Hans und Ilse Breuer-Stiftung in Frankfurt hilft Menschen mit Demenz

Ist auch nichts vergessen worden? Kartoffeln, Karotten, Zwiebeln? Mit vereinten Kräften wird in der geräumigen Gemeinschaftsküche einer Alten-WG das Mittagessen vorbereitet. Wer von den betagten Bewohnerinnen kann und mag, hilft beim Schnippeln und Schälen des Gemüses. Eine Pflegerin behält derweil die Übersicht über die verschiedenen Arbeitsschritte und assistiert hie und da.

Die alltägliche Szene ist allerdings keine Selbstverständlichkeit. Alle neun Bewohnerinnen dieser auf zwei Stockwerken einer denkmalgeschützten Villa im Offenbacher Westend untergebrachten Wohngemeinschaft sind dement. Wie ihnen vielleicht das Wort für das Ding entfallen sein mag, das sie gerade in der Hand halten, fehlt ihnen möglicherweise auch just die Erinnerung, was sie damit eigentlich anstellen wollten. Wie sich die kognitiven Einschränkungen zeigen, die mit einer Demenz einhergehen, ist individuell sehr verschieden. Manche Menschen bauen innerhalb einiger Monate ab, bei anderen dauert die Ausprägung des Leidens bis zu zwei Jahrzehnte.

Selbstbestimmter Alltag trotz Demenz

Rotraud lebt schon seit einigen Jahren in der Offenbacher Wohngruppe, und wer der humorvollen Frau begegnet, deren leicht sächselnder Zungenschlag ihre frühere Heimat verrät, würde weder glauben wollen, dass sie mittlerweile 87 Jahre alt ist, noch, dass ihre Demenz fortschreitet. „Ich kann nicht mehr rechnen“, sagt sie entschuldigend, als sie von früheren Mitbewohnern berichtet, aber nicht gleich parat hat, wann diese die Gemeinschaft verließen, sei es durch Tod oder sei es in der Endphase der Krankheit gewesen, die eine Betreuung verlangt, die im „StattHaus Offenbach“ nicht geleistet werden kann.

„StattHaus“ ist der Name des Gebäudes an der Geleitstraße in Offenbach, in dem die Wohngruppe zu finden ist. Von Demenz Betroffenen soll in dieser Gemeinschaft ein möglichst eigenständiger Alltag ermöglicht werden. Unterstützt werden sie dabei nicht nur von den professionellen Pflegern eines ambulanten Pflege- und Betreuungsdienstes, sondern auch von Familienangehörigen und Ehrenamtlichen. Nicht allein nur die Demenzkranken in der Wohngemeinschaft erfahren in dem Haus Betreuung. Es gibt auch eine Tagesbetreuung für eine Gruppe von 25 bis 30 Menschen, bei denen Demenz zwar diagnostiziert worden, aber noch nicht so ausgeprägt ist, dass sie völlig im Griff der Erkrankung wären. Für sie ist das „StattHaus“ ein Treffpunkt und für ihre Angehörigen ein wichtiges Beratungs- und Informationszentrum, dessen Bedeutung weit über Offenbach und das Rhein-Main-Gebiet hinausreicht.

Das StattHaus in der Geleitstraße in Offenbach
Das StattHaus in der Geleitstraße in OffenbachJannis Schubert

Die Geschichte des 2014 eröffneten „StattHauses“ hat dabei mit der Krankheit selbst zu tun. Hinter dem Projekt steckt die Frankfurter Hans und Ilse Breuer-Stiftung, die das Haus 2010 gekauft hatte, es umfassend sanieren ließ und nun als Vermieter seinen Betrieb organisiert. Die Stiftung ist am 12. Dezember 2000, vor nunmehr 25 Jahren also, in Frankfurt durch den Unternehmer Hans Breuer und seine Söhne in Erinnerung an Ilse Breuer – Ehefrau und Mutter – gegründet worden, die in den Neunzigerjahren an Demenz erkrankt war.

