ihn Rea 1978, als er mit 27 Jahren selbst gerade im vorweihnachtlichen Stau stand und feststellte, dass ihn diese Erfahrung mit seinen Mitmenschen verbindet: „I take a look at the driver next to me, he’s just the same.“ Erst 1986 veröffentlichte er den Song, aber selbst da blieb „Driving Home for Christmas“ kommerziell erfolglos. Und das, obwohl Chris Rea mit seinem Album „On the Beach“ bereits international in den Charts gelandet war.
Erst Jahrzehnte später, in den Nullerjahren, gelangte der Song zu spätem Ruhm. Da hatte sich Chris Rea von seinem Frühwerk aber schon entfernt: „Ich ertrage es nicht mehr, meine alten Aufnahmen zu hören“, sagte er 2002 in einem Interview. Eine Krebserkrankung, die er nur knapp überlebte, veränderte den Popstar aus Middlesbrough im Norden Englands für immer.
Sein sanfter Poprock, für den er geliebt und verachtet wurde, schien ihm angesichts der Nahtoderfahrung plötzlich belanglos: „Männer in Anzügen manipulierten früher massiv meine Musik, und ich kann niemand anderem als mir selbst dafür die Schuld geben. Ich gab ihnen, was sie wollten, anstatt zu tun, was ich wollte.“
Blues holte ihn wieder ein
Diese ostentative Softness, die den Labelbossen offenbar gefiel, brachte Chris Rea über die Jahre nicht nur Freunde ein. Vom subversiven Störpotenzial der Rockmusik war bei ihm wenig zu hören, sein Sound war geeignet fürs Candle-Light-Dinner oder den Yachttörn.
Nach überstandener Erkrankung verfolgte Rea seine Leidenschaft, den Blues. Diese Musik faszinierte ihn schon in jungen Jahren, als der Sohn einer zehnköpfigen italo-irischen Familie noch in der Eisdiele seines Vaters aushalf. Ein Leben lang blieb sein autodidaktisches Gitarrenspiel hörbar von dem Stil beeinflusst.
Parallel avancierten Reas 80er-Jahre Songs zu Klassikern, darunter „On the Beach“ und natürlich „Driving Home for Christmas“. Eine Mischung aus kalkulierten Re-Releases und der schwer nachvollziehbaren Dynamik kultureller Ritualisierung hob Letzteren in dieselbe Liga wie Weihnachtshits von Mariah Carey oder Wham!. Dazu beigetragen haben könnte, dass heute mehr Menschen die Erfahrung der vorweihnachtlichen Heimfahrt teilen als noch 1978. 2014 spielte Rea den Song erstmalig live.
Nun, fast 50 Jahre nach dem ersten Entwurf dafür, ist „Driving Home for Christmas“ aus dem kollektiven Gedächtnis nicht mehr wegzudenken. Am 22. Dezember ist sein Schöpfer Chris Rea nach kurzer Krankheit im Alter von 74 Jahren gestorben.
