Der Skispringer Andreas Wellinger ist zweimaliger Olympiasieger und zweimaliger Weltmeister, in normalen Zeiten liefert er zudem im Weltcup Top-Platzierungen in Serie ab. Im Augenblick aber ist Wellinger ein Sorgenspringer des Deutschen Ski-Verbandes (DSV), denn so schlecht wie in dieser Saison war er noch nie.
Mittlerweile fällt es ihm sogar schwer, sich überhaupt für das Feld der 50 besten Springer eines Weltcup-Wettkampfs zu qualifizieren – zum Saisonauftakt in Lillehammer belegte er Rang 56. Und auch am Sonntag im sächsischen Klingenthal scheiterte dieser hochdekorierte Athlet als 57. von 64 Springern bereits in der Qualifikation.
Wellinger und die „abgehackten Bewegungen“
Wellinger schaffte es in den neun Weltcup-Springen dieses Spätherbstes nur zweimal in den zweiten Durchgang der besten 30, fünfmal war schon nach dem ersten Sprung Schluss. Gemessen an den Ansprüchen, die der 30 Jahre alte Wellinger an sich selbst stellt, ist das eine erschütternde Bilanz, die Konsequenzen hat: Wellinger steigt aus dem Weltcup-Team aus und begibt sich in ein Spezialtrainingslager.
Damit ist er nach Karl Geiger, der sich ebenfalls in einer Krise befindet, schon der zweite Athlet des deutschen A-Kaders, der eine besondere Aufbau-Betreuung erhält. Geiger verzichtete wegen seines Formverlusts bereits auf die Reise nach Klingenthal, Wellinger fühlte sich nach einem Sondersprungkurs in der Ramsau eigentlich bereit für die Aufgabe. Doch nach Rang 40 am Samstag sah er ein, dass er längst noch nicht wettbewerbsfähig ist: „Ich gehe raus aus dem Team.“ Begründung: „Meine springerische Leistung ist einfach schlecht im Moment. Ich kriege es nicht umgesetzt, dass ich Konstanz reinbringe. Es sind so abgehackte Bewegungen.“
Wegen dieser abgehackten Bewegungen kann sich sein Flugsystem nicht entwickeln, Wellinger landet entsprechend früh. Oder anders ausgedrückt: „Wenn man sich das vorstellt, man fährt mit dem Auto nicht mit einem Schwung um die Kurve, sondern mit vier, fünf Ecken – genau so fühlt sich das Springen momentan für mich an.“

Weil er im „Moment so ein bisschen auf der Stelle tappt“, werde er nun verstärkt daran gehen, seinen Sprung zu schulen. Das geschieht in der Regel auf Kleinschanzen, weil es dort besonders auf den Absprung und den Übergang in die Flugphase ankommt. Dem Vernehmen nach wird Wellinger dazu nach Oberstdorf und Planica reisen. Auf das nächste Weltcup-Wochenende im schweizerischen Engelberg wird er deshalb verzichten.
Wellinger hatte schon beim Medientag des DSV Ende Oktober erklärt, dass „ich mich verbessern muss. Ich muss meine Sprünge stabilisieren und angesichts der Anzugveränderungen, die es gegeben hat, das richtige Setup finden.“
Ganz offensichtlich ist ihm das bisher noch nicht gelungen. Bundestrainer Stefan Horngacher sagt im Gespräch mit der F.A.Z.: „In der Feinabstimmung des Materials ist immer noch etwas zu tun für den Andreas. In letzter Konsequenz muss er einfach technisch besser springen.“ Wellinger sei ein großer Springer mit „langen Hebeln, aber wenn du die nicht ausnutzen kannst, hat das eine größere Auswirkung“. Jetzt gehe es darum, Wellinger mit vielen Sprüngen wieder „aufzupäppeln“. Aus Wellingers Umfeld wird verlautet, dass er angesichts der Situation nicht verzweifelt, sondern sehr sortiert wirkt und ehrgeizig bemüht ist, sein Fehlerbild zu korrigieren.
Martin Schmitt, einst selbst ein Weltklasse-Skispringer und zurzeit als Jugendtrainer des Deutschen Ski-Verbandes tätig, sieht im Gespräch mit der F.A.Z. durchaus ein größeres Problem bei Wellinger: „Sein Bewegungsablauf funktioniert gerade nicht. Wenn er daran arbeitet, wird sich sein Sprung anders anfühlen als zuletzt. Er muss sich von den Gefühlen lösen, die er sich antrainiert hat. Das ist nicht einfach.“
Skispringen sei eine Sportart, bei der Fehlerbilder in der Theorie klar seien, aber bei der die Abstellung in der Praxis nicht immer gleichförmig verlaufe. Es könne bei Wellinger passieren, „dass du nicht den richtigen Ansatz findest. Dann machst du dir noch zusätzlichen Druck – dann kann sich so ein Aufholprozess über Wochen und Monate hinziehen.“ Gleichwohl sei Wellinger laut Schmitt ein Athlet, der sich schnell adaptieren könne: „Er braucht Aha-Erlebnisse. Dann kann er relativ schnell wieder Fuß fassen, auch in Richtung der Top Ten in der Ergebnisliste.“ Das Aufspüren eines solchen Aha-Erlebnisses innerhalb seines Sondertrainings traut Schmitt Wellinger durchaus zu: „Das wird schon.“
