Ulrich Wickert über mögliche AfD-Regierungsverantwortung: „Dann wird es problematisch“ – Medien

SZ: Sie gingen 1969 zum ersten Mal für die ARD nach Frankreich, sehr, sehr lange vor „Emily in Paris“. Sie beide lieben diese Stadt. Eine ferne Seelenverwandtschaft? 

Ulrich Wickert: Ich habe „Emily in Paris“ gar nicht gesehen, das ist thematisch nicht mein Gebiet, aber die Serie kommt trotzdem in meinem Buch vor! Ich frühstücke meistens im Café de Flore – in der Gegend um den Boulevard Saint-Germain und den Boulevard Raspail habe ich mein ganzes Berufsleben über gewohnt, ich wollte ja mitten in der Stadt sein. Letztes Mal komme ich hin, und da steht vor dem Flore eine lange Schlange von Menschen aus dem fernen Asien und will hinein. Ich habe mich mit Mühe dran vorbei reingemogelt, und später wurde mir erzählt, dass Emily in der Serie dort war. Deshalb der verrückte Ansturm, das habe ich gleich im Krimi verwendet.

Ihre Helden sind der Untersuchungsrichter Jacques Ricou und seine Freundin Margaux, eine Starjournalistin. Ein echtes Machtpaar – und sie sind jetzt beide hinter der gleichen Story her.

Wobei er natürlich der Mächtigere ist.

Ist das wirklich so?

Sie bewegt eigentlich nichts, sondern sie ist diejenige, die recherchiert.

Sie haben da in Ihren beiden Helden Justiz und Presse zusammengebracht.

Das ist auch etwas, was den gesellschaftlichen Verhältnissen in Frankreich entspricht. Wer hat zum Beispiel die Geschichte von Nicolas Sarkozys finanziellen Verbindungen nach Libyen rausgebracht?

Das war die Webzeitung Mediapart, gegründet von berühmten Ex-Le-Monde-Leuten.

Und wer hat daraus dann eine Ermittlung begonnen, weshalb „Sarko“ ins Gefängnis musste? Der Untersuchungsrichter! Oder der Canard enchaîné brachte den Skandal um den Präsidentschaftsbewerber François Fillon heraus, der seine Bewerbung zurückzog, als daraufhin eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet wurde. Da haben Sie diese Verbindung Presse und Justiz. Fillon wäre sonst Präsident geworden.

Haben Sie während Ihrer Zeit als Journalist das Gefühl von Macht gespürt?

Nein. Es gab den einen oder anderen Fall, bei dem das, was man berichtete, zu Konsequenzen führte. Aber ich habe dabei nie ein Gefühl von Macht gespürt. Ich bin der Meinung, die Aufgabe des Journalisten ist es, aufzuklären.

Dann ist es aber immerhin praktisch, wenn man wie Margaux daheim den Untersuchungsrichter hat.

Die beiden haben, das werden Sie gelesen haben, ein Schweigegelübde. Das heißt, sie dürfen sich gegenseitig alles erzählen. Aber der jeweils andere darf es nicht benutzen, wenn sie es noch nicht publiziert hat beziehungsweise, wenn er damit noch nicht an die Öffentlichkeit gegangen ist.

Schwierig. Aber die sind da extrem abgeklärt.

Ja, sonst funktioniert so ein Paar ja auch nicht.

Hatten Sie mal eine so eine Beziehung, wo so eine Schweigemauer sein musste?

Nee.

Aber man merkt dem Buch schon sehr an, dass Sie Journalist waren. Margaux und Jacques reden eigentlich ständig über Nachrichten oder über Klatsch.

Ich kann mir vorstellen, dass es eine Berufskrankheit ist. Das fängt schon damit an, dass ich ja morgen schon ganz viele Zeitungen lese, weil ich alles wissen will.

Sie erzählen verschiedene Zeitschichten von Pariser Historie mit. In welcher würden Sie gerne leben?

Eigentlich immer jetzt. Die Zeit, in der ich mich gerade befinde, da fühle ich mich wohl. Diesmal bringe ich ja die Geschichte des Pariser Viertels Belleville mit hinein, die ist einfach sehr spannend. Es gab sogar mal eine Art Seilstraßenbahn wie in San Francisco, die fuhr von der Place de la République bis nach oben, Belleville ist ja ein Hügel. Und auch der Begriff „die Apachen“, der in meinem Buch vorkommt, den gab es schon vor hundert Jahren für junge Leute, die sich gegen etwas in ihrem Viertel wehrten, was man heute Gentrifizierung nennen würde.

