
Wenn Hamburg eines Tages im goldenen Schein Olympischer Spiele erstrahlen sollte, dann kann für die Stadtchronologie festgehalten werden, dass der Anfang dieser Zeit eher hanseatisch-nüchtern war. D
Das Team Olympia hat eine schmucklose Büroetage nahe der Mönckebergstraße zugewiesen bekommen, ein angeklebter Zettel verweist auf das richtige Klingelschild. Auf einem Flipchart hat Steffen Rülke, der die Olympia-Projektgruppe des Senats leitet, Eckpfeiler der Strategie aufgeschrieben. „Emotionen wecken“ gehört zu den Punkten, vielleicht ist es sogar der entscheidende.
Doch wie kann das gelingen in einer Stadt, die vor zehn Jahren schon einmal eine Bewerbung abgelehnt hat, wenn auch knapp? Und ist München mit dem positiven Bürgervotum nicht ohnehin schon enteilt? Rülke glaubt nicht daran und sagt, wie Hamburg noch als Erster vor München, Berlin und NRW über die Ziellinie laufen soll. Zunächst einmal steht allerdings das Referendum im kommenden Mai an.
WELT AM SONNTAG: Sie wollen die gern zögerlichen Hamburger mit vielen Mitmach-Aktionen und einer Infokampagne dazu bringen, sich in ein wahres Olympiafieber hineinzusteigern. Haben die Hanseaten jetzt wenigstens schon erhöhte Temperatur?
Steffen Rülke: Ich durfte in Hamburg Marathon laufen, Triathlon machen und die Cyclassics fahren. Wenn man sieht, wie groß die Sportbegeisterung hier ist – jedes Mal, wenn ein großes Event stattfindet –, dann spürt man: Hamburg liebt den Sport. Die Stadt hat die meisten jährlich wiederkehrenden Top-Veranstaltungen in Deutschland. In Hamburg gibt es eine breite Begeisterung für Sport, und das ist eine sehr gute Voraussetzung für eine Bewerbung.
WAMS: Diese Begeisterung ist in München schon messbar: Mitte Oktober gab es das Referendum – mit einem klaren Ja für eine Bewerbung. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Rülke: Wir haben uns sehr gefreut über das Ergebnis in München. Das gibt uns Rückenwind, weil es zeigt: Man kann Mehrheiten für Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland gewinnen. Wir machen uns jetzt in Hamburg auf den Weg, haben die Bürgerinnen und Bürger eingeladen, sich zu beteiligen. Wir möchten zuhören. Alle haben die Chance, sich mit ihren Vorschlägen zu den Spielen in Hamburg einzubringen. Ich bin überzeugt: Was die Münchner können, können die Hamburger erst recht.
WAMS: Hamburg hatte aber schon einmal einen gescheiterten Bewerbungs-Versuch. Wie sehr ist das noch ein Klotz am Bein?
Rülke: Ich sehe das als Vorteil. Die damalige Bewerbung hat zur Active-City-Strategie geführt. Sport und Bewegung werden in Hamburg schon lange und sehr breit in allen Politikfeldern mitgedacht. Teile der damaligen Ideen sind umgesetzt worden und haben die Stadt besser gemacht. Hamburg investiert Milliarden in seine Sportinfrastruktur und hat aktuell die höchsten Wachstumsraten in den Sportvereinen – das baut auf dieser langfristigen Strategie auf. Und wir können aus der Vergangenheit lernen.
WAMS: Was zum Beispiel?
Rülke: Erstens: Wir wollen Spiele, die zu Hamburg passen. Damals war ein großes städtebauliches Konzept sehr im Mittelpunkt. Heute setzen wir auf eine gute Integration in die bestehende Stadtstruktur – wie Paris. Zweitens: Wir laden die Menschen ein mitzugestalten, die die Stadt am besten kennen – die Hamburgerinnen und Hamburger. Bei unserer Auftaktveranstaltung in der HafenCity-Universität waren über 500 Gäste, die konstruktiv miteinander diskutiert haben. In allen sieben Bezirken gibt es Beteiligungsmöglichkeiten. Drittens: Die Menschen merken: Das ist unser Konzept für unsere Stadt – nicht etwas, das ihnen von einer Organisation oder der Politik übergestülpt wird.
WAMS: Wo kann die Bevölkerung denn ernsthaft konkret eingreifen?
Rülke: Zum Beispiel beim Trainingsstätten-Konzept für den Breitensport. Welche Anlagen werden auf Top-Zustand gebracht? Das betrifft sehr konkret viele Sportarten und Vereine in Hamburg. Außerdem läuft bis zum 12. Dezember eine digitale Abstimmung: Mit welchen zusätzlichen Sportarten soll Hamburg ins Rennen gehen? Dazu gibt es Vorschläge wie HYROX, High Rocks Stand-up-Paddling oder Paddel. Wir sind offen für Ideen – nicht nur zu diesen Themen.
