Es ist ein schöner Herbsttag, an dem ich mit Mayca durch Murcia spaziere. Buntes Treiben herrscht in den Straßen die zur Innenstadt führen, denn Donnerstag ist Markttag und die Stände reihen sich dicht an dicht. Da werden Obst und Gemüse aus der Umgebung angeboten, leckere Backwaren verströmen einen verführischen Duft und viele nützliche Dinge warten auf potenzielle Käufer. Ich bin sehr gespannt auf diese Stadt, die mir Mayca heute zeigen wird, denn schon oft bin ich an Murcia vorbeigefahren, aber immer war ich auf dem Weg zu einem anderen Ziel. Das soll nun anders werden. Ich freue mich total darauf, eine fast zweitausend Jahre alte Stadt zu entdecken, die nicht touristisch überlaufen ist, in der die Menschen ihrem Alltag nachgehen und die viele wunderschöne Gebäude, spannende Museen und natürlich kulinarische Spezialitäten für mich bereithält.

Zwischen den Fassaden der Altbauten entlang bummelnd, zeigt Mayca mir in den Boden eingelassene Plaketten, die an die mächtigen Stadtore erinnern, die sich hier einst erhoben. Wir gelangen zur Plaza Santa Eulalia, wo Teenager auf einer Banks sitzen und eine Frau mit Kinderwagen offenbar gerade ihre Einkaufe nach Hause bringt. Direkt neben der Kirche steht ein rostbrauner, moderner Bau: das Centro de Interpretación de la Medina Mursiya. Vor dem Museum gibt ein kleines Modell einen Eindruck davon, wie es hier vor vielen Jahrhunderten aussah: Unterhalb von Murcia liegen die Überreste der maurischen Medina Mursiya.

Das maurische Murcia
Eine mächtige Stadtmauer erhob sich an dieser Stelle, um die Menschen vor möglichen Angreifern zu schützen. In engem Abstand errichtete man Wachtürme entlang der dicken Schutzmauern, eine weitere innere Mauer, ein Graben, und der Fluss sorgten zusätzlich für Sicherheit und erschwerten unerwünschtes Eindringen. Einige der Schießscharten sind noch gut zu erkennen aber vor allem die Dicke der Mauern beeindruckt mich. Sobald wir das Gebäude betreten, geht hinab unter die Erde und die maurische Welt umfängt mich. Es duftet nach Flor de Azahar, der bittersüßen Blüte der Orangen, Pferdegetrappel ertönt irgendwo im Hintergrund und vor mir erstrecken sich die massiven Festigungsmauern.

Erklärende Videos begleiten meinen Spaziergang durch diese maurischen Stadt. Wieder ertönen sich nähernder Pferdehufe. Die im Hintergrund abgespielten Geräusche und die Düfte, inzwischen sind es Lavendel und Rosmarin, die meine Nase erreichen, lassen die Medina vor meinem inneren Auge lebendig werden. Diese letzten Reste der maurischen Stadt bezaubern mich wortwörtlich „mit allen Sinnen“. Schließlich erreiche ich einen Saal, der wieder auf Straßenhöhe liegt. Doch auch bei einem Blick aus dem Fenster des Museums hält mich die maurische Welt in ihrem Bann. Denn die Fassaden der gegenüberliegenden Gebäude sind mit bunten Figuren und Motiven bemalt, als wären sie eine Fortsetzung der maurischen Straße.

Mayca erklärt mir die etwas komplizierte Entstehungsgeschichte der Stadt. Denn nach den Römern, die sich in der Zeit der Punischen Kriege in dieser Gegend niedergelassen hatten, kamen im sechsten Jahrhundert zunächst die Visigodos. Doch die aus Norden eingewanderten Stämme waren untereinander sehr zerstritten, sodass die Muslime, als sie im siebten Jahrhundert die Straße von Gibraltar überquerten, ein leichtes Spiel hatten. Bei der Schlacht von Guadalete errangen sie einen entscheidenen Sieg über die Visigoten und dehnten ihren Machtbereich schnell über die gesamte Halbinsel aus. Den kämpfenden Truppen folgten die Händler und die Familien. Bald fanden alle Neuankömmlinge fruchtbares Land, auf dem sie sich niederließen. Der Fluss Segura, in der römischen Epoche Tader genannt, versorgte die Menschen mit Wasser für den Obst- und Gemüseanbau. Die berberischen Siedler errichteten ausgeklügelte Bewässerungssysteme, denn sie kamen aus einer sehr wasserarmen Gegend (der Sahara) und gingen sparsam mit dem wertvollen Gut um.

