Vergewaltigung in der Ehe: Der lange Kampf der Frauen

Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt, wird hierzulande gemäß §177 StGB bestraft. So gilt – knapp gesprochen – die Strafbarkeitsmaxime „Nein heißt Nein“. Zugleich ist in Deutschland sexuelle Gewalt geschlechtsneutral bestimmt, und Vergewaltigung meint jede Art des ungewollten Eindringens in den Körper einer anderen Person. In einigen Ländern Europas gilt die noch weiter gehende Formel „Ja heißt Ja“. Dort muss nicht das Opfer das eigene „Nein“ beweisen, sondern Tatverdächtige sind beweispflichtig für das „Ja“.

Wie gänzlich anders die Welt noch vor wenigen Jahrzehnten aussah, ruft die umfangreiche Studie „Rechtsstaat und Patriarchat“ der Zeithistorikerin Hannah Catherine Davies in Erinnerung. Die alte Bundesrepublik rang gut zwanzig Jahre lang um die Bestrafung der bis 1973 noch „Notzucht“ genannten Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung – wobei es damals wie heute in der Überzahl der Fälle um männliche Gewaltakte gegen Frauen geht. Das Vergewaltigtwerden ist eine überwiegend weibliche Erfahrung, was auch die Folgefrage nach der Legalität des Schwangerschaftsabbruchs aufwirft.

Ein Sieg der Frauenbewegung

Nicht allein deshalb aber ist die Vergewaltigung ein patriarchaler Akt. Auch die Geschichte des deutschen §177 selbst spiegelt ein männliches Gewaltprivileg. Erst im Jahr 1997 wurde die Vergewaltigung innerhalb der (damals noch allein heterosexuell konzipierten) Ehe strafbar. Die Bundesrepublik löste sich damit erst spät von der Idee, Ehefrauen sei erzwungener Sex zumutbar und eine dementsprechende Erwartung des Ehemannes normal. Auch linke Anwälte vertraten in der alten Bundesrepublik derartige Klischees – das zeigt Davies mit deutlichen Belegen auf. Überhaupt wollten die zumeist männlichen Strafrechtsreformer der Sechzigerjahre Liberalisierer sein. Sie wollten entkriminalisieren, nicht aber die Ehe regulieren oder das Vergewaltigen als im Kern aggressiv, als Akt der Dominanz erkennen und damit entsexualisieren. Die Gleichung, Modernisierung heiße Entkriminalisierung, stand insofern einer veränderten Sicht auf Vergewaltigung entgegen.

Hannah Catherine Davies: „Rechtsstaat und Patriarchat“.
Hannah Catherine Davies: „Rechtsstaat und Patriarchat“.Hamburger Edition

Umso mehr entpuppt sich die schließlich entscheidende Reform geschichtlich als ein Sieg der mit widrigen Verhältnissen kämpfenden Frauen. Ohne zähe Neuanläufe über zwanzig Jahre hinweg, ohne die autonome Frauenbewegung, ohne fraktionsübergreifende Frauenbündnisse und womöglich auch ohne die Wiedervereinigung wäre es so nicht gekommen – dies zeichnen die sechs Kapitel der Studie von Davies mit Gründlichkeit nach.

Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Rolle der autonomen Feministinnen. Aus eigener Kraft organisierten sie ­Notruftelefone, Frauenhäuser, eigene Beratungsstrukturen, wodurch sich erst zeigte, was für ein Massenphänomen sexuelle Gewalt darstellt. Die „Notrufbewegung“ räumte aber auch mit Mythen auf. Die Betroffenenberichte zeigten unwiderleglich: Der typische Vergewaltiger ist nicht der unbekannte Mann, der Frauen aus dem Nichts überfällt, sondern der nette Bekannte, der Grenzen missachtet, der Vorgesetzte und vielfach auch der eigene Freund, Mann oder ehemalige Partner. Rache, Erniedrigung, Machtdemonstration sind die typischen Motive sexueller Gewalt. Ab den Siebzigerjahren sprach die Frauenbewegung genau hiervon immer wieder und wieder. Dass dieser Kampf (wenn auch in Parlamenten oft unerwähnt) Einfluss hatte, weist Davies materialbasiert nach. Zeigen kann sie auch, dass der westdeutsche Feminismus zwar Strafbarkeit forderte, dass es dabei aber – anders als der Tenor von Opferverbänden wie dem Weißen Ring – gerade nicht um ein repressiveres Strafrecht ging, sondern vor allem um die präzisere Fassung des Delikts.

