Etwas passt, zweifellos. Etwas in diesem Werk trifft auf eine weibliche seelische Stimmung, die sich nicht gewandelt hat. Wir könnten es den Regenbogen der Enttäuschung nennen, eine Desillusionierung in allen Farben – denn die Erfüllung ist nicht Jane Austens Sache.
Sie hat sie weder erotisch noch in einer Partnerschaft jemals erlebt. Ein Kuss, vielleicht. Eine über Nacht gelöste Verlobung. Möglicherweise zudem eine Neigung, die sich nicht erfüllte; wir können das nicht wissen, weil ihre Schwester Cassandra etliche Briefe verschwinden ließ. Doch der Mangel an Beziehungserfahrung hat die Jungfer Jane Austen nicht zur Melancholikerin gemacht.
Eher hatte sie Freude daran, der Welt ihren Außenblick auf die Ehe in untadeliger, zugleich unerbittlicher Weise mitzuteilen. „Lady Elliot war eine vortreffliche, vernünftige und liebenswürdige Frau gewesen, und wenn man einmal von der Verliebtheit in ihrer Jugend absieht, infolge derer sie zur Lady Elliot wurde, hatten ihr Urteilsvermögen und Betragen später nie Anlass zur Nachsicht gegeben.“
Austen behauptet nicht, vom anderen Geschlecht wirklich etwas zu verstehen – in ihrem ganzen Werk gibt es keine Unterhaltung allein unter Männern –, doch sie verrätselt es auch nicht; jeglicher Essenzialismus war ihr fern. Das Unglück einer falsch gewählten Verbindung kann in ihrem Werk Frauen wie Männer gleichermaßen treffen.
Das romantische Gefühl
Irrtum ist möglich auf beiden Seiten, und er ist im Regelfall Ergebnis von jenem Rohstoff, dessen Verarbeitung sich in den 250 Jahren seit Austens Geburt entscheidend gewandelt hat: das romantische Gefühl. Insofern ist die Austen-Industrie – vielleicht der stabilste englische Wirtschaftszweig der Gegenwart – ein höchst produktives Missverständnis.
Die unmittelbaren Erscheinungsformen der romantischen Empfindung sind, schon klar, dieselben geblieben: Sehnsucht, Verklärung, Vergötzung. Schüchternheit, Befangenheit und Schwärmerei. Unerklärliche Anziehung bereits beim ersten Augenblick, unaufhörliche, bange Spekulation und unerschöpfliche Geduld.
Wenn, in Jane Austens Roman „Verstand und Gefühl“, Elinor diverse Jahreszeiten auf eine erlösende Erklärung des zurückgezogenen Edward wartet – was unterscheidet sie von einer hoch disziplinierten Zeitgenossin, die gelernt hat, einen avoidant attacher nicht durch Nachstellung zu verschrecken?
Und wenn ihre Schwester Marianne, schier verzweifelnd am undurchsichtigen Willoughby, die Nahrung verweigert, hektisch Briefe schreibt und dann ins seelische Koma fällt, zwischen rasendem Aktionismus und selbstzerstörerischer Apathie sich jeglicher Hilfe unzugänglich macht – was trennt sie von den liebeskranken jungen Mädchen, die heutzutage in psychosomatischen Kliniken landen?
„Stolz und Vorurteil“
Spüren wir nicht Anne Elliots melancholische Mutlosigkeit unmittelbar nach, wenn sie, die – durch Liebeskummer – „früh Verblühte“, den jungen Leuten zum Tanz aufspielt? Fühlen wir nicht Elizabeth’ Unglück in „Stolz und Vorurteil“, als sie am Rande der Tanzfläche steht, unaufgefordert, in vertrackter Ambivalenz mit dem rätselhaften Mr. Darcey verstrickt? Zorn und Zärtlichkeit, Unterwerfung und Selbstbehauptung, das Versinken in Illusionen, ist uns das allen nicht unwohl bekannt?
Die Liebe ist jene Krankheit geblieben, von der man nicht geheilt werden will
Die romantische Liebe ist, wie der Soziologe Niklas Luhmann so gletscherhaft kühl und doch nicht ohne Anteilnahme schrieb, jene Krankheit geblieben, „von der man nicht geheilt werden will“. Es gibt sie, als gesellschaftlich anerkannten Formenkreis des Wahns, erst seit etwa 250 Jahren; Austens Lebenszeit fiel mit ihrem allmählichen Aufstieg zusammen. Insofern sind ihre Romanheldinnen uns nah. Doch liegt zwischen ihrer Epoche und der unseren ein Graben, den wir nur affektiv überspringen, aber nicht mehr schließen können.