Aufklärung, Hilfe und Forschung

Heilung gibt es bis heute nicht, doch war damals auch das Informationsangebot für Betroffene und Angehörige noch sehr überschaubar. „Die Krankheit wurde zu viele Jahre als Tabu betrachtet“, sagt Peter Breuer, ältester Sohn von Hans Breuer, der seit dem Tod seines Vaters im Jahr 2002 den Vorsitz des Kuratoriums der Stiftung innehat, deren strategische und inhaltliche Entwicklung er entwickelte: Die Stiftung sollte sich sowohl in der Betroffenenhilfe engagieren als auch die Grundlagen- und Versorgungsforschung fördern.

Durch den Verkauf von Anteilen an einem von Hans Breuer mitaufgebauten erfolgreichen Unternehmen mit einem beträchtlichen Vermögen ausgestattet, verleiht die Stiftung seit dem Jahr 2006 den mit 100.000 Euro dotierten Alzheimer-Forschungspreis und hat zudem mittlerweile 40 Promotionsstipendien an den wissenschaftlichen Nachwuchs vergeben. Über die Erkenntnisse der Wissenschaftler infor­miert die Stiftung regelmäßig auf ihrer Internetseite www.breuerstiftung.de, wobei es mehr als 50 verschiedene Ursachen für die Erkrankung gibt. Demenz kann jeden treffen, doch wen es tatsächlich trifft, hängt von Zufällen, der Genetik und zu einem guten Teil auch von der Lebensführung ab.

2,3 Millionen Betroffenen im Jahr 2030

So hat das medizinische Fachmagazin „The Lancet“ im vergangenen Jahr in einem Beitrag 14 Risikofaktoren für verschiedene Demenzformen wie Alzheimer aufgeführt, die sich vom Menschen beeinflussen lassen. Der soll nicht rauchen, sich genug bewegen, nicht übergewichtig werden, wenig Alkohol trinken, Blutfette und -druck regulieren, Hör- und Sehminderungen behandeln lassen, Diabetes vermeiden und soziale Kontakte pflegen, um nicht zu vereinsamen. Auch vor Mikro­plastik und Feinstaub soll er sich schützen. „Die Prävention wird ein weiteres wichtiges Thema für die Stiftung werden“, nennt Peter Breuer deshalb einen künftigen dritten Schwer­punkt in der Stiftungsarbeit.

Peter Breuer, Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung, und Katja Bär, Geschäftsführerin der Stiftung
Peter Breuer, Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung, und Katja Bär, Geschäftsführerin der StiftungFrank Röth

Diese Erweiterung der inhaltlichen Ausrichtung kommt nicht von ungefähr. Breuer und Katja Bär, die Geschäftsführerin der Stiftung, erwarten in den nächsten Jahren einen gravierenden Anstieg bei den Demenzerkrankungen. „Es wird mit 2,3 Millionen Betroffenen im Jahr 2030 gerechnet. Wohin mit denen? Die Boomer kommen ja jetzt erst in die Phase, in der sich die Krankheit bemerkbar macht“, sagt Bär auch vor dem Hintergrund der prekären Versorgungslage, die sich vermutlich noch weiter verschlechtern und somit vor allem pflegende Angehörige immens fordern wird.

„Demenz ist immer noch stigmatisiert“

Ein Bewusstsein für diese gesellschaftliche Herausforderung zu schärfen, ist ein Anliegen der Stiftung, die um die Scheu vor dem Thema Demenz nur zu gut weiß. „Die Krankheit ist ja immer noch etwas stigmatisiert“, sagt Bär, die manchmal hofft, eine prominente Persönlichkeit möge sich schon früh zu einer Demenzdiagnose bekennen, um so den Blick einer breiten Öffentlichkeit auf das Thema zu lenken: „Die Diagnose der Krankheit bedeutet ja nicht gleich das Ende“, sagt sie.