WAMS: Hat beim DOSB derjenige die besten Chancen, der die höchste nachgewiesene Zustimmung liefert?
Rülke: Natürlich kann das Maß an Zustimmung ein Kriterium für den DOSB sein, aber es gibt viele andere: eine nachhaltige Verankerung von Sport in der Stadt, kurze Wege, beste Bedingungen für Athletinnen und Verbände. Hamburg ist da weit vorn: 80 Prozent der Sportstätten liegen im Umkreis von sieben Kilometern um das Heiligengeistfeld. 40 Prozent der Athletinnen können vom Olympischen Dorf aus zu Fuß zu ihren Wettkampfstätten gehen. Und wir haben zudem sehr klare Ideen für die Paralympics, die in der Debatte oft zu kurz kommen, für uns und für eine vielfältigere Gesellschaft aber von großer Bedeutung sind. Wir wollen Hamburg mit den Paralympics zur barriereärmsten Metropole in Deutschland machen.
WAMS: Bei der Bewerbung 2015 beschäftigten sich die Organisatoren stark mit Olympia-Gegnern, die auch jetzt wieder auf den Plan treten. Wollen Sie sich erneut an dieser Gruppe abarbeiten?
Rülke: Wir begreifen uns als Dienstleister für alle Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt. Unsere Hand ist ausgestreckt an alle – auch an Kritiker. Uns ist aber klar, dass wir vermutlich nicht jeden überzeugen können. Jetzt ist für alle der Moment, mit uns ins Gespräch zu kommen und das Konzept mitzugestalten. Später folgt eine Informationsphase, damit alle im Mai eine informierte Entscheidung treffen können.
WAMS: Gibt es valide Umfragen zur Stimmung in Hamburg? Es kursieren immer mal wieder Zahlen, mal sind sie mehrheitlich für, mal gegen eine Bewerbung.
Rülke: Meine Grundlage sind die vielen Gespräche in den Bezirken. Es gibt dort sehr viele Menschen, die für die Spiele sind, andere schwanken noch und möchten sich informieren. Und es gibt natürlich auch einige, die der Idee ablehnend gegenüberstehen, aber alle diskutieren konstruktiv. Das Meinungsbild ist noch nicht abgeschlossen. Wichtig wird der Endspurt – wie bei einem Marathon.
WAMS: Der Hamburger Senat hat bei Volksabstimmungen zuletzt oft Niederlagen erlitten, zuletzt beim Klimaentscheid.
Rülke: Es gibt Unterschiede. Bei diesem Referendum gibt es keine Neutralitätspflicht für den Senat – er wird seine Haltung zeigen. Unabhängig davon bin ich überzeugt: Die Menschen erinnern sich an große Sportereignisse in Hamburg. Sie halten ihre Stadt für die schönste der Welt – zu Recht. Und ich finde: Die schönste Sportveranstaltung der Welt gehört in die schönste Stadt der Welt.
WAMS: Die Olympia-Kritiker aber sagen: „Hamburg ist die schönste Stadt der Welt, und das soll sie auch bleiben. Wir brauchen kein Verkehrschaos und keine Dauerbaustellen.“ Vielleicht ist Hamburg einfach die einst von Helmut Schmidt beschriebene „schlafende Schöne“, die gar nicht geweckt werden will?
Rülke: Wir wollen der „Schlafenden Schönen“ einen wunderschönen Traum einhauchen und sagen sehr klar: Hamburg wird Hamburg bleiben. Und der Glanz der Spiele wird es noch mehr leuchten lassen. Wir planen ein Olympia-Konzept, das zur Stadt passt. Kein Gigantismus, sondern mit hanseatischem Understatement. Das schreibt die Geschichte von Paris vor. Wir wollen die positive Geschichte der Spiele von Paris 2024 fortschreiben. Das zeigt sich am eindrücklichsten bei der Eröffnungsfeier auf der Binnenalster, bei der die Schönheit der Stadt eingebunden wird. Das gilt aber auch für Wettkämpfe auf dem Heiligengeistfeld oder im Volkspark. Wir glauben, dass Hamburg eine wunderschöne Umgebung für ein großartiges Festival der Begegnung abgeben könnte. Dazu kommt noch ein weiterer wichtiger Aspekt.
WAMS: Welchen meinen Sie?
