Das europaweite Aus für den Verbrennungsmotor ist in seiner bisherigen Form Geschichte. Nach Verhandlungen mit den EU-Mitgliedstaaten, dem Europaparlament und der Autoindustrie hat die Europäische Kommission am Dienstag einen Reformvorschlag vorgelegt, wonach Autos mit Benzin- und Dieselmotor auch über 2035 hinaus neu zugelassen werden dürfen. Die Automobilhersteller sollen dafür Ausnahmen erhalten, um die Emissionsziele ihrer Fahrzeugflotten flexibler erreichen zu können. Flankiert werden die Pläne von einem Gesetzesvorschlag zur Förderung der Batterieproduktion in Europa sowie neuen Vorgaben für saubere Firmenflotten.
Mit ihrem Vorschlag versucht die Kommission einen gesichtswahrenden Mittelweg zwischen ihren klimapolitischen Ambitionen, den Interessen der Autoindustrie und Forderungen der mehrheitlich konservativ geführten Regierungen in Europa. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte die für das kommende Jahr geplante Überprüfung der CO₂-Regeln für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge auf dieses Jahr vorgezogen. Allen voran hatten sich die Bundesregierung und die christdemokratisch geprägte Europäische Volkspartei (EVP) – inklusive CDU und CSU – für eine Aufweichung des De-facto-Verbrenner-Endes eingesetzt. Im Gegensatz dazu hatten unter anderem Frankreich und Spanien dafür geworben, die bisherigen Regeln beizubehalten.
Kleine, erschwingliche E-Autos unter 4,20 Meter Länge sollen einen Super-Bonus bekommen
Im Ergebnis bleibt jetzt formal das Ziel bestehen, nach 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen zuzulassen. Das wäre nach der bisher geltenden Regelung praktisch nur mit rein elektrisch betriebenen Fahrzeugen zu erreichen gewesen. Auf dem Weg dahin sollen auch die Vorgaben für das Jahr 2030 gestreckt werden, womit die Autoindustrie mehr Zeit bekommt, um sie zu erreichen. Gemessen wird dabei jeweils der durchschnittliche Kohlenstoffdioxid-Ausstoß der verkauften Neufahrzeuge eines Herstellers. Dieser sollte bis in zehn Jahren um 100 Prozent verglichen mit 2021 sinken, so die alte Vorgabe.
Künftig soll dieser Wert bei 90 Prozent liegen. Um das 100-Prozent-Ziel dennoch beizubehalten, sollen die Konzerne nach der Reform bis zu zehn Prozent ihrer Emissionen anderweitig kompensieren können. Das ermöglicht es, weiterhin Plug-in-Hybridfahrzeuge und E-Autos mit spritbetriebenen Reichweitenverlängerern zu verkaufen. Den Ausgleich dürften die Hersteller dann zu maximal 70 Prozent mit dem Einsatz von grünem Stahl decken, der klimaschonend und innerhalb Europas produziert wurde. Die übrigen 30 Prozent können sie den Plänen zufolge durch den Einsatz von synthetischen Kraftstoffen sowie modernem Biosprit kompensieren, für den sich vor allem Italien starkgemacht hatte.

:Was wird aus einer Stadt, wenn die Fabrik dicht macht?
Autokonzerne und Zulieferer streichen gerade Jobs oder schließen Standorte ganz. Bochum hat damit Erfahrung: Das Opel-Werk dort ist seit 2014 Geschichte. Die Stadt hat sich davon aber gut erholt. Ein Lehrstück tief im Westen.
Für CSU-Mann Manfred Weber ist die neue Regelung ein Sieg
Dies erlaubt es theoretisch auch, Vollhybride und reine Verbrenner weiter zu vermarkten, solange die Durchschnittsvorgaben eingehalten werden und damit die Klimawirkung identisch bleibt. Besonders belohnt werden soll, wer kleine, erschwingliche E-Autos gemäß einer neu geschaffenen Kategorie verkauft. Fahrzeuge in dieser Kategorie bis maximal 4,20 Meter Länge sollen bei der CO₂-Anrechnung einen sogenannten Super-Bonus bekommen, wenn sie in Europa produziert wurden. In den nun anstehenden Verhandlungen zwischen EU-Staaten und Vertretern des Europaparlaments können sich die Eckpunkte noch ändern.
Für EVP-Chef Manfred Weber (CSU) ist die geplante Neuregelung ein Sieg. Mit der Aufweichung des Verbrenner-Aus erreicht er eines der wichtigsten Ziele seiner Parteienfamilie. „Mit dieser Technologie-Offenheit schaffen wir Klarheit für Hunderttausende Beschäftigte im Automobil-Sektor“, sagt er. „Die Emissionen im Verkehr werden deutlich sinken – ohne Verbotspolitik.“
Das Aus für das Verbrenner-Aus will die Kommission als ersten Teil eines umfassenden Unterstützungspakets für die Autoindustrie verstanden wissen. „Ich bin überzeugt, dass dieses Paket den Beginn einer neuen Geschichte für die europäische Automobilindustrie markiert“, sagte der für Industriepolitik zuständige Kommissionsvizepräsident Stéphane Séjourné. Zusammen mit der Reform legte die Kommission ein Gesetz zur Stärkung der Batteriewertschöpfung innerhalb der EU vor. Um die europäische Produktion von Akkus zu fördern, will die Kommission im kommenden Jahr unter anderem 1,8 Milliarden Euro an zinslosen Darlehen bereitstellen.
Daneben sind die geplanten Vorschriften für Firmenflotten eher umstritten. Etwa 60 Prozent aller Neuzulassungen in der EU entfallen auf Firmen-, Leasing-, Miet- und Behördenfahrzeuge. Um die Nachfrage nach Elektroautos zu erhöhen, setzt die Kommission dort an und schlägt Zielwerte für den Anteil „sauberer Fahrzeuge“ an Firmenflotten für die Jahre 2030 und 2035 vor. Diese sollen auf Ebene der Mitgliedstaaten gemäß deren Wirtschaftsleistung festgelegt werden: Je reicher ein Land, desto strenger die Ziele – für Deutschland hätte das eine 100-Prozent-Quote bis 2035 zur Folge. Mit welchen Instrumenten die EU-Länder ihre Quoten erreichen, bleibt ihnen überlassen.
