Trumps Strategie: Großbritannien zwischen den Stühlen


Meint der amerikanische Präsident Donald Trump auch Großbritannien, wenn er abfällig über Europa herzieht? Das mochten die Briten monatelang nicht glauben. Der britische Premierminister Keir Starmer hatte doch bei Trump schon lange vor dessen Wahlsieg gut Wetter gemacht, und nach seiner Amtseinführung hatte er, auf der Stuhlkante im Oval Office sitzend, die handschriftliche Einladung des Königs zum Staats­besuch hervorgezaubert. Dann war Trump mit höchstem Pomp auf Schloss Windsor empfangen worden und hatte sich in seiner Tischrede revanchiert mit der Bemerkung, die Vereinigten Staaten und das Verei­nigte Königreich gehörten zusammen wie zwei Verse eines Gedichts.

Kuriose Urteile

Doch der Blick der Nationalen Sicherheitsstrategie, die das Weiße Haus jetzt veröffentlichte, ruht nicht mit dem Wohlwollen der oft beschworenen „besonderen Verbundenheit“ auf Großbritannien. Stattdessen sind die Briten mitgemeint in den kursorischen Urteilen über ein vermeintlich wirtschaftlich schwaches, gesellschaftlich permissives – oder doch autoritäres? – Europa, das angeblich kein starker Partner Amerikas mehr sei.

Das Urteil der britischen Presse lautete nun einhellig, das war’s jetzt mit jener „special relationship“. Und beurteilt man die Lage anhand der Positionierung zu Russland, dann gehört Großbritannien sicher spätestens seit Trumps Amtsantritt wieder zu Europa; der britische Premier­minister hat sein Land sogar in eine Führungsposition der Koalition der (europäischen) Willigen gebracht und hat zu Wochenbeginn mit der Ansetzung einer Viererrunde mit den Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich und der Ukraine demonstriert, dass er diese Führungsrolle weiterhin spielen will.

Doch abgesehen von den geopolitischen Zwängen steht dieser Anspruch auch wegen der nationalen Verfassung des Vereinigten Königreiches auf einem rissigen Fundament. Gerade hat der Erste Seelord, der Chef der Royal Navy, massive Investitionen in die britische Verteidigung zur See verlangt und gedroht, anderenfalls werde Großbritannien seine strategische Überlegenheit in den Gewässern der Nordsee an Russland verlieren. Zwar hat die Regierung als Ziel ausgegeben, die Ver­teidigungsausgaben würden binnen eines Jahrzehnts auf 3,5 Prozent des Inlandsprodukts steigen, doch wie diese zusätzlichen Ausgaben finanziert werden sollen, ist offen. Mit einer Staatsverschuldung von fast 100 Prozent des Inlandsprodukts hat das Land – anders als Deutschland – seinen Kreditrahmen nahezu ausgeschöpft.

Nach dem Willen Starmers und seiner Finanzministerin Rachel Reeves soll stärkeres Wirtschaftswachstum den finanziellen Spielraum weiten. Doch dabei steht sich die Labour-Regierung selbst im Weg. Von handwerklichen Pannen und Pleiten abgesehen, etwa einem ir­ritierenden Hin und Her bei ange­deuteten, dann aber verworfenen Steuer­erhöhungen, leidet das Ansehen der Regierung auch an einer bedeutenden Loyalitätsschwäche. Die Erdrutschmehrheit, die Starmer vor eineinhalb Jahren an die Macht brachte, hat sich als rutschige Machtbasis erwiesen, weil vielen Abgeordneten eigene Überzeugungen oder linke Wahlkreismehrheiten wichtiger sind als die Fraktionsdisziplin.

Rückkehr in die EU?

Auch zu einer vollständigen Rückkehr in die europäische Vertrags­familie werden die Kraft und der Wille von Starmers Labour-Regierung nicht reichen. Zwar stellten kürzlich einige Minister seines Kabinetts erstmals öffentlich die Frage, ob ein Beitritt zur EU-Zollunion nicht wirtschaftlich geboten wäre, aber Starmer wies diesen Vorstoß sogleich mit dem Hinweis zurück, dergleichen habe vor eineinhalb Jahren nicht im Labour-Wahlprogramm gestanden. Daraus spricht die weiterhin lebendige Angst vor der Agitationskraft des Rechtspopulisten Nigel Farage, der eine solche halbe Re­vision des Brexits als Verrat brand­marken und für sich nutzen würde – ohnehin führt Farages Reform-Partei stabil mit großem Abstand in den demoskopischen Erhebungen.

Und Farage und die Seinen sowie auch die rechtsextremistische Galionsfigur Tommy Robinson bemühen sich unterdessen eifrig, ihre besondere Verbundenheit mit Trump und der amerikanischen MAGA-Bewegung zu demonstrieren – und den Willen zu zeigen, dass sie jedenfalls auch künftig Verse vom gleichen Gedichtblatt singen wollen, wie ihre amerikanischen Freunde. Allerdings steht die britische Öffentlichkeit derart einhellig an der Seite der über­fallenen Ukraine, dass der frühere Putin-Bewunderer Farage sich mitt­lerweile zu einem Positionswechsel veranlasst sah. Der russische Prä­sident sei „ein unglaublich gefähr­licher Mann“ lautet Farages aktuelles Urteil nun. Es bleibt ihm die Auf­gabe, auch seinen amerikanischen Freund Trump von dieser Einsicht zu überzeugen.