Migration: Deutsche halten Zuwanderung insgesamt für zu hoch – auch legale Einwanderung

Zehn Jahre nach 2015 hat sich die „Willkommenskultur“ erschöpft, rückblickend überwiegen für viele Menschen die negativen Folgen. Eine Mehrheit der Deutschen hält inzwischen auch die legale Einwanderung für zu hoch. Doch bei bestimmten Fragen wandelt sich Skepsis teils in Zustimmung.

Die Bürger in Deutschland halten die Einwanderung mehrheitlich für zu hoch – und zwar sowohl die illegale Migration als auch die legale Zuwanderung. Das ist das Ergebnis einer neuen repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov, die WELT exklusiv vorliegt.

Demnach sagen 81 Prozent der Deutschen, dass sie das Ausmaß der illegalen Einwanderung nach Deutschland in den vergangenen zehn Jahren als viel zu hoch oder eher zu hoch betrachten. Fünf Prozent halten das Niveau der illegalen Zuwanderung für richtig, gerade einmal drei Prozent für eher zu niedrig oder viel zu niedrig.

Doch auch über legale Wege sind nach Ansicht einer Mehrheit der Deutschen zu viele Menschen in das Land gekommen. 57 Prozent halten das Niveau der legalen Einwanderung der vergangenen zehn Jahre für viel zu hoch oder eher zu hoch. Knapp ein Viertel hält es für richtig, acht Prozent bewerten es als zu niedrig.

Die Daten stammen aus dem European Political Monthly, einer repräsentativen Umfrage, die YouGov regelmäßig in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Polen durchführt. In den weiteren Ländern fällt die Ablehnung der illegalen Migration ähnlich hoch aus. Auffällig aber ist, dass in Deutschland, dem Hauptzielland der Migrationsbewegungen der vergangenen Dekade, die Ablehnung und negative Bewertung am deutlichsten sind.

Genaue Zahlen zum Migrationsgeschehen in Deutschland zu ermitteln, ist schwierig. Eine parlamentarische Anfrage aus dem vergangenen Jahr nach der Zahl der illegal eingewanderten Migranten konnte die damalige Bundesregierung nicht beantworten. Das Statistische Bundesamt gibt die Zahl der Zuwanderer seit 2015 mit 6,5 Millionen an, unterscheidet aber nicht zwischen legalen und illegalen. Ein Hinweis gibt das Bundesamt für Migration: Die Behörde zählte seit 2015 2,8 Millionen Erstanträge auf Asyl, denen oft eine illegale Einreise vorausging.

75 Prozent halten illegale Migration für schlecht für Deutschland

Ein weiteres Ergebnis der YouGov-Erhebung: Drei von vier Deutschen sagen, dass die illegale Migration der vergangenen zehn Jahre größtenteils schlecht für das Land war. 16 Prozent sehen positive und negative Aspekte, drei Prozent halten sie überwiegend für gut für das Land. Legale Zuwanderung wird weniger negativ bewertet, hat nach Ansicht von 38 Prozent der Befragten dem Land aber ebenfalls geschadet. 31 Prozent sehen Vor- und Nachteile, 24 Prozent bewerten sie als positiv. Der Rest antwortete jeweils „weiß nicht“.

Ähnlich fällt die Antwort auf die Frage aus, wie erfolgreich illegale und legale Einwanderer integriert wurden. Eine Mehrheit von 80 Prozent ist der Auffassung, illegale Migranten seien nicht erfolgreich integriert worden. Jeder zweite Deutsche entschied sich bei der Frage für die Option „überhaupt nicht erfolgreich“. Die Bundesrepublik liegt damit in der YouGov-Umfrage an letzter Stelle hinter Frankreich und Italien, wo 75 Prozent der Befragten die Integration illegaler Migranten für gescheitert erklären. Sieben Prozent der Deutschen halten die Integration illegaler Migranten für erfolgreich.

Die Integration legaler Einwanderer ist nur etwas besser gelungen. Zwar bewerten 38 Prozent die Integration dieser Gruppe als erfolgreich. Allerdings ist auch bei dieser Frage eine Mehrheit von 54 Prozent der Auffassung, die Integration sei nicht erfolgreich gelungen. Ähnlich schlecht schneiden legale Einwanderer in Frankreich ab, wo 57 Prozent der Befragten sagen, sie seien nicht erfolgreich integriert.

Die Meinungsforscher wollten auch wissen, wie die Bevölkerung auf die Zuwanderer blickt. 79 Prozent der Deutschen sind der Ansicht, dass illegale Einwanderer nicht die gleichen Werte wie die einheimische Bevölkerung teilen. Auch unter legalen Einwanderern sieht eine Mehrheit von 53 Prozent überwiegend Menschen mit anderen Werten. Etwas weniger als ein Drittel (29 Prozent) sagt, legale Einwanderer teilten unsere Werte. In Bezug auf illegale Migranten sind nur sieben Prozent dieser Ansicht.

