Nun ist es so weit: Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur Aufarbeitung der COVID-19-Pandemie in Deutschland hat ihre Arbeit aufgenommen. Sie ist eine Antwort auf die Rufe, man müsse dringend die Corona-Jahre „aufarbeiten“, Fehler aufdecken und aus ihnen lernen. Andere Länder sind uns damit voraus, 2022 etwa haben die Kommissionen in Schweden und 2024 in Großbritannien bereits ihre Berichte veröffentlicht. Die zeitliche Nähe zur Pandemie zeigt sich in diesen Dokumenten in dem Schrecken und der Trauer über die große Zahl von Todesfällen; sie sind beim Lesen deutlich zu spüren.
In Deutschland liegt der Fokus hingegen mehr auf den Lehren für künftige Pandemien, wobei die Kommission insgesamt einen sehr umfassenden Arbeitsauftrag hat. Bereits in den ersten Sitzungen der Enquete-Kommission zeichnet sich jedoch eine bedenkliche Entwicklung ab, die von Vertretern der AfD und der von ihr benannten Sachverständigen angetrieben wird: die Verharmlosung der Pandemie und die Denunziation der Impfung als schädliche Maßnahme.
Die Strategie dabei ist klar: Wenn es gelänge, nachzuweisen, dass die Corona-Infektion gar keine schlimme Erkrankung auslöste und die Impfung mehr geschadet als genutzt hätte, würde dies der Partei großen Auftrieb geben.
Mit seriösen Methoden lässt sich dieses Ziel jedoch nicht erreichen. Zu überwältigend sind die Daten zu den Opfern, welche die Pandemie gefordert hat. Zu überwältigend auch die Daten, die beweisen, dass die Impfung Leben gerettet hat.
Deshalb wenden die Sprecher der AfD eine andere Taktik an: Sie picken sich einzelne Ereignisse oder Daten aus einem Fundus an Studien und Erinnerungen heraus, stets mit dem Ziel, damit die grundsätzliche Bedeutung der Pandemie infrage zu stellen und Expertinnen und Experten zu diskreditieren.
Mit besonderem Furor widmet sich die AfD in der Kommission der Corona-Impfung.
Dazu wenden sie eine perfide Fragetechnik an. Sie versuchen, die geladenen Sachverständigen vor laufender Kamera mit weit zurückliegenden Äußerungen oder Behauptungen zu konfrontieren, zu denen diese sich dann ad hoc und ohne Möglichkeit der Prüfung äußern sollen. Auch hier ist das Ziel klar: Es geht überhaupt nicht um Antworten, gar Erkenntnisgewinn. Die Befragungen sollen als Tribunal dienen, um die Sachverständigen in der Öffentlichkeit als fahrig, verwirrt, letztlich unglaubwürdig erscheinen zu lassen.
Auch die Wissenschaft leidet, denn die Vertreter der AfD haben keinerlei Hemmungen, komplexe Studien anzuführen, dabei aber zentrale Befunde einfach unter den Tisch zu kehren. Ein Beispiel dafür ist die Diskussion um eine Studie, in der die Übersterblichkeit durch die Corona-Pandemie in 29 europäischen Ländern von 2020 bis 2023 untersucht wurde.
Dazu muss man wissen, dass die Übersterblichkeit in der Epidemiologie ein anerkannter Parameter ist, um sowohl die Zahl der direkten als auch der indirekten Opfer einer Pandemie zu messen. Die erwähnte Studie gilt als wissenschaftlich seriös, und sie kommt zu einem zentralen Ergebnis: In den untersuchten Ländern sind durch die Folgen der Pandemie insgesamt 1 642 586 Menschen gestorben.
Dabei zeigt sich: Je schlechter die sozialen Verhältnisse und je niedriger die Impfquote in bestimmten Ländern waren, desto höher die dortige Sterblichkeit.
