Warum handgeschriebene Post ein Comeback verdient

Vor nicht allzu langer Zeit wollte ein Freund eine Postkarte kaufen. An der Kasse fiel ihm auf, dass er kein Bargeld bei sich hatte und der Kioskbesitzer Kartenzahlung erst ab höheren Beträgen akzeptierte. Er war also dabei, wieder zu gehen, als ein bekannter Schauspieler, der gerade zufällig den Laden betreten hatte, sich einmischte: „Postkarten sind wichtig“, sagte er und zahlte für ihn.

In Dänemark scheint man die Meinung des Schauspielers nicht zu teilen: Ab kommendem Jahr stellt das Unternehmen PostNord die Briefzustellung ein, sämtliche Briefkästen werden abgebaut. Wollen die Dänen keine Briefe mehr schreiben? Angesichts der Tatsache, dass eine Inlandssendung, die am nächsten Tag da sein soll, in Dänemark fast fünf, eine Postkarte ins Ausland fast sieben Euro kostet, könnte man umgekehrt fragen: Will das Unternehmen überhaupt, dass die Dänen Briefe schreiben? In Deutschland ist Porto zwar deutlich günstiger, doch auch hier hat sich der Preis für eine Postkarte in den letzten sechs Jahren mehr als verdoppelt. Werden die Leute deshalb doppelt so lang überlegen, ob sie eine Karte schreiben? Ist das alles, wie der Illustrator Axel Scheffler überlegt, „ein böser Plan, uns das Handwerk zu legen“?

Der Brief droht auszusterben

Scheffler ist Briefschreiber und illus­triert einfallsreiche und lustige Umschläge, die schon in Ausstellungen zu sehen waren. Inzwischen sind einige in einem kleinen Büchlein versammelt. Zwei bis drei Briefe die Woche verschickt Scheffler, der in Großbritannien lebt, oft an Freunde und Kollegen aus Deutschland. Im Moment bekommt seine Tochter, die ein freiwilliges soziales Jahr an der Ostsee macht, einmal in der Woche einen Brief mit maritimen Motiven. Es ist für Scheffler nichts Besonderes, einen Brief zu schreiben, sondern eine selbstverständliche Form der Kommunikation.

Wenn etwas aber droht auszusterben, ist es nicht mehr selbstverständlich. Was früher eine normale Handlung war, gerät zu einem außergewöhnlichen, fast heiligen Akt. Briefe schreiben ist so zum Traum von Achtsamkeitsinfluencern geworden: Auf Instagram kann man ihnen dabei zusehen, wie sie zu dudeliger Musik und bei Kerzenschein Briefe mit der Füllfeder schreiben und die Umschläge selbstverständlich mit Wachs verschließen – ganz so, als lebten wir noch zu Jane Austens Zeiten. Nun ist gegen schön gestaltete Post nichts zu einzuwenden, doch kann man wohl feststellen, dass alles, was einen solchen Grad der Fetischisierung erreicht hat, so gut wie tot ist. Die Momente, in denen man Kerzen anzündet und das Tintenfass aufschraubt, sind bei den meisten Menschen rar gezählt. Dementsprechend schicken viele ihre Briefe nur los, wenn es wirklich drauf ankommt: im Falle großer Liebe, wenn Anlass zu Versöhnung oder finaler Abrechnung ist.

Post braucht keinen Anlass

Dabei machen Postkarten und Briefe, sie zu schreiben, sie zu bekommen, ja auch Spaß. Man sollte ihnen also das Gravitätische nehmen, sie dürfen, ja sollten ganz beiläufig kommen, anlasslos. Mit Ausnahme des Anlasses, anderen eine Freude zu machen. Denn während früher ein voller Briefkasten bei manchen Menschen ebensolche Beklemmungen ausgelöst haben mag wie heute ein volles E-Mail-Postfach, ist diese Form der Kommunikation heute von jeglichen Ver­pflichtungen, jeglichem praktischen Zweck befreit und gerade deshalb schön. In einer Forsa-Umfrage aus diesem Sommer gaben zwei Drittel der Befragten an, dass sie sich über Urlaubsgrüße in Postkartenform am allermeisten freuten. (Dafür schreiben sie allerdings erstaunlich selten.)

