Immerhin, Wolverhampton hat am Wochenende auch wieder verloren. Die Wanderers aus den britischen East Midlands sind nach einem 1:4 gegen Manchester United weiterhin das schlechteste Team in Europas Topligen, mit gerade einmal zwei Punkten aus 15 Spielen. Einer Bilanz, die die ehrwürdige Toskana davor rettet, als Epizentrum des schlechten Fußballs in Europa zu gelten: Der zweitschlechteste Verein nämlich ist die AC Florenz, die sieglos mit sechs Punkten am Abgrund der Serie A wandelt. Wobei manche sagen, der Absturz sei gar nicht mehr zu verhindern.
Eine Krise von historischem Ausmaß erleben die Violetten derzeit, die sich selbst in der Liga als ambitioniertester Vertreter hinter der Spitzengruppe sehen. Italiens Fußballelite der vergangenen Jahre bestand meist aus denselben Teams aus Mailand, Rom, Neapel, Turin und Bergamo – dann folgte schon Florenz, mit ansprechendem Fußball und einer hervorragenden internationalen Bilanz: Zweimal in den vergangenen drei Jahren erreichte Florenz das Finale der Conference League, trotz der Niederlagen waren das bemerkenswerte Erfolge, auf denen eine neue Zeitrechnung aufbauen sollte.

:Zeitspiel beim Stand von 0:0 in der ersten Halbzeit
In keiner anderen Topliga in Europa fallen so wenige Tore wie in Italien – das Mailänder Derby belegt den Trend. Der destruktive Fußball vieler Spitzenklubs wird zunehmend zum Problem.
In Florenz kann man derzeit eine Geschichte wie die des Ikarus aus der Mythologie erzählen. Von einem stolzen Verein voller Tradition, der fliegen wollte – und dann eine Bruchlandung hinlegte. Zum schlimmstmöglichen Zeitpunkt dazu.
Im Sommer hatte alles noch wie ein Traum gewirkt: Mit einem Dreijahresplan trat Florenz an und einer teuer ergänzten Mannschaft. 89 Millionen investierte der Verein vor Saisonstart in neue Spieler, der Besitzer und Präsident Rocco Commisso, ein erfolgreicher US-Geschäftsmann mit kalabrischen Wurzeln, rief den Großangriff aus. Als Trainer wurde dafür Stefano Pioli aus der Wüste in die Toskana geholt. Der Trainer, der vor einigen Jahren die AC Milan zu ihrer bislang letzten Meisterschaft geführt hatte und in Saudi-Arabien weiterhin fürstlich hätte verdienen können, trat in Florenz mit großen Erwartungen an: In Moise Kean hatte er einen der besten Stürmer des Landes, und um ihn herum eine Elf aus etablierten und talentierten Serie-A-Spielern.
Die Risse sind in Florenz überall erkennbar, auch innerhalb der Mannschaft
Nur zehn Spieltage aber blieb Pioli in Florenz, dann zogen die Verantwortlichen die Reißleine, so katastrophal lief das alles. Auch der Sportdirektor Daniele Pradè verabschiedete sich kurz darauf, das allerdings waren nur die personellen Konsequenzen im albtraumhaften Herbst, der sich von Woche zu Woche fortsetzt.
Die Risse sind in Florenz überall erkennbar, auch innerhalb der Mannschaft, in der sich Stürmer Kean (zwei Tore in 13 Ligaspielen) am Wochenende sogar ärgerte, dass ein Teamkollege ihm den Elfmeterschuss wegnahm. Vor allem aber im Verhältnis zum Publikum: Vorige Woche noch hatte noch der erfahrene Edin Dzeko – seit Sommer in Florenz – versucht, die Wogen zu glätten und minutenlang per Megafon in die Kurve gesprochen. Am Wochenende aber, nach einem 1:3 in Sassuolo, brach der Frust in den sozialen Medien los: Der Frau des Außenverteidiger Dodo wurde in den Kommentarspalten gewünscht, ihre Kinder mögen an Krebs sterben. Der Verein, der bislang mit Verständnis versucht hatte, die Tifosi zu beruhigen, nannte das Verhalten „inakzeptabel“ und kündigte Schutzmaßnahmen an.
Die Bevölkerung in der Hauptstadt der Toskana verbindet ein besonderes Verhältnis mit dem Fußball, nur so ist die Schärfe zu erklären. „Jeder, der in Florenz lebt oder was mit Florenz zu tun hat, ist gefühlt ein Ultra von Florenz“, sagte dazu Robin Gosens vor einigen Monaten in einem Podcast. Die Rückkehr des derzeit verletzten deutschen Außenspielers sehnen sie in Florenz seit mehr als einem Monat herbei, am kommenden Wochenende könnte es so weit sein. Für Gosens, der die Heim-EM im vergangenen Jahr verpasste, geht es um die vermutlich letzte Chance, sich noch in den Kreis der deutschen Nationalmannschaft zu spielen, was zunehmend unrealistisch wird. Für die Fiorentina geht es ums sportliche Überleben.
Die Statistiker wiesen am Montag darauf hin, dass seit Einführung der Drei-Punkte-Regel noch nie ein Team den Klassenerhalt geschafft hat, das keines der ersten 14 Spiele gewinnen konnte. Die Expertenrunden im italienischen Fernsehen ätzten, dass es trotz einiger Krisen (etwa in Genua oder Verona) keine andere Mannschaft in Italien gebe, bei der derart hoffnungslos gar nichts funktioniert wie bei der Fiorentina. Besonders perfide aber waren die Hinweise auf den Plakaten, deren Überreste man immer noch an verschiedenen Orten in Florenz entdecken kann.
In Florenz hatte es den ganzen Oktober über eine Vortragsreihe gegeben, inmitten der größten Krise seit der Insolvenz Anfang der 2000er-Jahre. Sie hieß „1926-2026: 100 Jahre Fiorentina, 100 Jahre Stadt Florenz“ und befasste sich mit den engen Verbindungen zwischen Stadt und Verein seit Gründung der AC. Man konnte unter anderem über die Geschichte des wundervollen Stadio Artemio Franchi lernen, einst vom prominenten Architekten Pier Luigi Nervi erbaut. Das Stadion mit seinem berühmten Marathonturm wird derzeit während des Spielbetriebs für knapp 200 Millionen renoviert.
Auch das erneuerte Franchi sollte für den Aufbruch in ein neues Zeitalter stehen, nun scheint die Finanzierung noch unklarer als bisher. Eigentlich sollten die Bauarbeiten bis 2026 abgeschlossen sein, rechtzeitig zum hundertsten Vereinsjubiläum. Daraus wird nichts, inzwischen rechnet man mit einer Fertigstellung frühestens 2029. Vielleicht ist es besser so: Nach Feierlichkeiten im nächsten Sommer sieht es derzeit nicht aus in Florenz. Eher danach, als müsste man den Geburtstag in der Serie B begehen.