Rülke: Hamburg ist die zweitgrößte Stadt Deutschlands. Wenn Sie aber derzeit Menschen im Ausland fragen, welche deutschen Städte ihnen einfallen, dann landet die zweitgrößte deutsche Stadt da nicht zwingend auf dem zweiten Platz. Wer sich damit zufriedengibt, braucht Olympische und Paralympische Spiele nicht. Wer aber meint, dass die zweitgrößte Stadt Deutschlands sich so etwas auch zutrauen sollte und es ihr guttun könnte als Aufbruchsignal, als Booster für wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung, für Investitionen und Innovationen in der Stadt, der ist eingeladen ins „Team Aufbruch und Optimismus“.
WAMS: Es gibt einen Ort, an dem unabhängig von einer erfolgreichen Olympiabewerbung etwas Großes passieren soll – der Bereich an den Arenen am Volkspark. Was ist dort konkret beschlossen, und wie ist der Stand der Planung?
Rülke: Wenn Hamburg weiterhin will, dass Musik-Weltstars wie Taylor Swift oder Bruce Springsteen in unsere Stadt kommen, wird diese Stadt zukünftig eine große Multifunktionsarena brauchen. Deswegen wird es eine solche Arena am Volkspark, unabhängig von Olympischen Spielen, geben. Die erste Nutzung dieser Arena könnte dann die als Leichtathletik-Stadion bei den Olympischen Spielen sein. Es wird eine Arena, die 365 Tage im Jahr genutzt werden könnte – für Konzerte, Veranstaltungen sowie für Sport jeglicher Art. Große Arenen wie zum Beispiel in Madrid verfolgen dieses Konzept bereits. Wie dort wäre die Arena ein Magnet für viele Menschen, die in unsere Stadt kommen, aber natürlich auch für die Hamburger selbst. Viele andere Städte wie Madrid und Barcelona haben uns das vorgemacht. Es wird künftig noch häufiger so sein, dass Weltstars mehrere Konzerte an einem Ort veranstalten, so wie Adele in München. Das bringt eine sehr hohe Zahl von Menschen in die Stadt, die hier zudem übernachten und auch noch mal ein Fischbrötchen essen. Daran muss die Stadt ein überragendes Interesse haben.
WAMS: Was ist noch mit dem HSV zu klären in Sachen neuer Arena?
Rülke: Es wird ein privates Betreibermodell geben, und der HSV wird für sich noch entscheiden, welche Rolle er darin spielt. Mit dem ebenfalls privatwirtschaftlichen Bau der Arena werden wir die notwendigen Voraussetzungen für die Durchführung der Sommerspiele erfüllen. Das hat uns der DOSB bescheinigt. Wir haben damit die erste Hürde beim DOSB erfolgreich genommen. Wir erfüllen alle konzeptionell notwendigen Voraussetzungen, um die Olympischen und Paralympischen Spiele durchzuführen.
WAMS: Werden Sie bis zum Referendum genaue Zahlen zu den Kosten der Spiele nennen können?
Rülke: Wir wollen an die Spiele 2024 in Paris anknüpfen. Paris hat mit der reinen Durchführung der Olympischen und Paralympischen Spiele einen Gewinn von mehreren Millionen Euro erzielt, die danach weitestgehend in den Sport in Paris und Frankreich geflossen sind. Wir sind sehr optimistisch, dass wir dies bei den reinen Durchführungskosten auch realisieren können. Unsere Rahmenbedingungen sind ähnliche, rund 80 Prozent der Sportstätten existieren bereits. Wir müssen für Olympia keine teuren Neubauten errichten, die wir sonst nicht bauen würden. Das minimiert den Kostenrahmen extrem und sorgt dafür, dass wir sehr nachhaltig unterwegs sind. Wir werden aber zudem bis Februar eine sehr präzise und transparente Kostenrechnung vorlegen, wie es sich für hanseatische Kaufleute gehört.
WAMS: In einer bundesweiten Umfrage, in der es darum ging, welchen der vier Bewerber die Menschen als deutsche Olympiastadt sehen, ist Hamburg nur auf Platz vier gelandet. Sehen Sie sich vor diesem Hintergrund in einer Außenseiterrolle?
Rülke: Nein, wir spielen auf Sieg und müssen uns mit unserem Konzept nicht verstecken. Ich glaube, alle vier Bewerber sind in der Lage Olympische und Paralympische Spiele in dem Zeitrahmen durchzuführen. Die Entscheidung fällt nicht in Umfragen, sondern hier beim Referendum und dann bei der DOSB-Mitgliederversammlung im Herbst 2026. Darauf konzentrieren wir uns.
