Beginnen wir mit einem der Jahreszeit angemessenen Vergleich: Diese Serie verhält sich zum Gesamtwerk von Taylor Swift ungefähr so, als würde ein Konditor nicht nur seine Plätzchen verkaufen, sondern die Leute auch noch fürs Ausschlecken der Teigschüssel bezahlen lassen.
„The End of An Era“ erzählt in sechs Folgen von Swifts gigantischer „Eras“-Tour, die 2024 zu Ende gegangen ist. 149 Shows hat die 36-Jährige auf fünf Kontinenten gespielt, vor insgesamt mehr als zehn Millionen Fans. Es ist mit Einnahmen von mehr als zwei Milliarden Dollar die kommerziell erfolgreichste Tour der bisherigen Popgeschichte. Nur wurden alle Rekorde dieser Tournee natürlich schon oft erzählt. Sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr oft. Und die Serie, zumindest die ersten beiden Folgen, die schon online sind (der Rest kommt wochenweise bis Weihnachten nach), erzählt es nun eben noch mal. Sie läuft auf Disney+, dem Streamingdienst, der quasi jedem Geräusch, das die Beatles jemals von sich gegeben haben, eine eigene Serie gewidmet hat.

:Vorsichtig formuliert: vollkommen gestört
Taylor Swifts Fans kaufen von ihrem neuen Album „The Life of a Showgirl“ in der ersten Woche vier Millionen Stück. Das ist selbst im Vergleich mit Prä-Streaming-Zeiten astronomisch viel.
Disney+ ist zu einer Art Edelresterampe für Mainstream-Musikanten geworden, wo in zahlreichen dokumentarfilmähnlichen Produktionen die Hits eine große sowie Drogen und Skandale eine eher kleine Rolle spielen. Ist ja ein Streamingdienst für die ganze Familie. In diesem Sinne ist Swift die perfekte Künstlerin, denn sie nimmt keine Drogen, wie sie selbst in der Serie verkündet. Also muss man erst gar nichts unter den Tisch kehren.
Es gab 2020, lange vor der „Eras“-Tour, mit der sie endgültig der größte Popstar des Planeten wurde, schon eine Swift-Doku, die bei Netflix zu sehen ist. In „Miss Americana“ sprach sie für Superstarverhältnisse erstaunlich offen über ihren Kampf mit der Essstörung, ihren Kampf gegen die irren konservativen Hardliner und Abtreibungsgegner in den USA, ihren Kampf, durch den Ruhm nicht dem Wahnsinn zu verfallen.
Solche Szenen gibt es in den bislang veröffentlichten Folgen von „The End of An Era“ weniger. Sie berichtet zwar, wie schlimm die Bombendrohung für sie war, deretwegen sie ihre Konzerte in Wien absagen musste. Und sie bricht in Tränen aus, als sie sich an die Messerattacke im britischen Southport erinnert. Dort tötete ein Amokläufer am 29. Juli 2024 drei Mädchen im Alter von sechs, sieben und neun Jahren, die an einem Tanzworkshop mit dem Thema „Taylor Swift“ teilnahmen.

:Beruf: Taylor Swift
Der US-Medienkonzern Gannett sucht für „USA Today“ einen „Taylor Swift Reporter“. Jetzt aber schnell Bewerbungsfotos machen.
Den Anstoß für die „Eras“-Tour schweigt sie wortwörtlich tot. Sie sagt zwar, dass der Auslöser eine Person gewesen sei, die ihr die Rechte an ihren ersten sechs Alben quasi unterm Hintern weggekauft hatte. Und sie sagt auch, dass sie deshalb ihre ersten sechs Alben noch mal komplett neu eingespielt habe, als „Taylor’s Version“, und dass sie, inspiriert durch diese Arbeit, eine Tour habe machen wollen, um auf „all die Mädchen, die ich mal gewesen bin“, zurückzublicken. Den Namen des musikrechtehandelnden Schurken nennt sie in Lord-Voldemort-Tradition aber absichtlich nicht. Und wir wollen es ihr an dieser Stelle gleichtun (wer bisher nicht weiß, um wen es sich handelt, kann ja mal googeln, mit wem die Schauspielerin Sidney Sweeney gerade an ihrem Pool schmust).
Ansonsten zeigt die Serie aber vor allem, wie glücklich und freundlich Taylor Swift mit ihrem Team umgeht, und wie glücklich und freundlich ihr Team mit Taylor Swift umgeht, und wie glücklich und freundlich die Fans von Taylor Swift während der Tour mit Taylor Swift und ihrem Team umgegangen sind. Ist das langweilig? Merkwürdigerweise irgendwie nicht.
Wenn man selbst die Möglichkeit hatte, Swift auf ihrer Tour live zu erleben (weil man an einem schrecklichen Magen-Darm-Tag auf dem Klo nichts anderes zu tun in der Lage war, als den Eventim-Store im Sekundentakt zu aktualisieren und so zufällig an zwei Restkarten in der Kategorie eins für den Auftritt im Münchner Olympiastadion gekommen ist, ja, es war sehr teuer, danke der Nachfrage), wenn man also selbst Zeuge dieser irren Messe geworden ist, muss man aber auch festhalten: Man kann Swift dieses Serienrecycling irgendwie nicht recht übel nehmen. Alle waren nun mal nüchtern und nett, und es war nicht trotzdem, sondern gerade deshalb: sehr schön.
Dass man nun durch die Serie eben noch erfährt, dass ihr Bassist sich in der Dusche warmspielt, um niemandem mit dem Lärm seines Instruments zur Last zu fallen, passt folglich perfekt ins Gesamtbild.
Und wer sich darüber lustig macht, wie sie mit ihrem Boyfriend, dem Football-Hühnen Travis Kelce, am Telefon herumturtelt („manche brauchen vor dem Konzert eine Vitaminspritze, mir reicht ein Gespräch mit dir“), der ist eben selbst gar nicht nett, sondern wahrscheinlich einfach nur eifersüchtig.
Taylor Swift: The End of an Era, sechs Folgen, bei Disney+
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