Thomas Mann als Hundehalter? „Eine pädagogische Null.“ – Gesellschaft

„Das ist kein Wald und kein Park, das ist ein Zaubergarten, nicht mehr und nicht weniger“, schrieb Thomas Mann über das zu seinen Lebzeiten schon halb verwilderte Flussufer am Herzogpark. Mascha ist ganz seiner Meinung. Die Barsoi-Hündin schnuppert an umgestürzten Bäumen, Parkbänken und Papiertaschentüchern. „Nein, Mascha, aus!“, ruft Kerstin Holzer, als ihre Hündin Anstalten macht, etwas zu verzehren, von dem man lieber nicht so genau wüsste, was es ist.

Ein Spaziergang mit der Autorin Kerstin Holzer auf den Spuren von Thomas Mann ist eine Begegnung auf mehreren Ebenen. Zum einen hat sie ein Buch geschrieben, in dem Manns Hund Bauschan eine große Rolle spielt, es heißt „Thomas Mann macht Ferien“ (Kiepenheuer & Witsch). Zum anderen hat sie bei der literarischen Gassirunde von der Mann-Villa in Bogenhausen in Richtung Oberföhringer Stauwehr und zurück ihre eigene Hündin Mascha dabei, die gewisse Ähnlichkeiten aufweist mit Manns Hund Bauschan, aber doch ganz anders ist.

Thomas Mann beschreibt Bauschan in seiner Erzählung „Herr und Hund“ als „leicht missgestalteten Hühnerhund“, mittelgroß, mit gestreifter und gefleckter Zeichnung, weißem Brustfleck, buschigem Schnauzbart und leicht o-beinigen Vorderläufen. Bei Mascha sind selbst erfahrene Artgenossen anfangs nicht ganz sicher, ob es sich wirklich um einen Hund handelt. Selbst der Labrador des Reporters beschnuppert das große, scheue Wesen mit den seidigen langen Haaren vorsichtig, um zu ermitteln, in welche Kategorie es fällt: Ziege? Rentier? „Da haben Sie ja einen schönen Ameisenbären“, bekommt Kerstin Holzer oft zu hören, wenn sie mit Mascha spazieren geht.

Mascha ist ein Barsoi: lange, spitze Schnauze, 70 Zentimeter Widerristhöhe, von hinten gesehen dünn wie ein Strich, von der Seite erstaunlich großflächig. Als Kerstin Holzers Sohn 2020 von zu Hause auszog, zog Mascha ein. „Eigentlich hatte ich mir nicht eine extravagante Rasse wie den Barsoi in den Kopf gesetzt“, sagt sie, „aber ich habe mir als ersten Hund kein Tier aus dem Tierschutz zugetraut, weil ich zu unerfahren war für etwaige Traumatisierungen.“ Während der Pandemie waren besonders begehrte Rassen wie Labradoodle, Dackel und Golden Retriever bei den meisten Züchtern kaum zu bekommen, deshalb wurde es ein russischer Windhund.

„Barsois sind seltsam, aber wunderbar.“

Mascha trabt mit federndem Schritt durch den Herzogpark, sie bellt und knurrt nicht, selbst dann, als sie von einem hysterischen Pinscher im Wintermäntelchen angekläfft wird. „Barsois sind seltsam, aber wunderbar“, sagt Kerstin Holzer. „Eine angenehme, romantische, sensible Hunderasse, auch wenn sie Befehle eher als Vorschläge verstehen.“

Eine Parallele zu Thomas Manns Gassi-Erlebnissen: „Zerwürfnis mit dem Pudel wegen seiner Unfolgsamkeit nach Auffindung abstoßender Dinge“, notierte er in seinen Tagebüchern. Der Literatur-Nobelpreisträger hatte zeitlebens Hunde, etwa den Collie Motz, den Jagdhund-Mischling Bauschan, später diverse Schäferhunde und Pudel. In seinen Tagebüchern wird deutlich, dass Mann alles persönlich nahm: unzumutbares Wetter, rebellische Verdauung, Fehlverhalten von Hunden. Einerseits erwartete er von seinen Hunden mustergültiges Betragen, andererseits war er mangels Autorität und hundepädagogischer Grundkenntnisse wohl nicht in der Lage, sie zu erziehen.

