Die Idee ist fast so alt wie die Entdeckung von LSD: Schon in den 1950er-Jahren experimentierten Wissenschaftler mit psychedelischen Substanzen in der Psychiatrie. Inzwischen wird unter anderem die Substanz Psilocybin aus Rauschpilzen zur Behandlung von Depressionen und anderen psychischen Störungen erforscht. Die Psychotherapeutin Lea Mertens koordiniert gemeinsam mit dem Psychiater Gerhard Gründer am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim und in Zusammenarbeit mit der Berliner Charité die größte deutsche Studie dazu.
SZ: Weshalb hat es Ihnen gerade diese Substanz angetan?
Lea Mertens: Das Besondere und Reizvolle an Psilocybin ist, dass man die Einnahme dieser Substanz in eine Psychotherapie einbindet. Zugleich sind neue therapeutische Ansätze einfach notwendig. Es gibt eine Gruppe von Patientinnen und Patienten, die auf die existierenden Behandlungsmethoden nicht ansprechen.
Wie ist denn die Datenlage für die Psychedelika?
Psychedelische Substanzen wie LSD, DMT und Psilocybin wurden bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren verwendet und erforscht, bevor es dann zum Verbot dieser Substanzen km. Seit den 2010er-Jahren hat die Forschung wieder Fahrt aufgenommen – und zwar nach heutigen methodischen Standards. Aufsehen erregt hat eine 2016 veröffentlichte Studie am Imperial College London. Sie lieferte ganz überzeugende Befunde, dass eine einmalige oder zweimalige Gabe von mittelhohen Dosen Psilocybin antidepressive Effekte haben kann. Mittlerweile gibt es weitere, methodisch bessere Studien. Sie zeigen: Psilocybin kann bei manchen Patienten mit Depressionen sehr wirkungsvoll sein.
Wie wirkt ein Halluzinogen denn gegen Depressionen?
Das weiß man nicht so genau – wie übrigens bei vielen Psychopharmaka auch. Man nimmt an, dass sich dank der psychedelischen Substanz Wege und Verknüpfungen zwischen Nervenzellen bilden, die neues Denken und neue Verhaltensweisen ermöglichen. Wichtig ist zudem die Einbettung in Psychotherapie.

Wie genau läuft die Behandlung ab?
Die Patienten bekommen zunächst einmal eine Dosis Psilocybin. In den folgenden etwa sechs Stunden erleben sie dann Wahrnehmungsveränderungen, die man umgangssprachlich als Rausch bezeichnen könnte. Der Raum, die Menschen zum Beispiel sehen plötzlich anders aus.
Das klingt, als wäre es nicht nur angenehm …
Tatsächlich kann es zu schwierigen Erfahrungen kommen. So können Bilder aus unangenehmen früheren Erlebnissen auftauchen. Deshalb lassen wir die Patienten während dieser Phase nie allein. Vor und nach der Psilocybin-Gabe führen wir psychotherapeutische Gespräche. Das Erlebte muss verarbeitet und durchgesprochen werden. Im besten Fall kommt es dann zu Einsichten, die zu positiven Verhaltensänderungen im Alltag führen, die antidepressiv wirken.
Wie gut hilft Psilocybin in Ihrer Studie?
Die Daten sind erfolgversprechend. Allerdings ist auch Psilocybin kein Allheilmittel. Wir sehen zwar Patienten, bei denen eine Einmalgabe Psilocybin die Depression nach jahrelanger Krankenhistorie heilen kann; das ist ein Extrem des Spektrums. Das andere Extrem ist: Es wirkt gar nicht. Bei den meisten Patientinnen und Patienten bewegt sich der Effekt in der Mitte.
Damit wäre Psilocybin einfach ein weiteres Mittel im Werkzeugkasten.
Ja, und das ist eine gute Nachricht. Wir brauchen verschiedene Ansätze, um Menschen mit ihren sehr unterschiedlichen Depressionen gut behandeln zu können.
Wann rechnen Sie mit einer Zulassung von Psilocybin?
Das wird nicht vor 2027 der Fall sein. Bisher kann Psilocybin deshalb nur im Rahmen von Studien eingesetzt werden – oder im Einzelfall bei anderweitig nicht behandelbaren Patienten.
Was halten Sie davon, wenn Menschen Psilocybin im Selbstversuch nehmen? Vielleicht mit winzigen Dosen, im sogenannten Microdosing?
Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz dafür, dass Microdosing einen Effekt hat. Und bei größeren Dosen muss man sich der Risiken bewusst sein. Bei Substanzen vom Schwarzmarkt weiß man nie, was man bekommt. Immer kann es zu Destabilisierungen kommen, die therapeutisch aufgefangen werden müssten. Von Selbstversuchen mit Rauschpilzen rate ich daher ab.
Viele Menschen haben Angst davor, von Psychopharmaka abhängig zu werden. Besteht bei psychedelischen Substanzen nicht erst recht das Risiko?
Zunächst einmal: Psychopharmaka machen nicht abhängig, wenn man sie entsprechend den Leitlinien nimmt. Dasselbe gilt für Psilocybin. Das weiß man auch aus dem illegalen Gebrauch. In der Klinik gilt das umso mehr: Man gibt diese Substanzen nur wenige Male mit größerem Abstand. Es entsteht dann kein Verlangen, sie immer wieder nehmen zu müssen. Außerdem ist die Einnahme von Psychedelika nicht nur angenehm, man macht zum Teil sehr aufwühlende Erfahrungen. Die wenigsten Patienten sitzen am nächsten Morgen da und fragen, ob sie die Substanz direkt noch einmal haben können.
