Das Fernsehen ist geradezu süchtig nach Frauen, die – wie heißt es so schön unschön – ihren Mann stehen. Päpstinnen, Wanderhuren, Hebammen, Pilgerinnen: vor allem das deutsche Historytainment ermächtigt weibliche Filmfiguren fast krampfhaft zur emanzipativen Selbstwirksamkeit in patriarchaler Zeit. Damit betreibt es eher Publikumshege als Realitätspflege. Denn wer vergangene Epochen nach Frauen von gesellschaftlichem Gewicht durchsucht, stößt hier und da auf eine Pharaonin, Kaiserin oder Zarin. Kulturell aber hatten jahrtausendelang buchstäblich nur Herren der Schöpfung die Hosen an. Hildegard von Bingen bestätigt da bloß eine sehr seltene Ausnahme. Maria Anna Mozart dagegen nicht.
Wolfgang Amadeus‘ Schwester hatte zwar spürbaren Einfluss auf ihren fünf Jahre jüngeren Bruder. Besonders zu Beginn seiner kurzen, aber epischen Karriere wich sie kaum von seiner Seite und trat bisweilen gar mit ihm auf. Um sie zur Heldin eines opulenten ARD-Biopics zu machen, musste Hauptautor Andreas Gutzeit dennoch ein wenig improvisieren. Oder wie es seine Regisseurin Clara Zoë My-Linh von Arnim im Vorspann notiert: „Die Geschichte der Geschwister Mozart, nicht wie sie die historische Überlieferung schreibt, sondern die Vorstellungskraft“.
Mit Vorstellungskraft förmlich übersättigt, entfacht My-Linh von Arnim demnach ein Feuerwerk denkbarer Absurditäten. Zum Auftakt macht sich der bischöfliche Kapellmeister, daheim nur „Wolferl“ genannt, mit einer technoiden Klassik-Ekstase in Salzburg unmöglich und emigriert mit Maria Anna, zuhause als „Nannerl“ bekannt, ins liberale Wien. Dort ist Kaiser Joseph II. (wie immer grandios: Philipp Hochmair) vom Frischling aus der Provinz zwar angetan. Im Ringen um Renommée, Aufträge, Posten und Geld kommt er jedoch dem Platzhirsch Antonio Salieri (Eidin Jalali) in die Quere.
Den anschließenden Machtkampf inszeniert My-Linh von Arnim anders als ihre preisgekrönten Milieustudien „Marzahn, mon Amour“ oder „Die Zweiflers“ als überdrehtes Historytainment am Rand der Geschichtsklitterung. Stilistisch im Bereich des fiktionalen Knallbonbons „Bridgerton“, hält sich „Mozart/Mozart“ etwa so akribisch an Fakten wie ein Klatschmagazin auf Recherche am (nie im) Buckingham Palace. Da fängt Wolfgang dann was mit dem spätbarocken It-Girl Marie Antoinette (Vera Altenberger) an, trägt beim Stagediving wie einst Bram Stokers „Dracula“ blaue Sonnenbrille und landet laudanumsüchtig im Sanatorium, weshalb ihn Marie Anna zur Unkenntlichkeit kostümiert auf der Bühne imitiert und Millennials-Sätze wie „aber so was von“ sagt.
Das mag Historikern die Augenbrauen emportreiben. Es ist aber nicht illegitim. Miloš Formans Meisterwerk „Amadeus“ hat die Messlatte der Vorstellungskraft jenseits historischer Überlieferungen schließlich schon 1984 tief unters Erkenntnisniveau seriöser Quellen gelegt. Auch sein genialer Kindskopf, den der kaiserliche Kapellmeister Salieri von Neid auf Mozarts Brillanz zerfressen tötet, war inhaltlich ja zumindest faktenvariabel. Und das wird durch ständige Wiederholung kaum stichhaltiger – ganz gleich, ob heute in der ARD-Mediathek oder ab 21. Dezember bei Sky.
Dort kocht sie der verschwörungsaffine Creator Joe Barton („The Lazarus Project“) in einer fünfteiligen Serie mit Will Sharpe („The White Lotus“) als etwas weniger infantile, aber ähnlich realitätsferne Titelfigur auf. Während sein „Amadeus“ eine Art werkgetreuer extended version von Formans Fassung ist, geht „Mozart/Mozart“ jedoch einen beinahe anarchistischen Weg. Kein Wunder – bei Gutzeits Portfolio. Von der Musik (Jessica de Rooij) über Ton (Robin Pohle), Kostüm (Daiva Petrulyté) und Szenenbild (Algis Garbaciauskas) bis zur Stuntkoordination (Simon Grzesczak) hat er im Auftrag derselben Produktionsfirma (Story House Pictures) das halbe Team der maßlos modernen RTL-Serie „Sisi“ mit ins Erste genommen.
Neu ist dagegen die Besetzungslistenspitze. An der Seite des türkischstämmigen Eren M. Güvercin als „Wolferl“ spielt die optisch angenehm sperrige Havanna Joy das „Nannerl“. Unter all den stereotyp besetzten Margarethe Steiffs und Berta Benzens bundesdeutscher Geschichtsfiktionen, sind das ungewohnt emanzipatorische Wetten auf die Publikumsgunst. Sie gehen allerdings auf. Teilweise zumindest. Denn der musikalische Teil, in dem die spätbarocke Rokoko-Gesellschaft andauernd Formationstänze zu sahnigem Powerpop von heute aufführt, mag ja eher Anlass zur Fremdscham als Freude bieten.
Der gesprochene Teil dieses Weihnachtsmehrteilers auf LSD aber bläst frischen Wind durchs abgenudelte Boom-Genre Biopic. Clara Zoe My-Linh von Arnims Mut, das österreichische Monument der deutschen Mehrheitskultur als emotional deformierten Lümmel mit renitenter Schwerster zu zeichnen, macht den Sechsteiler daher relevant amüsant oder umgekehrt. Trotz lausiger Synchronisation lokaler Sprechrollen am Billigdrehort Baltikum ist „Mozart/Mozart“ deshalb das bessere Biopic. Zumal „Amadeus“ anno 2025 zwanghaft Sexszenen kompiliert, aber seltsam bieder bleibt. Die ARD ist da erotisch dezenter, inszenatorisch moderner, trotz geringeren Budgets glaubhafter ausgestattet und insgesamt schlicht origineller. Daran ändern ein paar hochgezogene Historiker-Brauen wenig.
