„Stimmt das?“ Mit diesen Worten reagiert ein Schiedsrichter, als ihm ein 14-jähriger Junge von einer rassistischen Beleidigung berichtet. „Mir mit der ersten Frage zu unterstellen, ich hätte so etwas erfunden, fand ich schon sehr unangemessen beziehungsweise ein bisschen erschreckend“, sagt der junge Spieler. Seine Schilderung stammt aus einem Forschungsprojekt der Universität Wuppertal, die elf Athleten und Athletinnen afrikanischer Herkunft zu ihren Erfahrungen mit Rassismus befragt hat. In ihren Berichten offenbart sich, dass Rassismus in deutschen Sportvereinen omnipräsent ist.
Neben der Herkunft, der Hautfarbe, dem Namen und der Religion bezieht sich Rassismus im Sport oft auch auf den Körper. So werden den Athleten afrikanischer Herkunft oft physische Attribute wie Schnelligkeit und Kraft zugeordnet, wohingegen ihnen Disziplin, taktisches Verständnis und Zuverlässigkeit abgesprochen werden. „Was wir daran sehen, ist die Fortschreibung der kolonial-rassistischen Fantasie, dass es unterschiedliche Menschenrassen gibt“, sagt Tina Nobis, die Leiterin des Forschungsprojektes. „Oft wird im Diskurs über Rassismus gesagt, diesen biologistischen Rassismus gebe es nicht mehr. Aber wenn wir uns mit Sport beschäftigen, dann finden wir den sehr wohl.“

:„In den Kurven gibt es eindeutig einen Rechtsruck“
Die jüngsten rassistischen Vorfälle bei Länderspielen und im DFB-Pokal könnten die Vorboten einer schlimmen Entwicklung sein. Die Kräfteverhältnisse in vielen Kurven werden gerade neu ausgehandelt.
Ihr ging es auch um die Frage, wie Rassismus von Personen wahrgenommen wird, die nicht von ihm betroffen sind. Dazu befragte das Forschungsteam insgesamt 3129 Sportvereinsmitglieder. Die Ergebnisse zeigen, wie stark sich die Wahrnehmung der beiden Gruppen unterscheidet. Zwar werden offen rassistische Vorfälle mehrheitlich erkannt, subtilere Formen des Rassismus werden jedoch in der Regel nicht wahrgenommen. So beurteilen 80 Prozent der Befragten das Bewerfen eines schwarzen Spielers mit Bananen als „definitiv rassistisch“. Lediglich 25 Prozent schätzen hingegen die wiederholte Frage nach der Herkunft eines muslimischen Spielers als „definitiv rassistisch“ ein.
Dabei zeige das an, „dass davon ausgegangen wird, dass die Person eigentlich nicht aus Deutschland kommen kann“, sagt Alessa Heimburger, eine der Autorinnen der Studie. Dies bedeute, dass die Zugehörigkeit immer wieder unter Beweis gestellt werden müsse. Als weiteres Beispiel nennt Tina Nobis, dass „in der Regel nur kritisch kommentiert wird, wenn Spieler of Color bei sportlichen Großereignissen die deutsche Nationalhymne nicht mitsingen, es aber nicht diskutiert wird, wenn weiße Spieler ohne Migrationserfahrung nicht mitsingen“.
Aus den Interviews mit den Athleten ergibt sich auch die Forderung nach mehr Vielfalt in Führungspositionen
Warum werden subtile und strukturelle Formen von Rassismus nicht wahrgenommen? Dafür nennt Nobis zwei Gründe. Erstens sei „struktureller Rassismus oft schwieriger zu fassen und zu erklären“. Zweitens äußere sich Rassismus nicht nur in Benachteiligungen von Betroffenen, sondern auch in Privilegien für Personen, die der „weißen Norm“ entsprechen. Dadurch sei es einfacher, rassistische Strukturen zu übersehen.
„Die Einsicht, dass Rassismus auch Alltagskultur ist und nicht nur als einzelner Vorfall am rechten Rand der Gesellschaft auftritt, ist noch nicht flächendeckend in den Sportvereinen angekommen“, betont Heimburger. Um sich kritisch mit dem Thema auseinanderzusetzen, sei es zudem wichtig anzuerkennen, „dass keine Person frei von Rassismus ist, dass Menschen rassistisch handeln und denken, auch wenn sie das nicht wollen“. In den Sportvereinen fehle oft die Bereitschaft zur Selbstreflexion. Dieses Ergebnis geht auch aus einer Teilbefragung von 635 ehrenamtlichen Sportvereinsmitgliedern hervor. So gaben jeweils 48 Prozent an, dass „keine Diskussion notwendig“ sei, um Gleichberechtigung zu gewährleisten, Diskriminierung abzubauen und antirassistisch zu arbeiten.