So entstanden in der fruchtbaren Huerta viele kleine Alquerias, neue Siedlungen, in denen bis ins neunte Jahrhundert Berber, Araber, Juden, Mozárabes und auch ein paar Christen dicht beieinander lebten. Doch immer häufiger kam es zu Streitereien zwischen den verschiedenen Kulturen, bis Raman II, Emir von Córdoba, schließlich seine Truppen schickte und 825 die Stadt Murcia einfach neu gründete. Von oben verordnet. So beginnt die Geschichte der Medina Mursiya.

Maurische Burgen und Paläste
Ich bin begeistert und liebe es, so tief in die Geschichte eintauchen zu können. Mayca hat nach dem Besuch des Museums gleich noch ein paar Überraschungen für mich bereit. Sie führt mich in eine Kirche nahe der Kathedrale, die Iglesia de San Juan de Dios. Beeindruckend barockes Schmuckwerk ziert das kleine Gotteshaus, das einst auf dem Gelände eines vom sagenumwobenen Templerorden geführten Hospitals lag.

Doch hinter, bzw. unter den goldenen Schnörkeln und kleinen Putten verbergen sich noch ganz andere Schätze. Am Altar vorbei gelangen wir in das Museum, das zu dieser kleinen Kirche gehört. Denn wie so oft nach der Eroberung durch christliche Herrscher, errichtete man christliche Tempel auf den Mauern der maurischen Gebäude. Auch hier geht es ein paar Stufen hinab in das unterirdische Gewölbe, das die Reste des Alcázar Mayor, der mächtigen maurischen Festung Murcias, bis heute bewahrt.

Der einstige Gebetsraum, eingerahmt von einem wundervollen Hufeisenbogen, Alfiz genannt, zeigt noch Reste von Versen des Korans. Ich entdecke bunte Wandmalereien und versteckte Bögen, die von der alten Zeit erzählen. In einer Ecke fand man kostbar bestickten Stoff, mit Goldfäden durchwoben. Dieser wertvolle Fund lässt die Geschichtswissenschaft vermuten, dass hier eine einflussreiche Persönlichkeit beigesetzt wurde. Auch wenn Begräbnisstätten in einer Moschee eher unüblich waren, wurde hier eindeutig jemand Hochstehendes begraben. Manche mutmaßen, es könne der legendäre Rey Lobo sein. Rey lobo heißt auf Deutsch „Wolfskönig“, so nannten die christlichen Eroberer den mächtigen muslimischen Herrscher Muhammad ibn Saʿd Ibn Mardanīš, der im 12. Jahrhundert Murcia, Valencia, Denia und Teile von Jaén und Almeria regierte. Unter ihm wuchs die Stadt und auch die Taifa von Murcia war größer als je zuvor.

Der Rey Lobo ließ auch einen vor den Toren der Medina gelegenen Sommerpalast seines Vorgängers umbauen und erweitern, einen paradiesischen kleinen Ort mit Orangenhainen, Gärten und plätscherndem Wasser, wie ihn muslimische Herrscher gern zu ihrer Erbauung errichteten. Hinter den Mauern des Klosters Santa Clara führt mich Mayca zu den Überresten dieses Sommerpalastes: Die Alberca, das wundervolle Wasserbecken, stammt noch aus dem 13. Jahrhundert. Nach der christlichen Eroberung im 14. Jahrhundert schenkte König Pedro den gesamten Palast den Klarissinnen, deren Orden bis heute hier lebt.




Noch im Mittelalter wurden die Galerie und weite Teile der Anlage zu einem Kloster umgebaut, sodass von der arabischen Almunia Real heute nicht allzuviel erhalten ist. Man kann aber archäologische Funde, Reste prachtvoller Bögen und Wandmalereien, wie die Flautista (dt. Flötenspielerin – eigentlich eine Mizma-spielende Frau) bestaunen. Aus der gotischen Epoche stammen die Drachen unter der Decke.



Die kuriose Kathedrale
Natürlich zeigt Mayca mir auch die Kathedrale von Murcia. Ursprünglich befand sich der Bischofssitz in Cartagena, doch im Laufe des 14. Jahrhunderts bevorzugten die Bischöfe das Leben in der Metropole und zogen um. Ohne eine Genehmigung des Vatikans veranlasste Rey Sancho IV schließlich den Bau einer neuen Kathedrale in Murcia. So kam es zu dem kuriosen Fakt, dass die Kathedrale des Bistums Cartagena nicht in Cartagena, sondern in Murcia steht. 1391 begann man mit der Errichtung des neuen Gotteshauses, an dem so viele Jahrhunderte gebaut wurde, dass heute Elemente der verschiedenen Epochen und Baustile, von Gotik über Renaissance und Barock zu finden sind.