Thomas Mann mit seinem Schäferhund Lux.
Thomas Mann mit seinem Schäferhund Lux. (Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Unbekannt/ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Ma)

Thomas Mann und die Hunde, das ist ein Thema mit großer Fallhöhe und hohem Unterhaltungswert, nicht nur für Hundefans. Kerstin Holzer, Jahrgang 1967, kam durch die Beschäftigung mit ihrem eigenen Hund auf die Idee, ein Buch über Thomas Mann und seinen Hund zu schreiben. Sie arbeitete als Journalistin für Focus, Madame und die SZ, bevor sie sich ganz aufs Bücherschreiben konzentrierte. Mit der Familie Mann hat sie sich schon auf vielfältige Weise beschäftigt, sie verfasste die Bestseller „Elisabeth Mann Borgese – ein Lebensportrait“ und zuletzt „Monascella – Monika Mann und ihr Leben auf Capri“. Und die Gegend rund um den im Vergleich zum Starnberger See recht hundefreundlichen Tegernsee lernte sie bei eigenen Wochenendausflügen mit Mascha kennen und lieben.

Thomas Mann verbrachte mit seiner Familie dort den Sommer 1918 in der Villa Defregger, wo er „Herr und Hund“ schrieb. Kerstin Holzer wählte diesen Ausschnitt aus dem Leben des Schriftstellers, weil die Sommerfrische für Thomas Mann den Beginn einer inneren Veränderung markierte. Er hatte gerade die „Betrachtungen eines Unpolitischen“ geschrieben, die gar nicht unpolitisch waren, sondern kriegsbejubelnd und chauvinistisch. Kurz vor Erscheinen des Buches ahnte der Schriftsteller, dass er damit historisch auf dem falschen Dampfer war – und geriet in eine tiefe Schreib- und Lebenskrise. Erst in der Zeit danach entwickelte er sich zu dem Autor, der früh vor dem Faschismus gewarnt und die Demokratie als bestmögliche Staatsform betrachtet hat – wofür er gerade im Jubiläumsjahr seines 150. Geburtstags gefeiert wurde.

Thomas Mann, mit Hund, in der Sommerfrische am See.
Thomas Mann, mit Hund, in der Sommerfrische am See. (Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Unbekannt / TMA_0038/Unbekannt)

Die Schreibblockade eines Großschriftstellers, der Erste Weltkrieg, der heraufdämmernde politische Extremismus in Europa: eigentlich ein denkbar düsterer Hintergrund für ein Sommer-Hunde-Familien-Idyll. Doch Kerstin Holzer schafft es, diese ganz besondere Atmosphäre in federleichtem Ton zu beschreiben, sie erzählt von Manns Urlaub mit Hund und Kindern am See so elegant, wie ihr Windhund durch den Zaubergarten im Herzogpark trabt. Wobei sie Thomas Mann nicht als großen Hundeversteher und politischen Visionär darstellt, sondern als empfindlichen, eitlen Künstler, dessen Charakter äußerst widersprüchlich erscheint, zugleich autoritär und antiautoritär, geradlinig und orientierungslos.

Ambivalenz, Ironie und kulturelle Anspielungen bis zurück zur Antike ziehen sich durch Manns Werk, seine Leserschaft schätzt ihn dafür bis heute. Hunde können mit so etwas wenig anfangen. Sie brauchen eindeutige Anweisungen und verstehen eher klare Körpersprache als literarische Spitzfindigkeiten. Dementsprechend erfolglos war Thomas Mann wohl mit der Erziehung von Bauschan. Kerstin Holzer erzählt beim Spaziergang im Herzogpark eine Episode, wie der Schriftsteller einmal von Bogenhausen mit der Straßenbahn in die Stadt fuhr, ohne dem Hund zuvor deutlich zu signalisieren: „Du bleibst da!“ Daraufhin rannte der Hund der Tram hinterher und irrte zwei Tage lang durch München. „Oft macht er eine miserable Figur als Hundehalter“, sagt Kerstin Holzer, „er war in dieser Hinsicht eine pädagogische Null.“