Was schon auffällt in Ihrem Buch: Sie beschreiben ein bisschen die goldenen Seiten des Journalismus. Da lädt der Chefredakteur die ganze Truppe übers Wochenende in ein Chateau ein …

… das ist ein ganz kleines Chateau, aber das gibt es wirklich.

Klingt trotzdem ein bisschen nach Hamburger Journalismus in den 80er-Jahren.

Ich hab’s mir halt ausgedacht, das gefällt mir.

Sie selber haben Ihr ganzes Berufsleben in der ARD verbracht. Ihre Frau Julia Jäkel, die frühere Vorstandsvorsitzende des Verlags Gruner + Jahr, war maßgeblich im Zukunftsrat, der Reformen für ARD und ZDF erarbeitet hat. Ein Thema, das Sie beide beschäftigt?

Na ja, wenn Sie fast 40 Jahre bei der ARD gearbeitet haben, dann haben Sie auch gesehen, was man ändern könnte.

Jetzt wird es interessant. Was denn?

Das sage ich nicht, weil das viel zu interne Dinge sind.

Schade.

Ich kann das ja alles meiner Frau sagen.

Wie viel wird bei Ihnen zu Hause darüber diskutiert?

Viel. Absolut.

Ist das Problem mit den Reformen im öffentlich-rechtlichen System vielleicht gerade, dass sehr viele Leute sehr genau wissen, was geändert werden müsste, aber nicht darüber reden?

Intern werden solche Dinge durchaus diskutiert, glaube ich.

Aber am Ende nicht geändert.

Das sind ja Machtfragen. Wenn jemand sagt, wir müssen eigentlich eines der Orchester vom Bayerischen Rundfunk abschaffen, dann wird Herr Söder schon ganz nervös.

Die Politik setzt den Rundfunk andrerseits unter Druck, etwa bei der Wahl seiner Bürostandorte in Brandenburg oder wegen mangelnder Lebenswirklichkeit aus dem Osten. Der RBB hat dagegen sogar geklagt und verloren. Wie dramatisch ist diese Art von Druck?

Das klingt vielleicht dramatisch, aber erinnern Sie sich nur mal daran, wie der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht und Gerhard Stoltenberg aus Schleswig-Holstein Ende der 70er-Jahre den Staatsvertrag der Dreiländeranstalt NDR sprengen wollten. Denen passte die Berichterstattung aus Hamburg nicht. Der Kampf um Fragen wie Regionalbüros oder warum es ein NDR-Orchester in Hamburg und eines in Hannover geben muss – der ist uralt. Das ist Politik, aber das ist kein schlimmer Einfluss. Schlimm wird es für mich, wenn Politiker verhindern, dass beim ZDF Nikolaus Brender als Chefredakteur verlängert wird, wie das 2009 passiert ist. Aber die Eingriffe waren bis in die 80er-Jahre viel stärker. Nach dem Prinzip: Das Land wird von der CDU regiert, also gibt es einen CDU-Intendanten, und bei einer SPD-Regierung wird es ein SPD-Intendant.

Die berühmte Farbenlehre. Gibt es die gar nicht mehr?

Ein bisschen gibt es die wahrscheinlich noch, aber längst nicht mehr wie früher.

Es könnte sein, dass es 2026 einen AfD-Ministerpräsidenten gibt.

Das wird dann problematisch.

Was ist Ihre Prognose? Was passiert dann mit den Sendern?

Grundsätzlich kann ein AfD-Ministerpräsident Sender ja nicht beeinflussen. Es gibt Rundfunkräte als Kontrollmacht, die sind durch verschiedene gesellschaftliche Gruppen besetzt. Die Landespolitik ist heute nur noch eine von vielen Kräften im Rundfunkrat, das hat damals das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts nach dem Fall Nikolaus Brender bewirkt.

Sie sagen also, das System ist stark genug?

Ich gehe davon aus, dass es stark genug ist. Ich hoffe es jedenfalls.

Es gibt aber auch Szenarien, wonach eine AfD-Landesregierung dann komplett aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk aussteigt und den Rundfunkstaatsvertrag kündigt.