:Opferhilfe im deutschen Sport? „Vollständig unbefriedigend“
Der DOSB-Ethikbeauftragte Thomas de Maizière schildert bei der Mitgliederversammlung in Frankfurt, wie schlecht der organisierte Sport bisweilen gegen Machtmissbrauch vorgeht.
Elena Lamby, die Leiterin des Ressorts für Gesellschaftspolitik der Deutschen Sportjugend (dsj), will das Thema enttabuisieren. Zusammen mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) startete ihr Verband 2023 das Projekt „(Anti-)Rassismus im organisierten Sport“, das die Studie beinhaltet. Die aktuelle gesellschaftliche und politische Situation in Deutschland erschwere jedoch, „Menschen für das Bewusstsein über Rassismus zu erreichen“.
Neun der elf Sportler berichten, dass ihnen unabhängige Beschwerdestellen fehlen. „Es braucht Kontaktstellen vor Ort, um rassistische Vorfälle sichtbar zu machen und Betroffene zu unterstützen“, sagt Lamby. Auch hier zeigt sich eine Dissonanz: 40 Prozent der Sportvereinsmitglieder geben an, dass im Verein Beschwerdestellen vorhanden seien. Laut der Wissenschaftler sei es unter anderem denkbar, dass diese zwar vorhanden, aber zu wenig bekannt seien und selten genutzt würden. Aus dem Schutz vor sexualisierter Gewalt im Sport wisse man beispielsweise, dass es „viel Vertrauensarbeit, Kommunikation und Transparenz vor Ort benötigt, damit Anlaufstellen genutzt werden und zuverlässig funktionieren“, sagt Lamby.
Ein Ergebnis: um rassismuskritische Maßnahmen zu verankern, ist ein langfristiger und arbeitsintensiver Prozess nötig
Aus den Interviews mit den Athleten ergibt sich auch die Forderung nach mehr Vielfalt in Führungspositionen. Eine diversere Besetzung ist laut Heimburger wichtig, da eine andere Form des Bewusstseins für Rassismus vorhanden sei, „die sich in einer tiefergehenden Auseinandersetzung widerspiegelt“.
Oft werden einzelne Personen dafür verantwortlich gemacht, dass es in Führungspositionen an Vielfalt mangelt. Wenn Menschen nicht teilhaben, wird das als individuelles Scheitern dargestellt. Wie die Problematik damit von der gesellschaftlichen auf die individuelle Ebene verlagert wird, erklärt Eduardo Bonilla-Silva. Der US-amerikanische Soziologe ist einer der wichtigsten Vertreter der „Critical Race Theory“, auf die sich auch die Wuppertaler Studie stützt. In seinem Buch „Racism without Racists“ schreibt er, dass Ideale wie Chancengleichheit, individuelle Leistung und Wettkampf oft als Realität dargestellt werden – und betont, dass diese Vorstellung eben nicht der Realität entspricht, da sie strukturellen Rassismus komplett ausblendet. Ungleiche Bedingungen werden somit nicht als solche erkannt.
Dieses Argument der angeblichen Chancengleichheit spiegelt sich laut Nobis auch in einem zentralen Mythos über Sport wider, nämlich „dass Sport integrativ ist, offen für alle ist, immer eint und vereint und immer die Lösung und nie das Problem ist.“ Wie stark der Mythos verankert ist, zeigt sich in der Survey-Befragung der 3129 Sportvereinsmitglieder. So stimmten 75 Prozent der Aussage zu, dass es im Sport Rassismus gebe. Jedoch meinten auch 88 Prozent, dass Sportvereine für alle Personen unabhängig von Herkunft oder Aussehen offen seien. Ihre Einschätzungen führt die Forscherin beispielsweise auf Feldexperimente zurück, die zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, zu einem Probetraining eingeladen zu werden, „deutlich geringer ist, wenn man mit einem nicht deutschen oder nicht deutsch klingenden Namen nach einem Probetraining fragt“.
Laut Elena Lamby sei ein langfristiger und arbeitsintensiver Prozess nötig, um rassismuskritische Maßnahmen zu verankern. Zudem stünden Ehrenamtliche ohnehin schon vor einer Vielzahl an Herausforderungen, um überhaupt ein Sportangebot zu ermöglichen: „Aber es lohnt sich, zu schauen, dass bei uns alle sicher und beteiligt sind, denn so können wir den Sport zukunftsfähig aufstellen und haben Menschen, die ins Engagement hineinwachsen.“