Es gehöre dazu, die „‚Unlust‘ des Partners zu überwinden“

Davies’ zweiter Schwerpunkt sind juristische und rechtspolitische Fachdiskurse. Die jahrelang hin- und herwogenden Reformbestrebungen gingen mit erstaunlichen Mutationen der Hauptargumente einher. Von der Idee eines „privaten“ Geschehens und einer Tendenz zur Schuldumkehr (stets seien beide beteiligt) zur Einsicht, dass patriarchale Strukturen sich in Herrschaftsverhältnissen manifestieren, die alle Frauen – oder eigentlich sogar alle Beteiligten – betreffen, war und ist es ein weiter Weg. Namentlich die Idee, „in der Ehe“ sei Vergewaltigung weniger strafwürdig, wurde bis zuletzt mittels kurioser Dogmatik verteidigt, etwa: Eine Versöhnung und damit die Rettung der Ehe habe Vorrang, oder: Ehefrauen könnten eine Anzeige wegen Vergewaltigung als Abtreibungsgrund missbrauchen. Dass eheliche Vergewaltigung vielleicht sogar den größeren Vertrauensbruch und jedenfalls die dramatischere Zwickmühle für das Opfer bedeutet und dass die Variante des bloßen Antragsdelikts (ziehen Ehefrauen eine Anzeige zurück, wird nicht länger ermittelt) keineswegs „versöhnt“, sondern den Ehemann geradezu auffordert, auf die Frau Druck auszuüben – diese Gegenargumente setzten sich auch in Expertenkreisen nur schleppend durch.

Mittels Zitaten macht Davies deutlich, wie ein patriarchaler Standpunkt seinerzeit sowohl die juristischen als auch die psychologischen Expertendiskurse prägte. Sie zitiert etwa den Kriminologen Hans-Joachim Schneider, der 1975 schrieb, die meisten „Frauen und Mädchen“ wollten „von Männern ‚erobert‘“, nämlich „bewusst oder unbewusst zum Geschlechtsverkehr gezwungen werden“. Noch 1995 verteidigte der CDU-Politiker Wolfgang von Stetten den strafrechtlichen Status quo mit den Worten, es gehöre in einer Ehe dazu, die „‚Unlust‘ des Partners zu überwinden“.

Im parlamentarischen Raum sind es vor allem die Grünen, deren weibliche Parlamentarier Vorwürfe von links („ungebührliche Kriminalisierung“) wie auch von rechts („Zerstörung von Ehe und Familie“) gleichermaßen parierten. Grüne Frauen trugen die feministischen Argumente in die Rechtspolitik hinein. Dann allerdings – nämlich in der entscheidenden Phase seit Ende der Achtziger – machte ein überfraktionelles Zusammenwirken von Frauen die Gesetzesänderung von 1997 möglich. Parlamentarierinnen aus CDU und CSU wie Rita Süssmuth und Ursula Männle gaben den Ausschlag.

Die biopolitische Dimension

Davies schildert die §177-Reform wie den Krimi, der sie tatsächlich auch war. Als Erfolgsgeschichte verstehe sie ihr Buch trotzdem nicht. Zum einen hätte es schon viel früher zu einem moderneren Vergewaltigungsparagraphen kommen können. Zum anderen hat die Reform im Rückblick die Welt leider auch nicht wirklich besser gemacht. Gerichte tun sich im Einzelfall immer noch schwer, sexuelle Gewalt als das zu bewerten, was sie ist: eine Aggression, die nicht Lust, sondern Erniedrigung und Verletzung bezweckt.

Erstaunlich blass bleibt im Buch die biopolitische Dimension – also jenseits der Aktualgewalt die drohenden Folgen Schwangerschaft und Kind sowie der enge Zusammenhang der feministischen Proteste gegen das Sexualstrafrecht mit dem Kampf gegen den Paragraphen zum Schwangerschaftsabbruch. Davies vermutet gar, die Notrufbewegung beerbe das diesbezügliche Urteil des Bundesverfassungsgerichts, trage also Resignation in sich.

Auch wiederholt sie das spätestens seit Christina von Hodenbergs Studie „Das andere Achtundsechzig“ eigentlich überholte Klischee, die autonome Frauenbewegung sei aus dem Marxismus entstanden, und verästelt ihre Interpretationen in nicht immer zielführende US-Vergleiche hinein. War beispielsweise Susan Brownmillers erst 1978 auf Deutsch erschienenes Buch „Gegen unseren Willen“ wirklich initial für die Bewegung? Der Kampfruf „Entwaffnet Vergewaltiger!“ war zu dieser Zeit jedenfalls schon da. Demonstrantinnen riefen, ja schrien es unüberhörbar. Und müssen es bis heute.

Hannah Catherine Davies: „Rechtsstaat und Patriarchat“. Eine Geschichte sexueller Gewalt in der Bundesrepublik 1973 bis 1997. Hamburger Edition, Hamburg 2025. 520 S., Abb., geb., 40, – €.