Wie der Mord an Rob und Michele Reiner Brentwood erschüttert

Mit der Ruhe ist es in Brentwood vorbei. Auf der Suche nach der South Chadbourne Avenue schieben sich aus Richtung Sunset Boulevard seit Tagen zahllose Übertragungswagen von Fernsehsendern durch die Wohnstraßen der Nobelenklave. Schaulustige blockieren die Einfahrten zu den Villen des Viertels mit ihren hohen Hecken in Los Angeles’ Westen. Am Brentwood Country Mart tauschen sich derweil Vlogger bei Latte und Croissants über den Einfluss von Rauschgift auf die Psyche aus.

Nach dem Tod des Filmemachers Rob Reiner und seiner Ehefrau Michele, die am vergangenen Sonntag mit durchschnittenen Kehlen in ihrem Haus an der South Chadbourne Avenue entdeckt wurden, wird in Brentwood spekuliert. Was ging im Kopf ihres jüngsten Sohnes Nick vor, der nach einer Mordanklage inzwischen in der Haftanstalt Twin Towers Correctional Facility sitzt? Hat der Zweiunddreißigjährige seine berühmten Eltern im Drogenrausch getötet? Und wann griff er zum Messer? Seit vor einigen Tagen ein Video der Tankstelle an der Ecke von San Vicente Boulevard und 26th Street im Internet auftauchte, das Nick Reiner in der Tatnacht bei einem Spaziergang zeigt, suchen die Schaulustigen auch hier nach Antworten. „Jeder will wissen, ob er Rob und Michele schon getötet hatte, als er durch die Nacht lief. Viele fragen auch nach O. J.“, spielt der Kassierer auf die sogenannten Simpson-Morde an, die Brentwood im Sommer 1994 erschütterten.

Schon bei O.J. Simpson wurde das Viertel zur Attraktion

Wie in den vergangenen Tagen wurde das wegen seiner Abgeschiedenheit bei Prominenten beliebte Viertel damals über Nacht zur Attraktion. Am Bundy Drive, ein paar Minuten von der South Chadbourne Avenue entfernt, hatten Nachbarn am 13. Juni 1994 die blutüberströmten Leichen von Nicole Brown Simpson, der früheren Ehefrau des Footballstars und Schauspielers O. J. Simpson, und ihres Begleiters Ronald Goldman entdeckt. Wochenlang kamen Schaulustige nach Brentwood, um die Polizeiabsperrungen, Kameracrews und Blutflecken vor Brown Simpsons Town­house zu sehen. Ein paar Tage nach der Beisetzung der 35 Jahre alten gebürtigen Frankfurterin verfolgten fast 95 Millionen Amerikaner am Fernseher, wie „O. J.“ mit einer Pistole in der Hand von einem Freund in einem weißen Bronco durch Los Angeles gefahren wurde. Nach zwei Stunden nahmen Beamte des Los Angeles Police Department (LAPD) ihn vor seinem Anwesen in Brentwood fest.

Schaulustige vor dem Haus der Reiners in Brentwood.
Schaulustige vor dem Haus der Reiners in Brentwood.Picture Alliance

Vier Jahre später ließ der neue Eigentümer das Haus an der North Rockingham Avenue abreißen. Auch die Bewohner von Nicole Brown Simpsons Town­house wurden die Schaulustigen mit der Zeit leid. Einige Jahre nach dem spektakulären Doppelmord vor ihrer Haustür, dem ein ebenso aufsehenerregender Freispruch für O. J. Simpson folgte, ließen sie deshalb das Gartentor verlegen, Hecken pflanzen und die Hausnummer ändern.

Dass der Mord an Rob Reiner und seiner Ehefrau Michele Erinnerungen an das Verbrechen hochkommen lässt, liegt nicht nur an der Nähe zu Bundy Drive und North Rockingham Avenue. Wie nach dem Tod von Brown Simpson und Goldman erhob die Staatsanwaltschaft des Bezirks Los Angeles am Dienstag auch in der Causa Reiner Mordanklage gegen ein Familienmitglied. Wie Brown Simpson und Goldman wurden auch der 78 Jahre alte Reiner und seine zehn Jahre jüngere Ehefrau Michele, eine Fotografin und Produzentin, durch unzählige Messerstiche getötet. In beiden Fällen begaben sich die Verdächtigen auf die Flucht.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Wie die Ermittler des LAPD in den vergangenen Tagen rekonstruierten, mietete Nick Reiner am früheren Sonntagmorgen, kurz nach der Videoaufzeichnung an der Tankstelle, ein Hotelzimmer im benachbarten Küstenort Santa Monica. Als er einige Stunden später auscheckte, fand das Hotelpersonal in Bett und Dusche des Zimmers größere Mengen Blut. Beamte vom LAPD und einer auf Flüchtige spezialisierten Einheit der U.S. Marshals stellten den jüngsten Sohn der Reiners schließlich am späten Sonntagabend etwa 25 Kilometer entfernt von Brentwood in der Innenstadt von Los Angeles. Seine Schwester Romy Reiner hatte ihn zuvor als „gefährlich“ beschrieben. Wie der drogensüchtige und psychisch auffällige Zweiunddreißigjährige die Stunden vor der Verhaftung verbrachte, ist vorerst ein Rätsel.