„Wir sehen eine große Müdigkeit beim Thema Zuwanderung“, sagt YouGov-Meinungsforscher Frieder Schmid. „Vor allem für irreguläre Migration gibt es zur Zeit wenig Akzeptanz.“ Für manche Bürger hat Zuwanderung zu Problemen geführt, etwa in Schulen oder durch einen Mangel an Wohnungen in Großstädten. „Dadurch sehen einige das Thema Zuwanderung insgesamt als problematisch an“, sagt Schmid, wenn auch legale Migration weniger deutlich abgelehnt werde.

Innerhalb von zehn Jahren hat sich die 2015 viel gerühmte „Willkommenskultur“ erschöpft. Das zeigt auch das YouGov-Eurotrack-Panel, eine weitere repräsentative Erhebung des Meinungsforschungsinstituts von November. Nur noch zehn Prozent der Deutschen sprechen sich für eine liberale Zuwanderungspolitik und die großzügige Aufnahme weiterer Migranten aus. Eine Mehrheit von 60 Prozent unterstützt einen deutlichen Rückgang der Zahl der Migranten, würde aber den Zuzug einiger weiter erlauben. Und eine knappe Mehrheit von 53 Prozent bejaht auch ein Szenario mit einem Aufnahmestopp und einer Rückkehr einer größeren Zahl von Migranten in ihre Heimat.

In einer Folgefrage sprachen sich 88 Prozent derjenigen, die dieses Szenario begrüßten, dafür aus, dass Personen, die zum Bezug von Sozialleistungen eingewandert sind, wieder gehen sollten. 85 Prozent forderten die Rückkehr von irregulär eingereisten Asylbewerbern. 38 Prozent würden auch Asylbewerber abschieben, die auf einem legalen Weg eingereist sind, 40 Prozent lehnten das ab. Deutlich abgelehnt wird die Ausweisung von Ärzten mit Arbeitsvisum (74 Prozent), Fachkräften mit Arbeitsvisum (73 Prozent), Handwerkern mit Arbeitsvisum (71 Prozent) und ausländischen Studenten (66 Prozent).

Mit Trade-offs konfrontiert, schlägt die Ablehnung von Zuwanderung teilweise in Zustimmung um

Im Rahmen des Eurotrack-Panels stellte YouGov die Befragten vor Abwägungsentscheidungen, sogenannte Trade-Offs. Denn weniger legale Einwanderung in Deutschland heißt auch weniger Einwohner, weniger Arbeits- und Fachkräfte, weniger Steuerzahler. Das führt zu einem interessanten Befund: Damit konfrontiert, schlägt die Ablehnung der legalen Zuwanderung durch die Deutschen in Zustimmung um. „Bürger erkennen auch den Bedarf nach Zuwanderung und die Vorteile“, sagt Schmid. „Das wird aber erst klar, wenn man sich spezifisch darüber unterhält.“

Am deutlichsten zeigt sich dies in der Frage des Pflege- und Fachkräftemangels. 61 Prozent der Befragten sprechen sich dafür aus, das Personal im Gesundheitssystem aufzustocken, auch wenn dafür mehr Zuwanderer kommen müssen; nur 17 Prozent sind für eine Reduktion der Einwanderung, wenn dadurch Personal im Gesundheitssystem fehlt. In der Frage der Fachkräftegewinnung betragen diese Werte 56 und 22 Prozent, bei der Gewinnung ausländischer Talente 58 und 22 Prozent. Fast jeder Zweite (46 Prozent) würde sich für eine Besserung der wirtschaftlichen Lage durch Zuwanderung entscheiden, die Alternative – weniger Einwanderung und eine schwächelnde Wirtschaft – wählen 27 Prozent.

Weniger überzeugend ist das Steuerzahler-Argument: Danach gefragt, spricht sich eine relative Mehrheit von 39 Prozent der Befragten dafür aus, die Zahl der Steuerzahler auch durch legale Zuwanderung zu erhöhen, 33 Prozent wünschen das Gegenteil. Und eine relative Mehrheit von ebenfalls 39 Prozent bekennt sich zu internationalen humanitären Verpflichtungen, auch wenn das hieße, zum Beispiel Kontingentflüchtlinge aufzunehmen. Mit 33 Prozent ist die Ablehnung internationaler humanitärer Verpflichtungen zugunsten einer Reduktion der Zuwanderung von allen Szenarien am größten.

Für das European Political Monthly befragte YouGov vom 7. bis zum 18. November online 1122 Personen in Deutschland, 1014 in Frankreich, 1013 in Polen, 1071 in Spanien und 1033 in Italien. Für das Eurotrack-Panel befragte YouGov vom 11. bis zum 24. November online 2584 Personen in Deutschland, 2138 in Großbritannien, 1043 in Frankreich, 1061 in Spanien und 1082 in Italien. Die Stichprobe ist jeweils repräsentativ für die Wohnbevölkerung ab 18 Jahren.