

Ein Fahrplanwechsel der Bahn hört sich nach einem schrecklich bürokratischen Akt an. Aber die Marketingverantwortlichen der DB versuchen daraus jedes Jahr im Dezember ein freudiges Ereignis zu machen. Sie verkünden dann in der Regel ein vermeintlich besseres Angebot mit mehr Zügen, neuen Verbindungen und manchmal sogar mit kürzeren Fahrzeiten.
So wird es auch zum diesjährigen Fahrplanwechsel am Sonntag sein. Er hätte sogar ein ganz besonderer mit viel Glanz und Glamour werden können. Nach der ursprünglichen Planung hätte das Großprojekt Stuttgart 21 feierlich in Betrieb gehen sollen, der neue unterirdische Hauptbahnhof in Stuttgart inklusive neuer Strecken vor allem unterhalb der Stadt und zum Flughafen. Die Fahrzeiten in die Region und im Fernverkehr hätten sich deutlich reduziert, das jahrelange Drama mit Verzögerungen und Baukostenexplosion hätte ein erfreuliches Ende gefunden. Doch dann wurde die Einweihung von Stuttgart 21 erst auf 2026 und vor Kurzem sogar auf unbestimmte Zeit verschoben. Stattdessen nimmt die Bahn nun nur kümmerliche 23 neue Kilometer in Berlin und südlich von Freiburg in Betrieb.
Zur fast gleichen Zeit gibt Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) stolz den Bau von mehr als 100 Kilometern neuer Autobahnen und Bundesstraßen frei, die Finanzierung sei nun gesichert. Von neuen Bahnstrecken spricht er nicht.
Nichts könnte besser den aktuellen Status der deutschen Verkehrspolitik zeigen. Von einer Verkehrswende ist wenig zu spüren. Es fahren zwar viel mehr Menschen mit der Bahn als früher, und die Finanzmittel für die Bahn wurden kräftig aufgestockt. Doch im Neubau wird weiter die Straße der Bahn vorgezogen. Dabei könnten vor allem neue Bahnstrecken mehr Kapazität auf der Schiene schaffen.
Nur 240 Kilometer neue Gleise in zehn Jahren
Die Zahlen sind ernüchternd. Die F.A.S. hat für einen Vergleich die Verkehrsinvestitionsberichte der Bundesregierung und Angaben der Deutschen Bahn für die vergangenen 20 Jahre ausgewertet (siehe Grafik). Daraus ergibt sich: In den zehn Jahren von Anfang 2016 bis Ende 2025 wird die Bahn knapp 240 Kilometer neue Gleise in Betrieb genommen haben, die für den Fernverkehr geeignet sind, also vor allem für schnelle Fahrten mit dem ICE. Die Inbetriebnahmen basieren fast ausschließlich auf zwei Strecken: Erfurt–Bamberg–Erlangen und Ulm–Wendlingen bei Stuttgart.
Im gleichen Zeitraum wurden in Deutschland rund 250 neue Autobahnkilometer eröffnet. Hinzu kamen weitere 363 Autobahnkilometer, die um zusätzliche Fahrstreifen erweitert wurden. Zudem mehrere Hundert Kilometer neuer Bundesstraßen, die zum Teil vierspurig wie eine Autobahn gebaut wurden oder auch zweispurig dem Fernverkehr dienen. Von der häufig versprochenen Priorisierung der Bahn gegenüber der Straße ist also zumindest im Neubau nichts zu sehen.
So wenig neue Bahnstrecken wie seit 1991 nicht mehr
Der Bahn-Lobbyverband „Allianz pro Schiene“ kritisiert das deutlich: „Wer Verkehrsverlagerung predigt, aber gleichzeitig Hunderte Kilometer neue Fernstraßen baut, der hat nicht verstanden, dass zusätzliche Straßen auch mehr Verkehr bedeuten. Und zusätzliche Instandhaltungskosten – Geld, das bei der Sanierung maroder Brücken und Straßen fehlt“, sagt ihr Geschäftsführer Dirk Flege. „Dass für den Straßenneubau Geld da ist, es aber für den Schienenneubau nie ausreicht, ist ein Vorwand. Es zeigt schmerzhaft deutlich die Prioritäten – nicht nur der aktuellen – Bundesregierung.“
Es ist auch nicht so, dass bei der Bahn wenigstens mehr als früher neu gebaut würde. Im Gegenteil: Von 2016 bis 2025 wurden weniger neue Strecken eingeweiht als in den Jahrzehnten davor, seit 1991 die ICE-Hochgeschwindigkeitsära in Deutschland auf den ersten neuen Schnellstrecken begann. So gingen zwischen 2006 und 2015 rund 350 Kilometer neu ans Netz, vor allem Nürnberg–Ingolstadt und Halle–Erfurt. Von 1996 bis 2005 wurden etwa 500 Kilometer fertiggestellt, besonders Hannover–Berlin und Frankfurt–Köln. Und in den zehn Jahren davor waren es mehr als 400 Kilometer.
