WM 2026 in den USA: Aufm Platz sind wir Europäer noch wer

In unserer Kolumne „Grünfläche
schreiben abwechselnd Oliver Fritsch, Christof Siemes, Stephan Reich und Christian Spiller über die
Fußballwelt und die Welt des Fußballs. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 50/2025.

Als
Kind war ich mit Leib und Seele Fan der Nationalmannschaft. Siege
bedeuteten mir viel, Niederlagen konnte ich schwer verwinden. Ihre
Gegner waren meine Gegner. Als Italien im WM-Finale 1982 meine
Mannschaft schlug, wurde ich zornig. Die Niederlage gegen die
Niederlande im EM-Halbfinale 1988 empfand ich als Schmach. Welche Worte
ich damals rief, schreibe ich heute besser nicht.

Mittlerweile fühle ich mich als Niederländer und Italiener. Ich fühle mich als Franzose, Spanier, Engländer, als Deutscher freilich auch. Wenn nächstes Jahr die WM im Männerfußball ausgetragen wird, halte ich zu Europa. Die Präsidenten der Fifa und der USA, Gianni
Infantino und Donald Trump, haben mich dazu gebracht. 

Die zwei Flegel
haben einiges gemeinsam, nicht zuletzt die Abneigung gegen die freie EU. Das weckt in mir das Gegenteil. Infantino, ein Schweizer mit italienischen Wurzeln, zog vor drei Jahren in Doha feindselig über Europa her. Ihm gefiel nicht, dass manche europäische Länder kritisierten, dass auf WM-Baustellen Arbeiter starben. Die Fifa würde er wohl am liebsten von Zürich nach Florida verlegen – wenn sein als korrupt geltender Verband dort ebenso wenig Steuern zahlen müsste. Und was Trump der EU wünscht, haben wir seit der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA nun schwarz auf weiß.    

Die Rede vom Abgehängtsein hört man sogar aus Europa selbst recht oft. Diese Schlappschwänzigkeit ist leider auch Teil von uns. Die Rede vom nahenden Untergang ist so oft gehalten worden, dass man das Klagen fast auswendig kennt. Oft und vor allem im Fußball ist sie völlig unangebracht. Der europäische Fan könnte mit breiter Brust auftreten.   

2026
findet die WM in den USA statt. Trump wird diese einmalige Weltbühne
für seine Zwecke missbrauchen wollen. Doch wird er in seiner Heimat auch
mitansehen müssen, wie stark der Kontinent wirklich ist, den er
unterjochen, wenn nicht gar politisch zerteilen möchte. In der Techbranche sind die USA führend. Das Silicon Valley des Fußballs liegt in Europa.    

Fußball ist ein Spiegel der Ressourcen und der Leistungsfähigkeit von Nationen. So schlecht kann es um Europa also nicht
stehen. Okay, es gibt Brasilien und den aktuellen Titelträger
Argentinien (und früher mal Uruguay), doch alle anderen Weltmeister
kamen aus Europa. Selbst kleine Länder wie Schweden, Ungarn, Kroatien
und die Tschechoslowakei erreichten einst das Finale.    

Ein
paar Zahlen: Gäbe es im Fußball Medaillen, wären in den vergangenen
zwei Jahrzehnten 87 Prozent von Gold, Silber und Bronze an Europa
gegangen. Drei der vergangenen fünf Endspiele waren rein europäische Angelegenheiten.    

In
der Bilanz der beinahe hundertjährigen WM-Historie steht da bei Mittel-
und Nordamerika eine 0, bei Asien ebenfalls. China, was ist eigentlich aus
dem Plan geworden, Weltmeister zu werden? Ach so, gar nicht
qualifiziert diesmal. Immerhin stand bei der vorigen WM erstmals Afrika
im Halbfinale, cool.
Das Team aus Marokko setzte sich aber hauptsächlich aus Spielern
zusammen, die in Europa aufwuchsen und ausgebildet wurden. Die meisten
waren Kinder von Flüchtlingen.   

Nächsten
Sommer sind Spanien und Frankreich unter den Favoriten. Auf England
sind Fans aus aller Welt gespannt. Vermutlich übersteht sogar die DFB-Elf wieder mal eine Vorrunde. Selbst in der tiefsten Krise möchte niemand Deutschland als Gegner zugelost bekommen.    

Und
sollte Italien sich nicht qualifizieren, würden viele den vierfachen
Weltmeister vermissen. Curaçao und Kap Verde dagegen sind dabei. Wer
dies kritisch anmerkt, wie zuletzt der TV-Experte Christoph Kramer, dem
wird Eurozentrismus vorgehalten.  

Tatsächlich ist Eurozentrismus
im Fußball nicht unangebracht. Das Spiel wurde in Europa erfunden und
wurzelt bis heute hier am tiefsten. Das ist der Grund für den
dauerhaften Erfolg, an dem sich so schnell nichts ändern wird. Aus
dieser sportlichen Stärke erwüchse, rein theoretisch, sogar politische
Macht. Wenn alle europäischen Länder und Vereine mit WM-Boykott drohen
würden, bliebe nicht mehr viel Fußball übrig.   

Infantino
weiß das, Trump dürfte es ahnen. Bei der Siegesfeier der Klub-WM in
diesem Sommer, dem Prolog zur WM, stahl er die Trophäe. Im Endspiel
standen London und Paris. Und bei der Auslosung erwog der US-Präsident,
den Nationalsport American Football umzubenennen, damit seine
Landsleute den echten Fußball nicht mehr „Soccer“ nennen müssen. Ein
ungewöhnlich bescheidener und heller Moment.   

Noch ein Fakt: Das letzte WM-Finale ohne europäische Beteiligung fand 1930 statt. Weil die Schiffsreise nach Uruguay zu lange dauerte, nahm damals fast niemand aus Europa teil. Diesmal kommen wir geflogen. An Infantino, Trump und alle anderen, die Europa schon abgeschrieben haben: Aufm Platz werden wir es euch nächsten Sommer zeigen!