Auch die Umstände, unter denen seine vier Jahre jüngere Schwester am Sonntagnachmittag die Leichen ihrer Eltern fand, bleiben eine Woche nach dem Verbrechen bruchstückhaft. Wie Nachbarn und Freunde durchsickern ließen, entdeckte die Schauspielerin ihren Vater tot im Schlafzimmer. Eine Masseurin, die an der South Chad­bourne Avenue vor verschlossenem Tor stand, soll die Schauspielerin zuvor angerufen haben. Dass auch ihre Mutter ermordet wurde, erkannte Romy Reiner angeblich erst, als Einsatzkräfte nach ihrem Notruf auch den Leichnam der Achtundsechzigjährigen entdeckten. In den nächsten Stunden fanden sich Weggefährten, unter ihnen der Comedian Billy Crystal sowie der Produzent und Schauspieler Larry David, in Brentwood ein.

Rob Reiner hatte prominente Freunde

Rob Reiner gehörte jahrzehntelang zu Hollywoods beliebtesten Filmschaffenden. Nach einer Karriere als Schauspieler in den Siebzigerjahren, unter anderem in der Kultserie „Es bleibt in der Familie“, führte der Sohn des Komikers Carl Reiner in den Achtzigern und Neunzigern Regie bei Produktionen wie „Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers“, „Die Braut des Prinzen“ und „Ghosts of Mississippi – Das Attentat“. Bei den Dreharbeiten zu der Komödie „Harry und Sally“ lernte er Michele Singer kennen. Das Paar heiratete im Mai 1989. Zwei Jahre nach der Hochzeit kam der gemeinsame Sohn Jake zur Welt, wiederum zwei Jahre später Nick; Romy Reiner wurde im Jahr 1997 kurz nach Weihnachten geboren. Während seiner ersten Ehe mit der Filmemacherin Penny Marshall hatte Rob Reiner schon deren Tochter Tracy, heute 61 Jahre alt, adop­tiert.

In Hollywood machte sich der Emmy-Preisträger aber nicht nur durch Talent, Arbeitseifer und Freundlichkeit einen Namen. Gemeinsam mit seiner Ehefrau engagierte sich der Anhänger der Demokratischen Partei für politische Themen wie die gleichgeschlechtliche Ehe und Sozialprogramme für Kinder. Neben prominenten Freunden wie Crystal, Meg Ryan und Jane Fonda trauerten in den vergangenen Tagen auch amerikanische Politiker wie Barack Obama, Bill Clinton und Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom öffentlich um die Eheleute Reiner. Auch die frühere Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris, wie Reese Witherspoon und Arnold Schwarzenegger in Brentwood eine Nachbarin des Paares, meldete sich. „Ron hat unser Land geliebt und sich immer wieder für die Demokratie der Vereinigten Staaten eingesetzt“, schrieb Harris in sozialen Medien.

Bei einer Gedenkfeier auf dem Anwesen des Schauspielers und Regisseurs Albert Brooks erinnerten sich Freunde und Bekannte in dieser Woche an ihr letztes Treffen mit Rob Reiner, seiner Ehefrau und ihrem Sohn. Nach früheren Aussetzern von Nick, der schon als Jugendlicher Opioide und Heroin konsumierte, mindestens 20 Aufenthalte in Entzugskliniken absolvierte und immer wieder auf der Straße lebte, war er auch während einer Weihnachtsfeier des Entertainers Conan O’Brien am Samstag vor der Tat durch Streitereien und Beleidigungen aufgefallen.

Viele Gäste, die zu O’Briens Villa in Brentwood gekommen waren, erinnerten sich auch an eine lautstarke Auseinandersetzung Nick Reiners mit seinem Vater. Laut „Daily Mail“ gab der Filmemacher nach dem Streit zu, sich vor seinem Sohn zu fürchten. „Ich kann es kaum glauben, aber ich halte es für möglich, dass mir mein eigener Sohn etwas antut“, zitiert ein anonymer Freund den Achtundsiebzigjährigen.

Der Regisseur von „Harry und Sally“ mit Billy Crystal und Meg Ryan.
Der Regisseur von „Harry und Sally“ mit Billy Crystal und Meg Ryan.Imago

Bei einer ersten Gerichtsanhörung am vergangenen Mittwoch machte der 32-Jährige keine Angaben dazu, ob er sich schuldig oder nicht schuldig bekennt. Sein Anwalt Alan Jackson bat anschließend vor dem Gerichtsgebäude die versammelten Journalisten um „Zurückhaltung und Würde“. Die Familie Reiner sei von einer „verheerenden Tragödie“ erschüttert worden. Er forderte dazu auf, „keine voreiligen Schlüsse zu ziehen“, da es um „sehr, sehr komplexe und schwerwiegende Probleme“ gehe, die nun gründlich, „aber mit Bedacht behandelt, geprüft und analysiert werden“ müssten.

Romy Reiner, die wie ihre ermordeten Eltern in Brentwood lebt, bat derweil um „Milde“ bei Spekulationen über das Verbrechen. Hinter dem weißen Holztor an der South Chadbourne Avenue scheinen sich schon in der Vergangenheit weit größere Dramen abgespielt zu haben als vermutet. Ob es reicht, wie nach dem Simpson-Mord am Bundy Drive die Hausnummer zu ändern, oder ob Rob Reiners Anwesen wie das von O. J. Simp­son abgerissen wird, hängt wohl auch von dem Strafprozess gegen Nick Reiner ab. Sicher ist aber schon heute, dass der Strom der Schaulustigen im eigentlich beschaulichen Brentwood vorerst nicht abreißt.