Die Soziologin Eva Illouz hat in ihren Analysen dazu, in dem Buch „Warum Liebe weh tut“, die historischen Schritte nachgezeichnet, die diesen Graben ausmachen: Da sind der allgemeine Wohlstand und die Emanzipation, die Frauen ein selbstbestimmtes Leben erlauben, ohne Abhängigkeit von der Ehe. Da gibt es die Säkularisierung, die Liberalisierung und die Individualisierung, die Unterschiede in Religion, Hautfarbe, Nationalität und Vermögen, Bildung und Klasse zu überwindbaren oder trivialen Umständen reduzieren.
Konsum der Romantik heute
Da sind Scheidungsgesetze, die einen Irrtum korrigierbar machen. Da ist die sexuelle Befreiung, die Erfahrungen und Bindungen jenseits juristischer Festlegung erlaubt. Da gibt es viel freie Zeit, nach Gusto und ohne soziale Kontrolle zu gestalten. Da wartet, für alle, ein ausgefeiltes Angebot zum „Konsum der Romantik“ – ein weiterer Titel von Eva Illouz –, vom Pärchenurlaub bis zur Hochzeitsmesse.
Da gibt es ein unerschöpfliches Angebot von Partner:innen, die online kontaktiert werden können, auf dass sich für jede sexuelle Vorliebe, für jede Idee von Beziehung das passende Gegenüber findet. Da gibt es die zeitgenössische Verzweiflung, wenn das alles nicht funktioniert.
Und da gibt es diese besondere Art von Scham, falls es mit der happiness – bei all diesen Möglichkeiten – doch nicht klappt. Wer, wenn nicht die Unglückliche, sollte dafür verantwortlich sein? Und wie kann sie sich aus dem Sumpf der Enttäuschung ziehen?
So, wie sie hineingeraten ist, ist die Standardantwort unserer Zeit auf diese Frage: mit dem eigenen Kopf und am eigenen Schopf. Der seelisch wirksamste Unterschied zwischen unserer Liebeswelt und der Jane Austens ist die Verantwortung. Wie sie sich innerlich und äußerlich gestaltet. Denn das, was wir unsere Psyche nennen, das hat es zu ihrer Zeit nicht gegeben.
Das verzwickte Konstrukt Psyche
Dieses verzwickte Konstrukt, das uns zugleich zu Abhängigen erklärt und zur Autonomie verurteilt: In dem wir uns mit unserem Begehren und unseren Wünschen identifizieren – eben mit dem also, was wir weder erfinden noch kontrollieren können. Unsere „wahren Bedürfnisse“, die wir in unserem unverwechselbaren Inneren „finden“, danach sollen wir leben. Denn wer dürfte sich gegen seine Wünsche – und damit sein mögliches Glück – vergehen?
Falls wir vorübergehend daran scheitern, wartet ein großzügiges Hilfsangebot; es gibt Ratgeber und Therapien, es gibt Apps zum schnellen Gefühlsmanagement und anspruchsvolle Bindungstheorien, es gibt psychologische Podcasts, Rebirthing-Wochenenden und eine hoch reflexive Gesprächskultur.
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Am 16. Dezember gibt es den 250. Geburtstag der Autorin Jane Austen zu feiern, die als Frau zunächst nur heimlich schreiben konnte und eine große Klassikerin der Weltliteratur wurde. Die taz begeht dieses Jubiläum mit einer Jane-Austen-Woche: Täglich beleuchten wir einen Aspekt ihrer Werke. Alle erschienenen Texte finden Sie hier.
Je nach Neigung können wir uns dem inneren Kind, unseren transgenerativen Traumata oder dem guten alten, seit 125 Jahren etablierten Unbewussten widmen – aber wir sind allein mit dieser so flackerhaft definierten Psyche. Und einem Schicksal, das im Liebesunglück als solches erlebt wird, aber nicht so genannt werden darf.
Da hatte Jane Austen es anders – und einfacher. Denn in ihrer Welt war die Liebeswahl, aus der unentrinnbar ein Schicksal wurde, eine soziale Vereinbarung mit einer Vielzahl von einschränkenden Faktoren (Besitz, Herkunft, Bildung etc.), bei der die Familie und die Gesellschaft den größtmöglichen Einfluss nahmen. Die Verantwortung war verteilt. Und das Lebensglück definierte sich nicht durch die Erfüllung von Wünschen. Sondern durch das, was vor der Psyche war: Wir nennen es Charakter.
Selbstbeherrschung und Geduld
Das Selbst, wie Austen es dachte, war kein Stück innerer Natur. Kein Urwald aus Begehren, aus Erfahrungen und Zufällen, der durch Reflexion und Therapie gelichtet und „bearbeitet“ wird. Sondern ein Ensemble von Eigenschaften, die sich kultivieren ließen: Selbstbeherrschung und Geduld, Einfühlsamkeit und Rücksichtnahme. Mit einem starken Charakter, mit einer bildungswilligen Persönlichkeit war auch das Liebesunglück zu meistern.
Da funkelt ein ferner Stern. Pädagogisch und streng, aber mit Ironie und Mitgefühl.