Thomas und Katia Mann mit dem Pudel Nico.
Thomas und Katia Mann mit dem Pudel Nico. (Foto: Unbekannt/Unbekannt)

Über das Episodische hinaus ist „Thomas Mann macht Ferien“ auch ein Buch über den vielschichtigen Umgang von Menschen mit Hunden. „Thomas und Katja Mann waren antiautoritär, als es das Wort noch gar nicht gab“, sagt Holzer, und dementsprechend behandelten sie ihre Kinder und die Hunde. Bauschan durfte zwar nicht ins Haus und schlief draußen, andererseits wurde er nicht streng erzogen. Wenn der Meister am Schreiben war, musste der Hund sich allerdings mucksmäuschenstill verhalten. Bei Kerstin Holzer und ihrer Mascha ist das anders. Wenn sie an ihren Schreibtisch geht, war sie schon ausführlich mit ihr draußen, und die Hündin darf sie bei der Arbeit beobachten – vom Sofa aus. Das stört die Autorin nicht in der Konzentration, im Gegenteil: „Sie schaut dann oft wie eine Zen-Meisterin und strahlt eine unglaubliche Ruhe aus.“

Durch die Beschäftigung mit Thomas Manns Hund sei ihr bewusst geworden, sagt Kerstin Holzer, dass man eine große Verantwortung übernimmt, wenn man einen Hund hält, und dass es durchaus sinnvoll sein kann, sich von Experten Rat zu holen, um die Hundesprache verstehen zu lernen. Thomas Mann war zwar ein Sprachgenie, aber nur für Menschensprache. Von partnerschaftlichem Ansatz, positiver Verstärkung und anderen modernen Methoden der Hundeerziehung hatte er keine Ahnung, das meiste davon war noch nicht erfunden. Holzer besuchte mit Mascha zwar keine Hundeschule, ließ sich aber beraten von einem hundeerfahrenen Freund. Sie findet, dass ihr die Erziehung von Mascha gut gelungen ist: „Sie hat ihre Rolle als Hund absolut akzeptiert.“

Angenommen, Thomas Mann würde gut 100 Jahre nach Erscheinen von „Herr und Hund“ mit Mascha im Herzogpark spazieren – wie würde er das wohl empfinden und kommentieren? „Er wäre wahrscheinlich total genervt“, gibt Kerstin Holzer zu. Denn der Rückruf klappt nicht immer, Mascha kommt nicht so blitzartig, wie man es von einem Windhund erwarten würde. Wegen eines Wirbelsäulenleidens und permanenter Medikamentengabe wird sie schnell müde, ihr Frauchen nimmt Rücksicht darauf. Doch an guten Tagen fegt sie immer noch wie eine Rakete durch Wald und Schnee.

„Es gibt keinen schöneren Anblick“, findet Kerstin Holzer. „Danach liegt sie auf dem Sofa und blickt zu mir, mit lebhaftem Spiel der Augenbrauen. Man meint, sie zwinkere.“

Kleine Artenkunde: Barsoi

Er ist groß, schlank und schnell: Man sieht diesem Hund an, dass er zum Rennen geboren ist. Der Barsoi stammt aus Russland und wurde ursprünglich zur Jagd auf Wölfe gezüchtet. Die Rasse ist seit dem 17. Jahrhundert bekannt und wurde von Adligen für die Großwildjagd eingesetzt. Barsois galten als Statussymbol des russischen Adels, sie kommen auf vielen Gemälden des 18. und 19. Jahrhunderts vor und in Tolstoi-Romanen. Nach der Russischen Revolution galten sie als fast ausgerottet, da sie als Lieblingshunde der Zaren ein Feindbild der Bolschewiki waren. Heute sind sie als Haustiere beliebt und werden auch bei Hunderennen eingesetzt. Rüden werden bis zu 90 Zentimeter hoch und 45 Kilo schwer, Weibchen sind etwas kleiner. Der Windhund gehört zu den schnellsten Landsäugetieren der Welt und kann mehr als 60 Kilometer pro Stunde erreichen. Allerdings nur kurz – Barsois sind eher Sprinter als Marathonläufer.