EU-Gipfel: Wie eine kleine Zahl Bauern den Mercosur-Handelsdeal gefährdet


Die Gegner des Handelsabkommens mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten haben vor dem EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel noch einmal mit aller Wucht auf sich aufmerksam gemacht. Schon in den Morgenstunden rollten nach Polizeiangaben mindestens 150 Traktoren in die Stadt – und dabei blieb es nicht. Am Ende waren es nach Angaben der Polizei 1000 Traktoren und 7300 Demonstranten. Die Wut der Landwirte richtet sich nicht zuletzt gegen die ihrer Ansicht nach unfaire Konkurrenz aus Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay, die mit dem Abkommen einen besseren Zugang zum EU-Markt bekommt.

Frankreich ist früh eingelenkt. Die Regierung in Paris fordert abermals Nachbesserungen für die Bauern. Auch Irland, Polen und Österreich haben Vorbehalte. Zuletzt hat sich die italienische Ministerpräsidentin Georgia Meloni gegen das Abkommen gestellt. In der jetzigen Form könne sie dem nicht zustimmen.

So war zum Auftakt des Gipfels klar: Sollte es nicht gelingen, Meloni umzustimmen, wäre die geplante Unterzeichnung am Samstag vom Tisch. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wollte diese auf dem Gipfel der Mercosur-Staaten im brasilianischen Foz do Iguaçu stellvertretend unter den Text setzen. Dafür aber benötigt sie ein Mandat der 27 EU-Länder. Und die nötige Mehrheit dafür war ohne Italien in weiter Ferne.

Merz: Europa muss zustimmen

Dabei steckt in dem Abkommen enormes Potential für die europäische Wirtschaft. Es würde mit mehr als 700 Millionen Menschen die größte Freihandelszone der Welt schaffen. Die Zölle auf 91 Prozent der gehandelten Waren würden wegfallen. Die Ausfuhr in den Mercosur könnte nach Schätzung der Europäischen Kommission um bis zu 39 Prozent steigen und 440.000 Arbeitsplätze sichern, insbesondere in Autoindustrie, Maschinenbau und Pharmabranche. Dass Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sich zum Gipfelauftakt für das Abkommen stark machte, überrascht deshalb nicht: „Die Entscheidung kann nur lauten, dass Europa zustimmt.“ Die Frage ist eher, wie es die Bauern schaffen, ein – auch aus geopolitischen Gründen – so wichtiges Abkommen zu blockieren. Denn so protestfreudig sie sind: Der Anteil der Landwirtschaft an der Wertschöpfung liegt auch in Ländern wie Frankreich und Italien nur zwischen ein und zwei Prozent.

Eine Antwort darauf hat der Agrarökonom Sebastian Hess, der das Fachgebiet Agrarmärkte an der Universität Hohenheim leitet. Eine nicht unerhebliche Zahl von Wählern in Europa stehe der Landwirtschaft nach wie vor nahe, sagt er. Dabei handle es sich nicht nur um direkt in der Landwirtschaft Beschäftigte, sondern auch um deren erweitertes soziales Umfeld im ländlichen Raum, sagt er. „Die Themen der Landwirte finden im politischen Diskurs auch deshalb immer wieder Gehör, weil Nahrungsmittel im Grunde jeden betreffen und viele Menschen interessieren“, sagt Hess.

Hinzu komme die Bereitschaft vieler Bauern, sich für ihre Interessensvertretungen zu engagieren. Ein Erklärungsansatz ist nach Ansicht von Hess auch, dass die Landwirte von der europäischen Agrarpolitik jahrzehntelang an den Schutz vor der Konkurrenz aus anderen Staaten gewöhnt worden seien. Bestimmte Produkte seien lange durch einen Außenschutz begünstigt worden. Die dadurch Begünstigten kämpften deshalb umso vehementer dafür, dass die EU diesen Schutz erhalte oder sogar ausbaue.

EU hat Sorgen der Bauern im Blick

Dabei nimmt die EU auf die Sorgen der Bauern durchaus Rücksicht. Das Abkommen mit den Mercosur-Staaten enthält Schutzklauseln, die der EU-Kommission ermöglichen, die Einfuhr sensibler Waren wie Rindfleisch und Geflügel einzuschränken, wenn die Einfuhr von dort stark ansteigt. Greifen soll das, sobald der Anstieg mehr als acht Prozent beträgt. Darauf haben sich Ministerrat und Europaparlament noch rechtzeitig vor dem Gipfel am späten Mittwochabend geeinigt.

Darauf verweist auch Ökonom Hess. Die Auswirkungen dürften deshalb nicht unbedingt so negativ sein, wie vielfach behauptet werde, sagt er. Das Freihandelsabkommen werde im politischen Diskurs stärker dämonisiert, als durch die zu erwartenden Folgen erklärt werden kann. „Ich kann zwar individuelle Betroffenheit nachvollziehen, aber bin in Summe über die Intensität der Proteste gegen Mercosur verwundert“, sagt er. Tatsächlich könnten europäische Landwirte profitieren, wenn etwa für den deutschen Milchsektor bessere Exportchancen entstünden. „Freihandelsabkommen haben nahezu immer Gewinner und Verlierer, entscheidend ist aber, dass die gesamtwirtschaftlichen Vorteile überwiegen“, sagt er.

Auch den Vorwurf der Landwirtschaft, südamerikanische Produzenten profitierten von laxeren Umweltauflagen, lässt Hess nicht uneingeschränkt gelten. Zwar gebe es Kostenunterschiede bei Löhnen oder Boden, doch die EU lege für importierte Nahrungsmittel grundsätzlich die gleichen Grenzwerte und Sicherheitsstandards an wie bei der heimischen Produktion. Aus Sicht des Verbraucherschutzes bestehe daher kein erhöhtes Risiko, sagt er. „Außerdem beklagen Landwirte aus den Mercosur-Ländern mitunter, dass sie auf entsprechende staatliche Zahlungen nicht zurückgreifen können und bewerten dies ihrerseits mitunter als Wettbewerbsnachteil gegenüber der EU-Landwirtschaft“, sagt Hess. Zugleich sei die EU bemüht, über das Abkommen Einfluss auf Umweltstandards in den Mercosur-Staaten zu nehmen. Ein Scheitern würde da nicht helfen. „Die Mercosur-Staaten würden sich dann vermutlich stärker anderen Wirtschaftsräumen zuwenden“, sagt Hess.

Diese Gefahr, dass sich die Mercosur-Staaten von der EU abwenden, ist real. Daran ließ vor dem EU-Gipfel der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula keinen Zweifel. Lula drohte offen damit, das Abkommen aufzukündigen, wenn die EU nun nicht unterzeichne. „Wir haben auf das Abkommen 26 Jahre gewartet. Es ist besser für sie als für uns“, sagt der Brasilianer mit Blick auf die Europäische Union. „Wir haben in allen Punkten nachgeben, wo es diplomatisch möglich war.“ Zu weiteren „Deals“ sei er nicht bereit.