Diese Ergebnisse verwundern angesichts der kräftig aufgestockten Investitionen für die Bahn. Doch das Geld fließt eben nicht in den Neubau, sondern fast ausschließlich in die Sanierung und Modernisierung des bestehenden, überalterten Bahnnetzes. Das erhöht im besten Fall irgendwann die Pünktlichkeit und verbessert die Flexibilität, aber es schafft kaum neue Kapazitäten, die für eine echte Verkehrswende mit deutlich mehr Bahnverkehr notwendig sind.
Schon jetzt zeigt sich, wie störungsanfällig das Bahnnetz wird, wenn immer mehr Züge über die gleiche Länge an Gleisen geschickt werden. Zwar können auch digitale Zugsicherung und Elektrifizierung etwas mehr Platz auf bestehenden Gleisen schaffen, aber auch hier tut sich seit Jahren sehr wenig. Und den größten Schub bringen nun mal zusätzliche Gleise.
Auch Autobahnen werden seltener gebaut als früher
Die Neueröffnungen der Bahn im vergangenen Jahrzehnt konzentrieren sich auf zwei Jahre: 2017 und 2022. In den anderen acht Jahren wurden allenfalls weniger als zehn Kilometer in Betrieb genommen. Die Bahn hat hier den Nachteil, dass sie bei komplett neuen Strecken fernab existierender Gleise keine Teilabschnitte in Betrieb nehmen kann, wenn sie fertig sind. Eine Autobahn kann Ausfahrt für Ausfahrt länger werden, und so werden auch jedes Jahr neue Abschnitte eingeweiht.
Aber auch die Zeiten auf der Straße verschlechtern sich. Seit 2016 wurden nur noch halb so viele Autobahnkilometer neu gebaut oder um weitere Spuren erweitert wie im Jahrzehnt davor. In keinem Jahr wurden mehr als 100 Kilometer in Betrieb genommen. Bis 1992 war das üblich. In den 1970er Jahren wurden manchmal fast 400 Kilometer im Jahr neu dem Verkehr übergeben.
Auch die Aussichten sind nicht rosig. Zwar kündigte die neue Bahn-Chefin Evelyn Palla am Donnerstag weitreichende Umstrukturierungen innerhalb des Bahn-Konzerns an. Die Zahl der Führungskräfte soll reduziert werden, und mehr Entscheidungen sollen auf regionaler Ebene statt in der Berliner Zentrale fallen. Die Pünktlichkeit im Fernverkehr werde aber auch 2026 nur auf 60 Prozent steigen. Und neue Gleise bringen Pallas Reformpläne nicht. Das ist Aufgabe des Bundes.
Verkehrsministerium: Auto ist wichtigstes Verkehrsmittel
Das Bundesverkehrsministerium rechtfertigt den Straßenneubau auf Anfrage damit, dass das Auto für die meisten Bürger das wichtigste Verkehrsmittel bleibt. 53 Prozent der Wege und 73 Prozent aller Verkehrskilometer würden als Autofahrer oder als Mitfahrer im Auto zurückgelegt. Trotzdem würden in der mittelfristigen Finanzplanung „deutlich mehr Finanzmittel für die Schiene bereitgestellt als für die Straße“, sagt ein Sprecher. Im Zeitraum von 2025 bis 2029 stünden 106,8 Milliarden Euro für die Schiene und 51,5 Milliarden Euro für die Straße zur Verfügung. Der Sprecher betont dabei aber auch für die Zukunft: „Der Schwerpunkt der Investitionspolitik des Bundes liegt stets auf dem Erhalt und der Qualitätsverbesserung der Bestandsnetze, Erhalt vor Aus- und Neubau.“
So ist eine Wende im Neubau trotz des Sondervermögens für Infrastruktur in dreistelliger Milliardenhöhe nicht zu erwarten. Derzeit sind 140 Kilometer neue Autobahnen in Bau. Bei der Bahn kommen die Neubaupläne zusammen nur auf ein Drittel dieser Strecke. Wichtige neue Bahnstrecken wie Frankfurt–Mannheim, Frankfurt–Fulda oder Hannover–Hamburg werden seit Jahrzehnten geplant, und trotzdem ist nicht einmal ein Baubeginn in Sicht.
Rheintalbahn erst nach dem Jahr 2040 ausgebaut
Die für den europäischen Güterverkehr wichtige Rheintalbahn wird noch bis nach 2040 um zwei weitere Gleise ergänzt, an vielen Abschnitten hat der Bau noch nicht einmal begonnen. Einzig der Rastatter Tunnel, dessen Einsturz 2017 bundesweit für Aufsehen sorgte, soll 2026 mit einigen Jahren Verspätung in Betrieb gehen. Mickrige 16 Kilometer neue Strecke sind das.
Mit diesem Tempo werden weder Bahn noch Autobahn den Bedarf decken können, den der aktuelle Bundesverkehrswegeplan bis 2030 definiert hat. Der Verkehrswegeplan fordert bis dahin im vordringlichen Bedarf, also der höchsten Priorität, rund 1000 Kilometer neue Gleise und rund 2600 Kilometer neue oder erweiterte Autobahnen. Immerhin hat die Regierung gerade beschlossen, die Planungsverfahren zu beschleunigen, sodass neue Projekte in Zukunft zumindest schneller geplant werden können. Wirklich gebaut werden sie deswegen allerdings noch lange nicht.