Ja, aber das wäre womöglich gar nicht so einfach. Was da rechtens ist und was nicht, müsste vielleicht am Ende wieder das Bundesverfassungsgericht klären. Meine Sorge ist aber vor allem, dass die AfD, wenn sie irgendwo in Regierungsmacht kommt, Polizeidirektoren und Richter besetzen kann, solche Positionen. Das ist meiner Meinung nach die größte Gefahr.

Ihr Krimi ist ziemlich nah an der unschönen Weltlage. Sie verweben Elon Musk, die französische Parlamentsaufhebung und den linksradikalen Jean-Luc Mélenchon mit hinein und die Staatskorruption. Ein Unwohlfühlbuch und dann wieder ein Wohlfühlbuch. Denn alle essen die ganze Zeit gut, man fährt übers Weekend aufs Land, man macht sich’s schön …

… c’est la France! Als ich nach Paris kam, habe ich bald gelernt, dass die Arbeit beim Mittagessen stattfindet. Ich wusste, ich muss einen Kontakt im Élysée-Palast haben und einen im Quai d’Orsay, im Außenministerium. Ich habe dann jemanden aus dem Élysée kennengelernt, mit dem ich mich sehr gut verstanden habe, und wir gingen immer wieder sehr gut Essen. Wir waren schließlich so befreundet, dass ich, wenn ich von Mitterrand ein Gespräch haben wollte, das mit ihm zusammen einfädeln konnte.

Margaux ist ein besonderer Nachrichtenjunkie, sie bricht sogar das Weekend wegen einer Story ab und verpasst dadurch ihren Heiratsantrag.

Das hätte ich aber auch gemacht. Wissen Sie, als Journalist habe ich das Privatleben immer zurückgestellt.

Echt? Und bereuen Sie das?

Nein, das reut mich nicht, weil es ja immer wichtige Dinge waren. Also zum Beispiel bekomme ich einen Anruf von meinem Spion beim deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher – man muss ja immer Bescheid wissen.

Das war wann?

Wir sind jetzt zeitlich im Prozess vor der deutschen Einheit, es gibt das berühmte Treffen im Kaukasus, bei dem der Durchbruch erzielt wurde. Genscher ist direkt vom Kaukasus nach Paris geflogen, um am nächsten Tag mit dem Außenminister Roland Dumas die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen vorzubereiten. Mich ruft mein Spion an und sagt, Genscher kommt um Mitternacht im Hotel Bristol an. Wo sitze ich um Mitternacht? Natürlich im Hotel Bristol. Genscher kommt mit seiner Entourage an, die Entourage ist froh: Wie schön, der Wickert sitzt da, der trinkt noch was mit ihm, wir können ins Bett gehen. Und Genscher sagt: Ah, Herr Wickert, trinken wir noch Bier zusammen! Und hat mir dann alles vom Kaukasus erzählt.

Ulrich Wickert: Der Raub im Tunnel. Piper Verlag, 22 Euro.
Ulrich Wickert: Der Raub im Tunnel. Piper Verlag, 22 Euro. (Foto: Piper Verlag)

Sieht so das Journalistenglück aus?

Glück ist, wenn man zufrieden ist. Das kann eine ganz kleine Geschichte sein, die einem so gelingt, dass man sagt: Wie schön.

Richter Ricou dagegen findet, Ruhe macht zufrieden – und geht freitagvormittags schon die Abendkarte des Lieblingsrestaurants durch.

Journalistenglück kann auch mit einem guten Essen zu tun haben. Mein Spion im Élysée sorgte auch dafür, dass ich ab und zu bei einem Staatsdinner dabei sein konnte. Eines Tages sagt er, der israelische Staatspräsident kommt, ich habe noch einen Platz für dich. Also gehe ich hin und erlebe eine kleine Sache, die ich nie verwertet habe. Nach dem Essen gibt es Musikvorführungen der Chansonnière Barbara. François Mitterrand hatte sie eingeladen, vor dem israelischen Präsidenten „Göttingen“ zu singen. Kennen Sie das Lied „Göttingen“? Es ist ein sehr politisches Lied, es handelt von der Versöhnung mit den Deutschen. Das war ein Moment, wo ich gedacht habe, Mensch.

Und das ist Glück?

Ja, ich bin zufrieden, dass ich das miterleben durfte, für mich selbst.