Die Catedral de Santa María blickt jedoch auf eine viel längere Geschichte zurück. Denn schon vor dem Bau der neuen Kathedrale befand sich hier eine christliche Kirche. Sobald Jaume I, König von Aragón aus dem Hause der Grafen von Barcelona, 1266 die Stadt von dem Mauren erobert hatte, ließ er in der Aljama Moschee der Medina Mursiya eine Kapelle einrichten, um dort eine Messe zu lesen. Mehrere Jahrzehnte lang diente die Anlage als christlicher Tempel der Stadt, sogar die Hochzeit der Tochter König Alfonsos X fand hier statt. Erst als 1291 der Bischofssitz von Cartagena nach Murcia verlegt wurde, kam es zu den ersten größeren Umbauten. Aufgrund der zahlreichen baulichen Veränderungen und Erweiterungen, ist in der heutigen Kathedrale bis auf ein paar archäologische Funde im Museum der Kathedrale, keine Mauer mehr aus der muslimischen Epoche erhalten.

Der Glockenturm der Kathedrale gilt mit seinen beachtlichen 93 Metern Höhe übrigens zu den höchsten Glockentürmen ganz Spaniens. Höher sind nur der 2026 fertiggestellte Christusturm der Sagrada Familia, der allerdings kein Glockenturm ist, die Giralda in Sevilla und der Glockenturm der Kathedrale von Salamanca. Unter dem Hauptalter ruht die Urne mit dem Herzen des kastilischen Rey Alfonso X, eine heute merkwürdig anmutende, doch damals durchaus übliche Praxis der Monarchen, ihre königlichen Körperteile an verschiedenen Orten beisetzen zu lassen. Die mächtige Orgel der Kathedrale stammt übrigens von einem deutschen Orgelbauer und auch jede der 23 Kapellen erzählt eine eigene Geschichte, die ich hier natürlich nicht im Einzelnen wiedergeben kann.

Capilla Vélez
Doch eine der Geschichten, von denen Mayca berichtet, ist so kurios, dass ich sie weitererzählen muss: es ist die Geschichte der Capilla Vélez, des Anbaus, den die Familie Fajardo y Chacón (die den Titel „Marqués de los Vélez“ trugen), als Begräbnisstätte der Familie veranlasste. Um ihren hohen Rang und Einfluss zu demonstrieren, kauften sie nicht eine, sondern gleich zwei Kapellen in der Kathedrale. An der Seite, die zur Plaza Cardenal Belluga liegt, ragt diese überdimensional groß geratene Kapelle ein gutes Stück auf den Platz hinaus. Bis zum Umbau der Kapelle, verlief dort eine enge Straße, aber die Marqués de los Vélez scherten sich gar nicht um ihren Übergriff in öffentlichen Raum.

Die Murcianer waren jedoch wütend. Sie versuchten gegen die mächtige Familie zu klagen, doch kein Richter oder Stadtherr wagte es, ihnen die Stirn zu bieten und den Abriss der Kapelle zu befehlen. Da kam den Menschen eine Idee. Sie verbreiteten Zweifel und erzählten jedem der es wissen wollte, dass die auf die Straße ragende Kapelle gar nicht auf geweihtem Boden stünde und dort beigesetzte Familienmitglieder deshalb nicht in den Himmel kommen könnten. Dieser Schlag ließ auch die hartgesottene Familie des Marquis de los Vélez nicht unberührt. Doch rasch erholten sie sich von diesem Schreck und präsentierten bald eine clevere Lösung: Sie ließen einfach eine mächtige steinerne Kette um ihre Kapelle herum legen, die den Anbau zumindest optisch mit dem Kirchenschiff verbindet. So sei die Kapelle untrennbar mit der Kathedrale verbunden und damit auch Teil des geweihten Bodens.
Das elegante Casino
Nachdem wir auf dem Platz vor der Kathedrale noch einen typischen „Café Asiático“ probiert haben, führt mich Mayca zu einer weiteren Sehenswürdigkeit Murcias, dem Real Casino. Entgegen der heute verbreiteten Bedeutung als ein Ort des Glücksspiels, war ein Casino früher ein Treffpunkt der betuchten Oberschicht, also eine Art elegantes Clubhaus. Der 1847 gegründete Verein hat dort bis heute seinen Sitz. Und elegant ist hier nicht nur die Architektur, sondern auch die prachtvolle Einrichtung der alten Säle.


