Fünf Fakten über Tagebücher – SZ.de

Die Berühmten

In einem Hinterhaus in Amsterdam schrieb ein dreizehnjähriges jüdisches Mädchen über Streitereien mit der Mutter, über erste Verliebtheit, über den Wunsch nach einem eigenen Zimmer. Das Tagebuch der Anne Frank, das sie zwischen 1942 und 1944 in ihrem Versteck führte, wurde zum meistgelesenen Zeitdokument des Holocaust – nicht trotz, sondern gerade wegen dieser Alltäglichkeit.Das Tagebuch scheint die privateste aller Textformen zu sein, eine Aufzeichnung nur für den Schreibenden selbst. Dennoch – oder weil wir alle neugierig sind, vermutlich gerade deshalb – haben veröffentlichte Tagebücher ein großes Publikum, versprechen sie doch einen ungefilterten Zugang zur Person jenseits der öffentlichen Rolle. Da wären zum Beispiel die erstaunlich banalen Tagebucheinträge eines Literaturnobelpreisträgers: „Das Frühstück im Bett bot wenig Vorteil, ist unbequem und soll nicht wiederholt werden“, notierte Thomas Mann im Mai 1937 und im August 1946: „Etwas Halsweh vom nachmittäglichen Tragen kurzer Unterhosen“. Franz Kafka füllte Hefte mit Traumprotokollen, Selbstbeobachtungen, Fragmenten. <NM1>Virginia Woolf schrieb fast täglich, skizzierte literarische Ideen, protokollierte Society-Klatsch ebenso wie ihren Kampf mit Depression und Verzweiflung.<NM>Es ist eine merkwürdige Zeitverschiebung: Man liest Tagebücher mit dem Wissen um den Ausgang, während die Schreibenden noch mittendrin sind im Erleben. Wobei ein Thomas Mann sein Tagebuch durchaus in dem Bewusstsein führte, dass die Aufzeichnungen, so privat sie zu sein scheinen, nicht privat bleiben würden. Er verstand sie als Teil seines Nachlasses, in seinem Testament legte er lediglich eine Sperrfrist von 20 Jahren fest. Franz Kafka dagegen verfügte, dass seine Manuskripte vernichtet werden sollten. Veröffentlicht wurden sie trotzdem. Und Anne Frank? Hatte keine Chance, darüber irgendwelche Entscheidungen zu treffen.