
Für einen Mann, der vor ein paar Minuten einen Prozess und 57.000 Euro verloren hat, wirkt Peter Pilz reichlich gelassen. Vielleicht, weil es nicht seine erste Niederlage ist vor Gericht. Außerdem sei er ja schon in Pension, sagt der Politveteran und ehemalige Abgeordnete für die Grünen und seine Liste Pilz. „Ich bin jetzt sicher kein gebrochener Mann.“ Aber einverstanden mit dem Urteil, das Richter Daniel Potmesil an diesem Donnerstagnachmittag im Wiener Landesgericht für Strafsachen gefällt hat, ist er ganz und gar nicht. Sein Buch Der Tod des Sektionschefs über das Ableben des mächtigen Justizbeamten Christian Pilnacek soll eingezogen werden, außerdem soll sein Verlag Zack Media Schadenersatz an insgesamt vier Polizeibeamte zahlen, die wegen „übler Nachrede“ geklagt hatten. Zu Recht, wie der Richter befand.
Pilz dagegen wittert „politische Zensur“, er wird Berufung einlegen. Was der Einzug des Buches genau bedeutet, weiß noch nicht einmal sein Anwalt, wahrscheinlich werden erst mit einem rechtskräftigen Urteil in der nächsten Instanz die verbliebenen Exemplare aus dem Verkehr gezogen. Pilz empfiehlt jedenfalls schon einmal mit einem Augenzwinkern, sich jetzt schnell noch ein Exemplar zu besorgen. An einem Nachfolger arbeitet er bereits, in seinem Schlussplädoyer teaserte er den Inhalt schon einmal für alle Anwesenden an. Vom Urteil werde er sich nicht in seiner Arbeit beeinflussen lassen, sagt er. Pilz ist da, wenn man so will, ein Überzeugungstäter.
In Der Tod des Sektionschefs schreibt er über Ungereimtheiten in den Ermittlungen um die Causa Pilnacek. Der Sektionschef im Justizministerium, damals vom Amt suspendiert, war am frühen Morgen des 20. Oktober 2023 tot in einem Seitenarm der Donau im niederösterreichischen Rossatz aufgefunden worden. Suizid, so lautet die offizielle Version. Eine Erzählung, die Pilnaceks Partnerin Karin Wurm nicht glauben wollte. Pilz wurde aufmerksam und begann zu recherchieren.
Im Februar dieses Jahres veröffentlichte er schließlich seine Recherchen. Bis heute hat das Buch rund 14.000 Käufer gefunden, nach österreichischen Maßstäben ein Bestseller, das brisanteste Enthüllungsbuch der vergangenen Jahre, außerdem der Auslöser für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss und eine Prüfung der Staatsanwaltschaft Eisenstadt, ob die Ermittlungen im Todesfall Pilnacek wiederaufgenommen werden. Seine Wirkung hat Pilz also nicht verfehlt. Die Frage heute war nur, ob er dabei nicht einen Schritt zu weit gegangen ist. Der Richter hat daran keine Zweifel.
Der Wahrheitsbeweis fehlt
Trotzdem: Ein Buch einziehen lassen – glücklich sei er damit nicht, sagt Richter Potmesil am Ende des langen Verhandlungstags in Saal 303. „Aber das Gesetz ist deutlich.“ Für die Entscheidung habe er eigentlich nur das Buch lesen müssen, danach habe für ihn festgestanden: Der Tatvorwurf „üble Nachrede“ war erfüllt.
Tatsächlich begnügt sich Pilz nicht damit, Fakten aneinanderzureihen. Schon als Abgeordneter für die Grünen ab den 1980er-Jahren und später mit seiner eigenen Liste hat er sich einen Namen als Aufdecker gemacht. Untersuchungsausschüsse waren sein Spielfeld, von Noricum bis Eurofighter, die teils in gigantische Gerichtsprozesse mündeten. Bekannt war und ist er aber auch für seinen Hang zur großen Erzählung. „Jetzt ist was Interessantes passiert“, so beginnt er gern seine Geschichten.
Sein Buch über die Causa Pilnacek gipfelt in der These, einzelne Polizisten von Bundespolizeidirektor Michael Takacs abwärts hätten als „Putztrupp“ der ÖVP agiert. Im Interesse der Volkspartei hätten sie die Ermittlungen bewusst verschlampt, um die wahre Todesursache zu verschleiern und an Datenträger Pilnaceks zu kommen, auf denen nicht wenige Menschen im politischen Wien ein paar dunkle Staatsgeheimnisse vermuten. „Ich wollte kein Puzzle präsentieren“, sagt Pilz dazu, „wenn ich nur 1.000 Fakten zusammentrage, das versteht kein Mensch.“ Er versteht den Prozess als Slapp-Klage, kurz für „Strategic Lawsuit Against Public Participation“. Eine Praxis, vor der die Unesco jüngst warnte: Weltweit würden mit rechtlichen Mitteln Journalisten von heiklen Recherchen abgeschreckt.
Eine Tendenz, die sich auch in Österreich zeigt: Im Juni 2022 wurde der Satiriker Florian Scheuba vom Chef des Bundeskriminalamtes, Andreas Holzer, verklagt. Scheuba hatte in seiner satirischen Kolumne im Standard von Holzers „rätselhafter Untätigkeit“ in einer Ermittlung gegen Heinz-Christian Strache geschrieben. Ein erster Prozess hatte noch mit einem Freispruch geendet, die Richter in den höheren Instanzen interpretierten Scheubas Text allerdings als Unterstellung des Amtsmissbrauchs, das Urteil lautete auch hier auf „üble Nachrede“.
Richter Potmesil sagte in seiner Urteilsbegründung, die offensichtlichen Ermittlungspannen der Polizei, von denen er im Buch gelesen und jetzt vor Gericht gehört hat, gefielen ihm auch überhaupt nicht. Trotzdem müssten sich die Kläger nicht unterstellen lassen, im Auftrag oder im Interesse der ÖVP gehandelt zu haben. 41 solcher Passagen habe er gefunden. „Der Leser liest das so“, sagte Potmesil. Den Wahrheitsbeweis für seine These habe Pilz aber nicht erbringen können.