Lange keine Karte mehr geschrieben? Weihnachten wäre ein Anlass
Lange keine Karte mehr geschrieben? Weihnachten wäre ein AnlassPicture Alliance

Physische Post ist nicht per se besser als elektronische, selbstverständlich kann man interessante, liebevolle, geistreiche E-Mails und Nachrichten schreiben – oder völlig banale Postkarten. Trotzdem gibt es Unterschiede: Weil man Briefe und Postkarten eben nicht mehr nutzt, um etwas Wichtiges zu berichten, verschickt man sie meist, um zu erzählen oder zu überraschen. Man kann Anekdoten und Beobachtungen teilen, man kann zeichnen und albern sein oder sich so öffnen, wie man es sich sonst vielleicht nicht traut. Scheffler sagt, er beklage sich in Briefen auch über die Überforderungen, die das Leben mit sich bringe, was seine Freunde geduldig ertrügen. Allerdings seien sie mit einem hübschen Umschlagbild ja auch etwas entschädigt.

Zu den Überforderungen des Leben gehört, dass es immer komplizierter wird, Post zu verschicken. Wie sehr man eine Person mag, zeigt sich so nicht nur am Inhalt einer Karte, die man ihr schreibt, sondern auch an der Anzahl der Hürden, die man genommen hat, um sie ihr zukommen zu lassen. Gerade im Urlaub kann die Suche nach Postkarten und Briefmarken zu einer regelrechten Schnitzeljagd werden. Wer sich aber darauf einlässt, wird belohnt. Postkarten sind eine von vielen Menschen völlig unterschätze Kunstform, die bewahrt werden muss.

Der bizarre Unterhaltungswert viktorianischer Weihnachtskarten

Wer dafür noch einen Beweis braucht, sollte sich, anlässlich der kommenden Feiertage, zu denen ja noch einige Karten verschickt werden, viktorianische Weihnachtskarten anschauen. Die haben mit versöhnlichem Kitsch häufig nichts zu tun, sie zeigen furchtlos die dunklen Seiten des Lebens: Raubüberfälle und Morde (häufig sind Tiere oder Clowns involviert), Kinder, die in Teetassen gekocht werden, Vögel, die (nach übermäßigem Festtagsessen?) tot am Boden liegen. „Frohe Weihnachten und gute Wünsche für die Festtage“ ist darunter zu lesen. Nicht alle Motive sind makaber, manche sind schlicht skurril: Eine Maus, die auf einem Hummer reitet, zwei Hähne beim Frühstück im Bett oder fröhliche Muscheln, die Schiffen hinterherblicken. Wer würde sich nicht über so eine Überraschung im Briefkasten freuen?

Weihnachtsgrüße aus dem Zebragehege
Weihnachtsgrüße aus dem ZebragehegePicture Alliance

Die ungewöhnlichen Motive entstanden zur Zeit einer Kommunikationsrevolution: Die erste Postkarte wurde 1840 in England verschickt und fiel zusammen mit der Erfindung der Briefmarke. Musste vorher der Empfänger zahlen, abhängig von Größe und Distanz, klebte nun der Schreiber selbst eine Marke auf den Umschlag. Die „Penny Black“ erlaubte es, kleinere Briefe für einen Penny zu verschicken – egal über welche Distanz. Gleichzeitig erfand George Baxter eine günstigere Form des Farbdrucks. Die Kombination aus beidem machte den Austausch per Post einfacher, günstiger und sehr beliebt. Viele Leute sammelten Karten, die sie bekamen, in dafür vorgesehenen Alben.

Trägt dieser Zapfen ein Messer? Einen Brieföffner? Eine Nagelfeile? Manche Karten geben Rätsel auf
Trägt dieser Zapfen ein Messer? Einen Brieföffner? Eine Nagelfeile? Manche Karten geben Rätsel aufPicture Alliance

Von Briefmarken für einen Penny haben wir uns bekanntermaßen weit entfernt. „Ich denke“, sagt Axel Scheffler, „wenn ich irgendwann der allerletzte Briefeschreiber bin, kostet ein Brief 200 Pfund.“ Aber vielleicht kommt es gar nicht so weit. Als die Journalistin Rachel Syme während der Corona-Zeit eine Brieffreundschaft suchte, meldeten sich so viele Leute, dass Syme begann, sie miteinander bekannt zu machen. Am Ende waren 15.000 Brieffreunde beteiligt.

Kürzlich ist Scheffler der „Hand­written letter appreciation society“ beigetreten, einer Gesellschaft zur Huldigung des handgeschriebenen Briefes. Zugegebenermaßen betreibt auch die, genau wie dieser Artikel, einen gewissen Kult des Briefs. Aber, versprochen: Um anderen etwas zu schicken, braucht man weder Tintenfass noch Büttenpapier. Nehmen Sie einen Kuli und was sie gerade zu Schreiben finden, und schicken Sie Menschen, die sie mögen, was Ihnen heute Lustiges oder Bemerkenswertes passiert ist. Am besten geht die erste Karte nach Dänemark. Mal sehen, wo sie landet.