Ein kleines Café im StattHaus dient Betroffenen und Angehörigen als Treffpunkt.
Ein kleines Café im StattHaus dient Betroffenen und Angehörigen als Treffpunkt.Jannis Schubert

Das würden die Mitglieder der Wohngemeinschaft in Offenbach vermutlich sofort unterschreiben, die im „StattHaus“ nicht nur Begleitung, sondern auch Austausch erfahren, versteht sich das Projekt doch als Begegnungsstätte für Kranke und Gesunde. So findet sich im Haus etwa ein kleines Café mit Terrasse, das auch Besuchern und Nachbarn offen steht, von denen einige regelmäßig die Gelegenheit nutzen, dort nach vorheriger Anmeldung ein vegetarisches Mittagessen zu erhalten. Auf diese Weise würden ganz unverkrampft unsichtbare Barrieren beseitigt, sind sich Breuer und Bär gewiss, die auch immer wieder Firmen ermutigen, ihren jährlichen „social day“ auf dem Gelände des „StattHauses“ abzu­halten. Unter entsprechender Anleitung jäten dann Mitarbeiter von Banken oder Versicherungen den großen Garten, streichen Wände und verrichten sonstige Arbeiten rund ums Haus, derweil sie nebenbei das Konzept des Demenzzentrums kennenlernen.

Die Erfahrungen mit diesem Konzept tauscht die Stiftung ebenso mit ähnlich ausgerichteten Institutionen und Projekten im Bundesgebiet aus, wie sie auch eine Beratung zur Gründung oder Entwicklung von Demenz-Wohngemeinschaften anbietet. Gemeinsam mit dem Institut für Zukunftsfragen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft der Evangelischen Hochschule Darmstadt hat die Stiftung außerdem vor drei Jahren das hessische Modellprojekt „MyCareNet“ für Menschen mit Demenz unter 65 Jahren gegründet, diese Gruppe, die noch einmal vor ganz anderen familiären Herausforderungen steht, wächst ebenfalls.

Neben der Verbreiterung der Stiftungstätigkeit würde der mittlerweile 77 Jahre alte Peter Breuer auch gerne noch einen lange gehegten Wunsch in die Tat umsetzen. „Die Stiftung ist in Frankfurt gegründet worden und hat hier in der Stadt ihren Sitz, deshalb möchten wir auch hier ein ,StattHaus‘ einrichten“, sagt er. Allerdings fehlt es auch nach langer Suche noch immer an einer geeigneten Immobilie. Die Stadt selbst konnte bisher noch keinen vernünftigen Vorschlag unterbreiten. „Wir wollen jetzt vielleicht einen Makler einschalten“, sagt Breuer, der weiter auf ein verkehrsgünstig gelegenes Objekt in einem der citynahen Stadtteile hofft. Dort würde ein Beratungs- und Informationszentrum nebst Tagesbetreuung, aber keine Wohngemeinschaft eingerichtet werden. Diese Besonderheit ist der vergnügten Gruppe in der Geleitstraße vorbehalten.

Die Stiftung

Die Hans und Ilse Breuer-Stiftung wurde am 12. Dezember 2000 in Frankfurt von dem Unternehmer Hans Breuer und seinen Söhnen zur Erinnerung an die an Demenz erkrankte Ehefrau und Mutter Ilse Breuer gegründet. Die Stiftung hat es sich zum Ziel gemacht, die Lebens­situation von Demenzkranken und ihren Angehörigen zu verbessern und die Grundlagen- und Versorgungsforschung zu Demenz zu fördern. Die Stiftung bietet ein umfangreiches ­Informationsangebot, das unter www.breuerstiftung.de zu finden ist. Sie betreibt als weithin beachtetes Projekt das „StattHaus Offenbach“ und verleiht jährlich den mit 100.000 Euro dotierten Alzheimer-Forschungspreis.