Tröstlich, sich vorzustellen, dass irgendwo auf einem fernen Mond im Alpha-Centauri-System gerade eine Gruppe Na’vi mit cyanblauer oder blassgrüner Haut auf „Ikranen“ (pferdeähnliche Wesen) oder „Ilus“ (delphinähnliche Wesen) durch Luft und Meere turnt. Oder mit den vieläugigen Wasserriesen „Tulkuns“ kommuniziert. Oder ihre „Kurus“, die wie Schweife aussehen, aber viel mehr können als wedeln, zum glücklichen Meditieren zusammenkordelt.
Andererseits: Als man sie letztes Mal verlassen hatte, das war vor drei Jahren und mit „Avatar: The Way of Water“, da hing der Haussegen auf Pandora schiefer denn je. Zwar hatten sich die diversen Völker mittlerweile im Kampf gegen die von der Erde stammenden skrupellosen „Himmelsmenschen“ einigermaßen zusammengerauft.
Doch dass man nicht lockerlässt, wenn es um die Ausbeutung eines Planeten oder einer Spezies geht, das ist das Gesetz einer solchen Geschichte – und erst recht das Gesetz für finanzielle Großerfolge wie James Camerons 2009 gestartete „Avatar“-Reihe (zusammen haben beide Filme inzwischen 5,23 Milliarden Dollar eingespielt; der letzte Teil stand auf Platz 1 der deutschen Filmcharts).
Und obwohl es das blaue Na’vi-Kostüm inklusive Elfenohren zumindest auf der Erde auf viele Cosplay-Veranstaltungen und Karnevalszüge geschafft hat, ist der aktuelle dritte Besuch auf dem friedlichen Ökoplaneten wieder von Stress geprägt.
„Avatar: Fire and Ash“. Regie: James Cameron. Mit Sam Worthington, Zoë Saldaña u.a. USA 2025, 197 Min.
Der menschliche Adoptivjunge Tiger
Die Familie um den ehemaligen Menschen Jake (Sam Worthington) und die Pandora-Kriegerin Neytiri (Zoe Saldana) trauert noch immer um einen verlorenen Sohn; der menschliche Adoptivjunge Tiger (Jack Champion) und Kiri (Sigourney Weaver), die geklonte Avatar-Tochter einer Wissenschaftlerin, versuchen zwar, sich – auf Pandora ebenso üblich wie auf der Erde – mit klassischen Teenagerspielen und Wald- und Wasser-Wettkämpfen abzulenken.
Doch die Menschen, allen voran Tigers Erzeuger, der bereits bekannte, ehemalige Marines-Colonel Miles Quaritch (Stephen Lang), dessen Homo-sapiens-Identität verstorben ist, der jedoch als Avatar noch immer Wut auf die Na’vi schiebt, wollen das Paradies weiterhin plattmachen/kapitalistisch plündern.
Weil Tiger dank der Hilfe der spirituell talentierten Kiri (und des mächtigen Planetengeists) zu einer neuen Mischform aus Na’vi und Mensch morpht, die maskenfrei atmen kann und der gar endlich ein buschiger, eigener Kuru (!) wächst, steigt die Gefahr: Die bösen Erdlinge wollen den jungen Na’vi-Mensch-Mix lieber früher als später einfangen, untersuchen, den Trick abgucken und sich hernach selbst auf Pandora breitmachen.
KI oder Anti-KI?
Den wie üblich eleganten, rasenden Wald- und Fluggängen, dem mit vage indigen klingender Musik (Simon Franglen) unterlegten Geflitze durch von spirituellem Plankton erleuchtete Gewässer gelingt auch dieses Mal die totale Absorption. James Camerons extraterrestrisches „world-building“ ist makellos und animationstechnisch auf einem so hohen Stand, dass Sigourney Weaver, die das Vorbild für die 14-jährige Kiri ist (und ihr eine etwas irritierende, aber interessante Erwachsenenstimme verleiht), sich beeilte, Camerons „performance capture“-Technik noch mal ausdrücklich zu loben: Er habe das alles erfunden, um Schauspieler das sein zu lassen, was sie sein könnten.
Es handele sich nicht um KI, sondern eigentlich um eine „Anti-KI“, behauptete sie jüngst in einem Interview. (Wie viel Spaß es macht, gar nicht mehr am Set, sondern komplett vor Green- und Bluescreen zu spielen, darüber schweigt die Branche schon lange vornehm.) Aber bei einer 400 Millionen Dollar teuren Geschichte, die im 22. Jahrhundert im Alpha-Centauri-System spielt, in dem weise Wal-Wesen mit esoterischen Quallen kommunizieren, ist Immersion erwartbar.
Dazu kommt im aktuellen Teil (es folgen noch mindestens zwei) endlich auch mal etwas Böses von innen: eine fauchende Frauenfigur namens Varang (Oona Chaplin), die visuell dem Hatechild aus einer Tim-Burton-Hexe und der keltischen Todesfee Banshee ähnelt, führt ihre vulkanfeuerliebende Krieger-Spezies in den Kampf gegen die Na’vi-Hippies. Und so wird im überlangen Film unterm Strich wieder vor allem gekämpft, geschossen, gefaucht, geflüchtet und verfolgt.
Schon ein paarmal Urlaub auf Pandora gemacht
Vielleicht weil man schon ein paarmal Urlaub auf Pandora gemacht hat, ist das Ganze zuweilen dennoch ein wenig langweilig. Aus den eingeführten Bewohner:innen ist die Luft raus; die neue Superhexe darf nur gleichbleibend böse sein; das unglaubwürdige Feststecken des toleranten Alienvolks in heteronormativen und kernfamiliären Figurenkonstellationen und -konflikten ist lahm.
Einem alten Marines-Macho wie Colonel Quaritch glaubt man das Auf-dicke-Hose-Machen sofort. Aber die vielen „Bro!“-Sprüche, die die Na’vi-Brüder bringen, wenn sie sich jungstypisch ungelenk auf die blauen Schultern klopfen, passten noch nie richtig ins grüne Elysium. Auch auf Pandora ist es vielleicht Zeit für einen gattungsübergreifenden Pride.