WAMS: In Paris ergab jetzt eine Umfrage ein Jahr nach den Spielen, dass die Bevölkerung die Olympischen Spiele in der Nachbetrachtung als sehr positiv ansieht. Als wie wichtig sehen Sie es an, dies auch hier publik zu machen?
Rülke: Zunächst waren die Pariser vor den Spielen aus ihrer Stadt geflohen, weil sie dachten, sie könnten sich in ihrer Stadt kaum noch frei bewegen. Doch schon nach der Eröffnungsfeier, so wurde uns direkt aus Paris berichtet, sind sehr viele zurückgekommen, weil sie so begeistert waren von dieser Eröffnungsfeier und unbedingt dabei sein wollten. Auch direkt nach den Spielen ergab eine Umfrage, dass 80 Prozent der Bewohner dieses Ereignis positiv betrachteten. Mittlerweile haben ja weltweit mehrere Olympiastädte ein weiteres Mal die Spiele ausgerichtet, bewerben sich dafür oder haben Interesse daran. Ich nenne hier als Beispiele London, Los Angeles oder auch Seoul. Sie haben erkannt, dass so ein Ereignis der Stadt guttut und einen wahnsinnigen Fortschritt bringen kann.
WAMS: Wie sehen Sie die Chancen des deutschen Bewerbers – egal wer es sein wird –, später auch den Zuschlag vom IOC für eine Ausrichtung 2036, 2040 oder 2044 zu erhalten?
Rülke: Das erklärte Ziel, dass die Olympischen und Paralympischen Spiele wieder in Deutschland stattfinden, verbindet uns vier Bewerber. Dafür treten wir alle an. Ich bin mir sehr sicher, dass die Spiele demnächst nach Deutschland kommen werden. Dafür sehe ich mehrere Gründe. Erstens hat Deutschland immer wieder gezeigt, dass wir Großveranstaltungen können. Das ist international bekannt. Wir haben die Infrastruktur, das Organisationsvermögen und auch die Begeisterung. Was uns manchmal noch ein wenig fehlt, ist der Optimismus. Daran arbeiten wir. Zweitens war Deutschland seit München 1972 nicht mehr dran – als einzige G-7-Nation in den vergangenen 50 Jahren. Mit der großen Geschlossenheit zwischen den Bewerbern, der Bundesregierung und dem DOSB wird diese Durststrecke ein Ende haben.
WAMS: Wie groß ist jetzt Ihr Team hier, das jetzt die Hamburger Bewerbung vorantreibt und zum Erfolg führen soll?
Rülke: Wir sind benannt als „Vorprojekt für die Olympischen und Paralympischen Spiele“. Ich würde uns lieber „Team Aufbruch und Zuversicht“ nennen. Denn das trifft den Spirit, mit dem wir die Sache angehen. Wir sind gut 20 Personen in diesem Team, haben ein großes Interesse an Olympischen und Paralympischen Spielen und arbeiten gern in solch einer Projektstruktur, an dessen Ende wir hoffentlich etwas zu feiern haben.
WAMS: Bei der vergangenen Bewerbung 2015 gab es eine Countdown-Uhr auf dem Rathausmarkt als Symbol nach außen. Wird es so etwas wieder geben?
Rülke: Als HSV-Fan habe ich gewisse Zweifel, ob man mit Uhren hier so gute Erfahrungen gemacht hat. Es wird zahlreiche Aktionen geben. Das Interesse in den Vereinen ist riesig, in der gesamten Stadtgesellschaft auch.
WAMS: Kommen Sie in diesen Wochen selbst noch dazu, Sport zu treiben? Wie sehr hilft Ihnen der Sport, um mit voller Kraft Ihren Beruf auszuüben?
Rülke: Ich bin Triathlet, also passt es ganz gut, dass auch wir drei Hürden nehmen müssen mit dem Referendum, dem nationalen und dann dem internationalen Entscheid. Ich habe gelernt, eine Disziplin nach der anderen zu bestreiten. Und ja, ich komme dazu, selbst Sport zu treiben und überlege, auch im nächsten Jahr hier am Triathlon teilzunehmen. Beim Sport komme ich auf die besten Ideen.
Steffen Rülke ist seit September 2025 Leiter der Hamburger Olympia-Bewerbung. Der 52-jährige Jurist bringt umfangreiche Erfahrung aus der Bundespolitik mit: Von 2022 bis 2025 leitete er im Bundesinnenministerium die Abteilung Sport und war verantwortlich für Großprojekte wie die UEFA Euro 2024. Zuvor arbeitete er als Büroleiter im Bundeskanzleramt und führte eine Unterabteilung im Bundesjustizministerium. Als Triathlet und Marathonläufer kennt er die Sportwelt aus eigener Erfahrung.