Diese Ergebnisse spielen in der Argumentation der AfD allerdings keine Rolle. Stattdessen betonen sie einen anderen Befund: Die Studie stellt nämlich auch fest, dass in Schweden die Übersterblichkeit gemessen an der Bevölkerungszahl die niedrigste in Europa war – auch geringer als in Deutschland. Dies missinterpretieren sie als Beweis dafür, dass die in Deutschland im Vergleich zu Schweden strengeren Maßnahmen – Stichwort: Lockdown – unnötig, wenn nicht sogar schädlich waren.
Mit dem Zurückfahren von Impfprogrammen werden viele Tausend Menschen an Infektionen erkranken oder sterben.
Die Daten zur Sterblichkeit in der Studie sind nicht anzuzweifeln. Dennoch ist die Interpretation der AfD-Vertreter zutiefst unwissenschaftlich. Die Autoren der Studie geben bewusst keine Erklärung für die Sterblichkeitsunterschiede in den Ländern an – mit Ausnahme der erwähnten sozioökonomischen Verhältnisse sowie der Impfraten. Denn viel zu viele Faktoren könnten das Ergebnis beeinflusst haben, etwa die Bevölkerungsdichte, das Verhältnis von Land- zu Stadtbewohnern, das Eigenverhalten der Menschen, die Arbeitsbedingungen, der Beginn von Maßnahmen im Verhältnis zur Aktivität der Pandemie und der Virusvarianten, die Stärke der Einschränkungen und so weiter.
Die Analyse der Sterblichkeit über den gesamten Zeitraum der Pandemie lässt im Übrigen keinen Aufschluss darüber zu, ob zu bestimmten Zeitpunkten – etwa in der ersten Welle 2020, in der es noch keine Impfung gab – die Maßnahmen angemessen waren oder nicht. So stellt die schwedische Kommission in ihrem Bericht 2022 fest, dass die Todesrate in Schweden insgesamt zwar niedrig, im Jahr 2020 jedoch eine der höchsten in Europa war.
Doch damit nicht genug: Mit besonderem Furor widmet sich die AfD in der Kommission der Corona-Impfung. Keine noch so dubiose „Studie“ wird ausgelassen, um einerseits die Wirkungslosigkeit, andererseits die Gefährlichkeit der Impfung scheinbar zu belegen. In der Kommissionssitzung zu Langzeitwirkungen von Covid-19 haben sich AfD-Sprecher sogar zu der Behauptung verstiegen, diese seien hauptsächlich Folgen der Corona-Impfung. Das Gegenteil ist der Fall: Die Impfung reduziert das Risiko, zu erkranken.
Doch Fakten und Ideologie verschwimmen, deutlich zutage tritt eine Zerstörungslust, wie sie in den USA auch der dortige Gesundheitsminister Robert Kennedy Jr. vertritt. Sein ideologisch getriebener Feldzug gegen Impfungen hat dort bereits zu massiven Einschnitten in Impfprogramme geführt. Die Ungeheuerlichkeit dieser Entwicklung kann man kaum genug hervorheben. Denn damit stellt er eine Maßnahme infrage, die Gesundheit und Lebenserwartung der Menschheit so deutlich verbessert hat wie kaum eine andere – weltweit. Laut WHO wurden in den vergangenen 50 Jahren mindestens 154 Millionen Leben durch Impfungen gerettet; bezogen auf die Corona-Pandemie sind es allein in Europa 1,4 Millionen.
Angesichts dieser Dimensionen ist es zynisch wie brandgefährlich, wenn Menschen mit solchen Positionen politische Verantwortung übernehmen und eines Tages womöglich in die Tat umsetzen, was sie fordern. Mit dem Zurückfahren von Impfprogrammen werden viele Tausend Menschen an Infektionen erkranken oder sterben. Darin besteht in der Wissenschaft kein Zweifel.
Gerd Fätkenheuer war bis 2024 Leiter der Klinischen Infektiologie am Uniklinikum Köln und von 2013 bis 2019 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI).
Bernd Salzberger war bis 2024 Leiter des Bereichs Klinische Infektiologie am Universitätsklinikum Regensburg sowie von 2019 bis 2023 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI). Er ist derzeit Mitglied der Corona-Enquete-Kommission.
