

Diese Bilder liebt der Präsident: Javier Milei sieht vor der Casa Rosada eine jubelnde Schülergruppe. Milei steigt aus seiner Limousine vor dem argentinischen Präsidentenpalast aus und lässt sich von den Schulkindern mit „Presidente, Presidente“-Sprechchören feiern. Wieder ein virales Video mehr, das den Stimmungszuwachs in den vergangenen Wochen dokumentieren soll.
Am 10. Dezember ist der argentinische Präsident genau zwei Jahre im Amt, damit sind es nur noch zwei Jahre bis zur nächsten Präsidentschaftswahl. Begonnen hat alles mit einer inzwischen historischen Rede, die er damals an einem Sonntag in drei Worten zusammenfasste: „No hay plata“ (Es gibt kein Geld). Es folgten Sparmaßnahmen, Reduzierungen von Ministerien, Massenentlassungen im öffentlichen Dienst und eine Rezession, die Milei seinen Landsleuten auch genauso angekündigt hatte: „Das erste Jahr wird hart, danach wird es aufwärtsgehen.“
Tatsächlich stand das Land am 10. Dezember 2023 kurz vor dem Abgrund, von einer tickenden Finanz-Zeitbombe war da die Rede. Die bis dato regierenden Linksperonisten hatten im Wahlkampf noch einmal tief in die ohnehin schon geplünderte Staatskasse gegriffen und Wahlgeschenke in Höhe von 1,6 Prozent der argentinischen Wirtschaftsleistung verteilt. Doch trotz aller Boni und Sonderzahlungen, mit denen die bis dato herrschenden Linkspopulisten die Stimmung noch einmal drehen wollten, setzte sich der Wunsch der Wähler nach tiefgreifenden Reformen durch. Es kam Javier Milei. Und mit ihm ein politisches Projekt, das seitdem weltweit beobachtet wird.
Makroökonomisch gelangen dem glühenden Anhänger der freien Marktwirtschaft tatsächlich beeindruckende Erfolge. Der argentinische Börsenindex Merval verdreifachte seinen Wert. Ende 2023 lag die Jahresinflation in Argentinien bei 211,4 Prozent, Ende Oktober dieses Jahres war sie bis auf 24,8 Prozent zusammengeschmolzen. Auch den Staatshaushalt stabilisierte Milei: In den ersten zehn Monaten des Jahres gelang nach offiziellen Angaben ein Primärüberschuss von etwa 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und ein Finanzüberschuss von etwa 0,5 Prozent des BIP. Das hatte es jahrelang nicht mehr gegeben.
Kritiker monieren allerdings, dass diese Zahlen wegen der herausgerechneten Schuldendienste, die Argentinien unter anderem an den IWF leisten muss, geschönt seien.
Starker Peso schwächt Inlandstourismus
Das alles hat natürlich Auswirkungen auf den argentinischen Peso: Die Landeswährung, die „so viel Wert ist wie Scheiße“ (Milei im Wahlkampf), hat eine bemerkenswerte Stabilität entwickelt. Plötzlich können die Argentinier in Scharen Urlaub im Ausland machen. Waren Reisen nach Brasilien oder Europa in den vergangenen 20 Jahren eher einer reichen Oberschicht vorbehalten, entdeckt inzwischen die argentinische Mittelschicht die Copacabana in Rio de Janeiro oder die Partys auf Ibiza – und ist plötzlich zahlungsfähig.
Eine ganze Generation junger Argentinier reist derzeit um die Welt, die sie vorher nur aus Internetvideos kannte. Der Verlierer ist der nationale Tourismus. Denn umgekehrt bedeutet das: Das süße, extrem billige Leben für Ausländer mit Zugang zu Dollar und Euro, die jahrelang auf Kosten der Argentinier auf dem Schwarzmarkt die begehrten Devisen tauschen konnten, ist vorbei. Das lässt sich an den Tourismuszahlen ablesen. Im laufenden Jahr sind 9,7 Millionen Argentinier ins Ausland gereist, während nur 4,1 Millionen Touristen ins Land kamen.
