epd | Seinen Künstlernamen Praunheim gab er sich nach dem Stadtteil von Frankfurt, in dem er aufwuchs. Zum produktivsten Schwulenfilmer der Welt wurde er aber erst später in Berlin. Am Dienstag ist er nach Medienberichten im Alter von 83 Jahren in Berlin gestorben.
Sein Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ machte ihn 1971 schlagartig bekannt. Der damals 29-jährige von Praunheim gab darin Einblicke in die Parallelwelt der Homosexuellen, denen er zugleich einen Spiegel vorhielt: „Das wichtigste für alle Schwulen ist, dass wir uns zu unserem Schwulsein bekennen“, lautet ein Schlüsselsatz.
Auf den Spuren der Mutter in Riga
Mehr als 70 Mal fällt in diesem Film das Wort „schwul“. Das homophobe Schimpfwort wurde so zur positiven Selbstbezeichnung umgewertet. Aus der marginalisierten sexuellen Orientierung wurde ein politisches Signal. Diese Programmatik klingt auch im Künstler-Vornamen des Filmemachers an: Rosa ist eine Verbeugung vor jenem „rosa Winkel“, den Homosexuelle im KZ tragen mussten.
Geboren 1942 im deutsch besetzten Riga, wuchs der spätere Regisseur als Holger Mischwitzky bei seinen Adoptiveltern aus Ostberlin auf. Wie er erst mit über 60 erfuhr, kam er im Zentralgefängnis von Riga zur Welt und verbrachte das erste Jahr im Waisenhaus. Im Dokumentarfilm „Meine Mütter – Spurensuche in Riga“ begab er sich 2007 auf Suche nach den Wurzeln. Seine Adoptivfamilie floh in den Westen und siedelte sich in Frankfurt an, wo er an der Offenbacher Werkkunstschule – der heutigen Hochschule für Gestaltung – Malerei studierte und bald zum experimentellen Film fand.
Anfänge mit bescheidenen filmischen Mitteln
„Die Bettwurst“, sein 1970 mit Laiendarstellern und praktisch ohne Budget realisiertes Debüt, wurde zum Kult. In Studentenkinos spricht das Publikum prägnante Dialoge lautstark mit. Seine filmischen Mittel wirken dilettantisch, seine Botschaften jedoch authentisch.
So avancierte von Praunheim vom Avantgarderegisseur zum Vorreiter der deutschen Schwulen- und Lesbenbewegung. Mit dem queeren Musical „Stadt der verlorenen Seelen“ (1983) und „Transsexual Menace“ von 1996 realisierte er die ersten deutschen Filme über transidente Menschen.
Drehte einen der ersten Filme über HIV
Mit „Ein Virus kennt keine Moral“, einem der weltweit ersten Filme über das HI-Virus, polemisierte von Praunheim 1986 gegen den durch Aids wieder aufflammenden Schwulenhass in der Gesellschaft. Seine Strategie, das Private in die Öffentlichkeit zu tragen, stieß allerdings nicht nur auf Gegenliebe. 1991 outete er in einer Fernsehsendung Hape Kerkeling und Alfred Biolek, zwei der beliebtesten deutschen Fernsehgesichter, gegen ihren Willen als homosexuell. Anfeindungen aus der schwulen Community blieben daraufhin nicht aus.
In der Folge wurde seine Ausdrucksform subtiler. Mit dem Dokudrama „Härte“ von 2015 griff er erneut ein Tabuthema auf. Psychologisch nuanciert erzählt der Film die authentische Geschichte eines jungen Mannes, der von seiner Mutter sexuell missbraucht und später zu einem der brutalsten Zuhälter Berlins wurde. Von der Kritik hoch gelobt wurde „Rex Gildo – Der letzte Tanz“, ein Mix aus Spielszenen, Zeitzeugeninterviews und Archivaufnahmen über das schwule Doppelleben des populären Schlagersängers.
Rund 150 Kurz- und Langfilme gedreht
Als Lehrer und Mentor von Axel Ranisch und Tom Tykwer prägte Praunheim bereits das Filmschaffen der nächsten Generation. 2020 erhielt er auf dem Filmfestival Max Ophüls den Ehrenpreis für seine Verdienste um den jungen deutschsprachigen Film.
Aus dem Undergroundfilmer wurde ein international renommierter Botschafter für die gesellschaftliche Akzeptanz queerer Menschen. Als Filmemacher und Aktivist trat er damit auch in die Fußstapfen des schwulen Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld, der von den Nazis verfolgt wurde und dem er 1999 das Filmdrama „Der Einstein des Sex“ widmete. Für sein Engagement, das etwa 150 Kurz- und Langfilme umfasst, wurde Praunheim 2015 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.
Pflege der eigenen Marke
Medienauftritte nutzte der oft papageienbunt gekleidete Regisseur gern zur Pflege seiner Marke. In einer Arte-Dokumentation anlässlich seines 80. Geburtstages streckte er sich auf dem Grab, das er sich auf dem Berliner Friedhof ausgesucht hatte, schon mal zum Probeliegen aus. Das Altern, erklärte er einmal, habe ihn verändert: „Das macht mich dünnhäutiger, vielleicht auch angreifbarer.“
Am vergangenen Freitag noch hatten von Praunheim und sein langjähriger Partner Oliver Sechting in Berlin geheiratet – ein Instapost zeigte zwei Hände mit Ringen in Form von Fröschen. Ende November war der auf der Berlinale mit dem Teddy Award ausgezeichnete Doku-Filmessay „Satanische Sau“ ins Kino gekommen, in dem Armin Dallapiccola als Alter Ego des Regisseurs auftritt. Es geht um Sex, Tod, schwules Leben und schließlich auch um die Politik des Autorenfilmers und Aktivisten. Ein Vermächtnis.
