Münchner Fotografieschau über Haiti: Den Exotismus überblenden

Bläulich-milchig pulsiert das Licht einer Projektion im Erdgeschoss des Münchner Lenbachhauses. Von der Mitte des Ausstellungsraums strahlen rechteckige Fotos gen Fußboden. Ein großes rundes Wasserbecken darunter fängt sie ein, reflektiert die erstaunlich kühlen Farbtöne der Bilder auf die Gesichter der Betrachtenden, die sich auf kleinen Hockern um die ungewöhnliche Diaschau versammelt haben.

Das Wasser verwischt die Bildgrenzen, es weicht sie auf, lässt sie verschwimmen, macht sie unscharf, out of focus, wie es auch im Titel der Ausstellung heißt: „Out of Focus. Leonore Mau und Haiti“, kuratiert und konzipiert vom Züricher Künst­le­r:in­nen­kol­lek­tiv U5.

Das Wasser in der runden, flachen Aluminiumschale ist so still und klar, dass nur ein paar auf ihm schwimmende Staubkörner seine Existenz beweisen. Man muss den Impuls unterdrücken, mit dem Finger nachzufühlen. Die aufflackernden Bilder so durch konzentrische Wellen zu stören.

Wellenklänge zum Bild

Die Ausstellung

„Out of Focus. Leonore Mau und Haiti. Eine Ausstellung von U5“. Lenbachhaus München, bis 15. Februar 2026.

Katalog (Hatje Cantz): 48 Euro.

Eine Soundinstallation unterstreicht das Wasser, es rauschen und plätschern, rieseln und gluckern Wellenklänge durch die Lautsprecher. Der Klang des Meeres, der Wassermasse, des Windes. Er steht in starkem Kontrast zum hier vorhandenen, domestischen Tümpel, zur Auslegeware und zur zeltartigen Ausstellungsarchitektur aus mattweißer Bauplane, die in Zusammenarbeit mit ALIAS architects errichtet wurde und so den eigentlichen Raum verdeckt.

In Leonore Maus projizierten Bildern spielen Kinder, entfalten sich Straßenszenen voller Passanten, Lebensmittel, Leuchtreklamen, Tiere und Pflanzen. In Intervallen von sieben, vierzehn und einundzwanzig Sekunden wischen Mauern, Häuser, Rituelles und Feste über den Wasserspiegel. Dokumentarische Reisefotografie in Kleinbild und Mittelformat, meist in mattkörnigen Farben, teils in Schwarz-Weiß. Manchmal überlagern sich die Fotografien in der technischen Überblendung, erschaffen so ein neues Bild, die Illusion von Bewegung, und gleichen so in ihrer Unschärfe mehr vagen Erinnerungen denn entschiedener Dokumentationen.

Mit dem Schriftsteller Hubert Fichte

Die ausgebildete Pressefotografin Leonore Mau wurde 1916 in Leipzig geboren. Ab den 1960er Jahren lebte und arbeitete sie zusammen mit dem Schriftsteller und Ethnografen Hubert Fichte. Mit ihm reiste Mau unter anderem nach Ägypten und Marokko, Venezuela, Mexiko, Benin, Senegal, den USA und Brasilien. Zwischen 1972 und 1974 besuchten Mau und Fichte Martinique, Grenada, Trinidad, die Dominikanische Republik und Haiti. Wie auch auf ihren anderen Reisen dokumentierte Mau die Aufenthalte fotografisch. Im Zentrum der Recherchen der Karibikreisen Maus und Fichtes standen afrodiasporische Riten und Zeremonien.

Viele der Aufnahmen, die im diktatorisch regierten Haiti unter Präsident Jean-Claude „Baby Doc“ Duvalier entstanden, veröffentlichte Mau in deutschen Zeitschriften und Reisereportagen. Es sind häufig klischeehafte, exotisierende Bilder. Einige Aufnahmen zeigen rituelle Handlungen, etwa aus dem Voudou-Kult, und waren eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Die betreffenden Bilder werden in der Münchner Schau nicht gezeigt, vielmehr wurden sie vor der Ausstellungseröffnung auf Wasser projiziert, das – auf diese Art „aufgeladen“ – in Keramikgefäße gefüllt wurde.

U5: „Sissi“, Überlagerung von Leonore Maus Fotografien aus Haiti, 2025



Foto:
U5, bpk, S. Fischer Stiftung und Leonore Mau

Die vermeintliche Aura der Bilder residiert nun still und verborgen im Ausstellungsraum. Ihre Behältnisse haben die Form von Tieren: fantastische Wesen, freundliche Monster und Exzentrisch-Kreatürliches aller Art stapeln sich in einem säulenförmigen, gläsernen Regal im hinteren Teil der Ausstellung in die Höhe, recken sich durch die Zeltdecke in die vermeintliche Unendlichkeit darüber empor.

Klassische Fragen der Bildtheorie

Wem gehört das Bild? Wer sind die Menschen? Wie materialisiert sich gesellschaftliche Hierarchien? Subjektivität? Vermeintliche Wahrheit? Was reproduziert die Reproduktion? In „Out of Focus“ setzt sich das Genius-kritische Künst­le­r:in­nen­kol­lek­tiv U5 mit den klassischen Fragen der Bildtheorie auseinander und verfolgt dabei durchaus interessante und experimentelle Ansätze.

Die wortwörtlich verflüssigten Fotografien verschwimmen für die Betrachtenden zu einer lebhaft-berauschenden Meditation. Sie hinterlassen Eindruck, ohne sich tatsächlich als konkrete Bildschablonen in der Erinnerung zu materialisieren, während die begleitende, umfangreich recherchierte Publikation von Dora Imhof, Gina Athena Ulysse und U5 (auf Deutsch und Haiti-Kreolisch) die vielen Ebenen vorsichtig und klug auseinanderpult.

Nur die Ausstellungsarchitektur wirkt überfrachtet. Ein Zelt als stereotype Metapher des Kollektiven, Spärlichen, flüchtigen oder den Wasser-Himmel-blauen Teppichboden hätte die Schau im Lenbachhaus nicht gebraucht.