Die Schattenseite der Reformen sind anhaltende Firmenpleiten. Milei öffnet das Land zusehends. Firmen, die in einer bis dato abgeschotteten Volkswirtschaft keine Konkurrenz zu fürchten hatten und daher auch kaum etwas für ihre Wettbewerbsfähigkeit taten, gerieten ins Schwimmen.
Bergbau, Energiesektor und Banken profitieren
Derzeit sollen laut argentinischen Medienberichten täglich 28 Firmen, insbesondere aus dem kleinen und mittelständischen Sektor, schließen. Zum Vergleich: In Deutschland gab es 2024 täglich 60 Firmenpleiten. Hinzu kommt der Einfluss Chinas, das Brasilien als wichtigster Handelspartner abgelöst hat. Die Flut von Billigprodukten trifft besonders die argentinische Textilindustrie hart.
Gewinner sind Branchen wie der Bergbau, die Energiebranche und auch der Bankensektor. „Aus Sicht unseres Unternehmens hat sich das Investitionsumfeld in den ersten beiden Jahren der Regierung Milei grundlegend verändert. Die Kombination aus harter fiskalischer Konsolidierung, klaren Prioritäten und marktbasierten Anreizen hat ein Maß an Verlässlichkeit geschaffen, das wir in Argentinien lange nicht gesehen haben“, zieht der deutsche Manager Michael Meding im Gespräch mit F.A.Z. Pro Weltwirtschaft ein Fazit der Milei-Jahre. Meding leitet in der nordargentinischen Provinz San Juan eines der modernsten Kupferprojekte in Südamerika. Das Milliardenprojekt „Los Azules“ soll nach Unternehmensangaben ab 2030 nachhaltig produziertes „grünes Kupfer“ liefern.
„Für den Bergbau – und speziell für ein Großprojekt wie Los Azules – war die Verabschiedung des RIGI der entscheidende Schritt. Dieses Regime gibt langfristige Stabilität bei Steuern, Zöllen und Kapitalverkehr und ermöglicht damit Investitionsentscheidungen, die über Jahrzehnte wirken“, sagt Meding über das Investitionsschutzprogramm RIGI. Hinzu komme die umfassende Unterstützung der USA.
Dieser geopolitische Rückhalt verschaffe eine Stabilität und einen Vertrauensvorschuss, den das Land aus eigener Kraft so schnell kaum hätte herstellen können: „Für uns bedeutet das: Wir können planen, wir können investieren, und wir sehen ein Argentinien, das bereit ist, verlässlicher Partner globaler Rohstoff- und Energiewertschöpfung zu werden.“ Das sieht offenbar auch der deutsche Energie-Konzern SEFE so und unterzeichnete in dieser Woche mit dem argentinischen Unternehmen Southern Energy eine Absichtserklärung über eine achtjährige LNG-Lieferpartnerschaft.
Rentenreform geplant
Vom 10. Dezember an herrschen in den dann neu zusammengesetzten Parlamenten neue Mehrheitsverhältnisse. Zwar hat Mileis nach wie vor junge libertäre Bewegung noch keine eigene Mehrheit im Senat und Kongress und ist auf die Zusammenarbeit mit anderen politischen Kräften angewiesen. Doch die Zeiten, in denen die von den Peronisten beherrschte Opposition eine Zweidrittelmehrheit gegen Milei organisieren konnte, sind nach dem überraschend deutlichen Sieg der Libertären bei den Parlamentswahlen im Oktober vorbei.
Nun soll eine Arbeitsrechts- und Rentenreform auf den Weg gebracht werden. Die traditionell streiklustigen Gewerkschaften haben bereits Widerstand angekündigt. Die Hoffnung der Milei-Anhänger ist, dass nach den harten Einschnitten der ersten Jahre ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum einsetzt, damit der Aufschwung nicht nur in der Großindustrie, sondern auch im Mittelstand ankommt.
Susanne Käss, Leiterin des Argentinien-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Buenos Aires, formuliert das im Gespräch so: „In der zweiten Hälfte seiner Regierung wird die Herausforderung für Milei darin bestehen, Reformen anzustoßen, die die Erholung des produktiven Sektors vorantreiben und zur Schaffung von stabilen Arbeitsplätzen beitragen.“
