

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben am Freitagmorgen beschlossen, zur Finanzierung der Ukraine-Hilfe gemeinsame Schulden aufzunehmen. Genau das hatte der Bundeskanzler keine 24 Stunden zuvor noch ausgeschlossen. Immer wieder hatte er negiert, dass es einen „Plan B“ gebe, also eine Alternative zu der von ihm selbst besonders kategorisch verfochtenen Nutzung der in Belgien lagernden russischen Zentralbankguthaben. Noch zu Gipfelbeginn hatte Friedrich Merz begründet, warum der „Plan B“ nicht möglich sei: weil dieser in Eurobonds bestehe, also in der von ihm bisher verteufelten Gemeinschaftsverschuldung.
Je vollmundiger der Kanzler vorab etwas ausschließt, desto sicherer wird es anschließend beschlossen. Dieses Muster ist aus Berlin – auch da ging es um neue Schulden – bestens bekannt. In Brüssel ist es (noch) etwas Neues. Auch Merz’ Vorgänger Angela Merkel und Olaf Scholz mussten gerade in der Budgetpolitik bei ähnlichen Anlässen Positionen räumen – aber nie so schnell und so schlecht vorbereitet.
Merz wollte Ruf als „Außenkanzler“ festigen
Merz ist vor drei Monaten ohne Not – und ohne nach links und rechts zu schauen – mit dem Plan vorgeprescht, die russischen Gelder zu nutzen, abgesichert durch eine „Reparationsanleihe“ der EU. Der Kanzler glaubte, er könne sich so in der EU als neue Führungskraft etablieren und seinen Ruf als „Außenkanzler“ festigen. Am Ende scheiterte er am belgischen Ministerpräsidenten Bart De Wever, der innenpolitisch schon mit viel zäheren Gegnern zu tun hatte, und an sehr absehbaren Folgeproblemen: Frankreich und Italien weigerten sich, mit eigenem Geld jene Garantien zu leisten, die De Wever für seine Zustimmung zur Reparationsanleihe gefordert hatte.
Das war alles denkbar vorhersehbar. Merz hat die seit langem bestehenden Bedenken gegen die Reparationsanleihe, die nicht nur von dem um das in seinem Land ansässigen Zentralverwahrer Euroclear besorgten De Wever, sondern auch von der Europäischen Zentralbank und von Juristen geäußert wurden, ignoriert. Und er hat es versäumt, die Chancen seines Vorschlags – und dessen Risiken und Nebenwirkungen – politisch auszuloten. Das zeugt nicht von Führungsstärke, sondern von deren Gegenteil.
Reparationsanleihe erstmal vom Tisch
Teilweise zeigte sich dieses Muster auch im Zwist um den Abschluss der Verhandlungen mit den Mercosur-Staaten. Merz hatte auf dem EU-Gipfel im Oktober verkündet, die endgültige Einigung über das für Deutschland so wichtige Mercosur-Abkommen sei reine Formsache und werde im Dezember erfolgen. Auch hier hat er sich getäuscht, freilich aus Gründen, die er weniger zu verantworten hat. Und dafür, dass das Abkommen noch nicht tot ist, spricht immerhin einiges.
Für die Reparationsanleihe gilt das nicht. Dass sie die EU-Staaten weiter prüfen wollen, verfehlt sogar den Zweck, das Gesicht des Kanzlers zu wahren. Die Finanzierung von 90 Milliarden Euro über neue Gemeinschaftschulden deckt den ermittelten Finanzbedarf der Ukraine in den kommenden beiden Jahren, deshalb wird der Zugriff auf russische Guthaben für absehbare Zeit vom Tisch sein.
Eurobonds sind die bessere Lösung
Und das ist gut so. Auch wenn Eurobonds in Deutschland aus guten Gründen für toxisch gehalten werden und die neuen Gemeinschaftsschulden zu neuen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht führen werden: Sie sind die transparentere und deshalb bessere Lösung. Denn jetzt wird viel klarer als mit der finanzakrobatischen Reparationsanleihe, dass Deutschland abermals für EU-Schulden mithaften muss. Zu wünschen wäre, dass dieses Ergebnis in Deutschland und der EU endlich zu einer ehrlichen Diskussion führt, wofür die immer knapper werdenden öffentlichen Mittel eingesetzt werden sollen und wofür nicht. Das schließt die Frage ein, woran zu Gunsten der Ukraine zu sparen ist. Aber diese Diskussion wird vermutlich weiter auf sich warten lassen.
Jenseits der Ukraine-Finanzierung muss sich Merz indes fragen, wie er jetzt die unverändert erhobenen (und von ihm hoffentlich wahrgenommenen) Forderungen noch eingefangen bekommt, die EU müsse sich noch viel mehr gemeinsam verschulden und beispielsweise den ebenfalls auf EU-Schulden beruhenden Corona-Fonds verstetigen. Gerade jene Staaten, deren Verschuldung bedenkliche Höhen erreicht hat, werden diese Diskussion jetzt befeuern, und die Ukraine-Schulden dienen ihnen als Präjudiz. Das lässt sich durchaus etwas dramatischer zusammenfassen: Wenn sich in der Budgetpolitik nichts ändert, steht der EU die nächste Schuldenkrise ins Haus.