Von der Calle Traperia aus wirkt der Eingang des Casinos wie ein Grand Hotel aus dem vorletzten Jahrhundert. Über ein paar Stufen gelangen wir als Erstes in einen maurisch anmutenenden Innenhof mit filigranen Hufeneisenbögen und einem Balkon im ersten Stock. Dann geht es durch eine Galerie, die wie eine überdachte Straße wirkt. Von dort aus erreichen wir die anderen Säle: die wunderbare, im englischen Stil gehaltene Bibliothek mit dunklem Holz, einen Ballsaal, einen Tocador de Señoras, so nennt man das Damenzimmer, in dem sich die vornehmen Señoras frisch machen konnten, einen Teesalon und den Salon Congresillo, in dem sich eine beachtliche Gemäldesammlung befindet. Der Patio Pompeyano ist mit kühlem Marmor in römischen Stil gehalten, der blaue Patio hingegen ist ein ursprünglich offener Innenhof, der durch die Errichtung eines Glasdachs inzwischen wie ein weiterer Salon genutzt wird. Fast schon spielerisch sind die verschiedenen Epochen und Stile miteinander verbunden.
Der leere Theatersessel
Sozusagen zum Abschluss unseres Spaziergangs erzählt Mayca mir noch die Geschichte des Theaters. Im 19. Jahrhundert wurden aufgrund des Gesetzes der Desamortización von Mendizábal zahlreiche Klöster und Kirchengüter enteignet und an private Hände verkauft, das war auch das Schicksal des Dominikanerklosters, des Convento de Santo Domingo, in Murcia. Einzig die Klosterkirche überlebte bis heute. An der Stelle, an sich einst der Klosterfriedhof befunden hatte, errichtete man 1862 das Teatre Romea. Einer der entrüsteten Mönche soll das neue Gebäude verflucht haben, so die Legende. Angeblich habe er gedroht, es werde gleich dreimal abbrennen! Beim ersten Mal solle niemand zu Schaden kommen, beim zweiten Brand werde eine Person sterben, doch beim dritten Brand, wenn das Theater vollbesetzt sei, werde niemand überleben und das Gebäude bis auf die Grundmauern zerstört werden.

Und tatsächlich erlitt das Theater 1877 bei einem Brand schwere Schäden und fiel wenige Jahre später 1899 erneut den Flammen zum Opfer. Seither muss ein Platz immer frei bleiben, damit das Theater nie ausverkauft ist und sich der Fluch des Mönchs nicht erfüllen kann. Und tatsächlich scheint das Theater sogar ein echter Glücksbringer geworden zu sein. Viele spanische Künstler beginnen ihre Tourneen gern an diesem Ort, denn ein Konzertauftakt in Murcia verspricht eine erfolgreiche Tournee.

Als ich nach diesem langen, wunderschönen Tag in Murcia wieder in meinem Hotelzimmer ankomme, verstehe ich auch, was Mayca meinte, als sie sagte, Murcia zeige seine Schätze nicht sofort. Die Stadt ist ein so geschichtsträchtiger und spannender Ort, aber man muss sich Zeit nehmen und tiefer schauen. Unter der heutigen Stadt liegt die maurische Medina, unter der Kathedrale die Moschee, unter dem Kloster der ehemalige Sommerpalast. Wie eine Zwiebel besteht Murcia aus vielen Schichten, die man erst nach und nach entdeckt. Und ich freue mich ehrlich schon jetzt auf meinen zweiten Besuch, und besonders auf meine heißgeliebten Paparajote, aber was das ist, erzähle ich dir im nächsten Artikel.
Informationen zu Murcia
Anreise: Von Barcelona aus bin ich mit Volotea sehr günstig nach Murcia geflogen. Direktflüge von Deutschland habe ich im Augenblick (Stand Herbst 2025) nicht gefunden, kann aber vielleicht im nächsten Flugplan kommen. Wenn du demnächst von Deutschland aus mit dem Flugzeug kommst, ist „Umsteigen“ in Barcelona also vielleicht eine Option.
Wenn du mit dem Auto, Womo oder Camper auf dem Weg nach Andalusien oder Portugal bist, führt die A7 und die A33 nach Murcia. Mit der Bahn gibt es zwar eine Euromed-Verbindung von Alicant nach Murcia, schneller und einfacher sind jedoch die mehrmals täglich fahrenden Schnellzüge über Madrid.
Führungen durch die Stadt kann man am besten beim Tourismusbüro buchen: guided-visits

Oficina de Turismo de Murcia
Plaza del Cardenal Belluga
30001 Murcia
Tel: +34 968 35 86 00
Nützliche Links:




Hinweis: Der Artikel entstand im Rahmen einer Pressereise (unbezahlt) und beruht wie immer einzig und allein auf meinen Erlebnissen vor Ort.
