Israel doch beim ESC in Wien: Sängerstreit ohne vier

Der Stoff ist dem gewöhnlichen europäischen Publikum nur schwer zu vermitteln, selbst besser informierten Menschen: Obwohl Israel seit Oktober 2023 als Folge der Hamas-Massaker in der dem Gazastreifen benachbarten Negevwüste einen vieltausendfach tödlichen Krieg gegen die Hamas führte, darf es am nächsten, dem 70. Eurovision Song Contest in Wien teilnehmen.

Mehrere Mitglieder der öffentlich-rechtlichen Senderkette – der nicht nur Mitglieder der EU angehören, sondern auch TV- und Radioanstalten bis zum asiatischen Kaukasus und auch etliche Länder am arabischen Mittelmeer, etwa aus Algerien – hatten gefordert, Israel wegen seines militärischen Aktionen gegen die Hamas im Gazastreifen vom ESC auszuschließen. Dazu gehörten Sender aus den Niederlanden, Irland, Spanien und Slowenien.

Die Generalversammlung der EBU sollte darüber am Donnerstag entscheiden, und sie tat es auch, und dem Vernehmen nach fiel der Beschluss mit überwältigender Mehrheit: Israel darf im kommenden Mai in der österreichischen Hauptstadt mit einer Sanges- und Performancedelegation vertreten sein.

Die vier Sender, die den Ausschluss apodiktisch forderten, erklärten anschließend, im kommenden Jahr nicht dabei zu sein. Islands öffentlich-rechtlicher Sender überlegt noch, sich dem Boykott anzuschließen, ebenso sind solche Überlegungen in Norwegen und Belgien im Spiel.

Als Argument zogen die bislang vier boykottierenden Sender heran, dass auch Russland und Belarus nach dem Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 ausgeschlossen worden seien. Die Mehrheit der EBU-Mitglieder aber betonte, dass dies nicht wegen des Überfalls auf die Ukraine geschah, sondern weil die Sender jener zwei Länder nicht mehr staatsunabhängig agieren konnten, nicht mehr journalistisch arbeiten durften.

Der israelische Sender KAN hingegen ist kein Staatssender, sondern alles in allem von der Netanjahu-Regierung unabhängig. Kritische Berichterstattung zur israelischen Regierung ist dort nach wie vor möglich, etwa zur Vernachlässigung der Geiselbefreiungsbemühungen durch die Regierung.

TV-Lagerfeuer im Mai

Der ESC ist eben ein – dem prinzipiellen Anspruch nach – politikfernes Projekt. Im Übrigen ist der ESC bei so gut wie allen angehörenden Sendern die erfolgreichste Show des Jahres, mit Einschaltquoten bis zu 70 Prozent, nah an Spitzenwerten aus dem Sportbereich, Fußball etwa. Ein europäisches (und, durch die ermöglichte Teilnahme Australiens und möglicherweise bald Kanadas, außereuropäisches) TV-Lagerfeuer im Mai eines Jahres.

Das ESC-Management bei der EBU in Genf vermochte auch durch Regeljustierungen zu den Shows selbst die vier Boykott wünschenden Länder nicht zu überzeugen. Unter anderem hatte die EBU verfügt, dass auch in den Semifinals, den Qualifikationsrunden vor dem Grand Final eines ESC, Jurys werten sollen, also nicht nur die „Volxabstimmung“ via Televoting ausschlaggebend ist zu. Außerdem wird empfohlen, in den Werbepausen keine ESC-werbende Reklame mehr auszustrahlen, Israel hatte hier einschlägig viel Promotion betrieben.

Der ganze Rumor in puncto Israel kam nicht erst nach dem 7. Oktober 2023 auf. Schon seit 2020 mobilisieren antiisraelische Szenen auch in Fanforen des ESC massiv gegen Israel schlechthin. Da in allen eurovisionären Sendern Social-Media-Repräsentationen immer wichtiger werden, musste, etwa in Irland oder Spanien, auf die Followerschaften im digitalen Raum wohl Rücksicht genommen werden. In den boykottierenden Ländern wird der nächste ESC, immerhin im Stream zu sehen sein, Geoblocking wider die EBU-Übertragung ist nicht vorgesehen.

Bundesregierung hatte mit Boykott bei Boykott gedroht

Deutschland hat mehr oder weniger unsubtil, ohne je offiziell ein Statement mitzuteilen, bedeutet, dass, sofern Israel ausgeschlossen werden würde, es sich vom Wettbewerb zurückziehen würde. Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, Kanzler Friedrich Merz und Familienministerin Karin Prien äußerten sich in dieser Hinsicht schon vor Wochen eindeutig. Italiens Sender RAI signalisierte gleichfalls: Boykott gegen Israel, zumal nach dem Waffenstillstand?Ausgeschlossen.

Gerüchte im Netz spekulieren, ob nun der ESC finanziell ein Minusgeschäft werden könnte. Österreichs gastgebender Sender ORF dementierte schon vor drei Wochen: nein. Die Kalkulation bliebe sattelfest.

Israel, last but not least, freut sich über den Beschluss der EBU-Generalversammlung. Ob es einen Beitrag schicken wird, der zu den favorisierten gehört, steht zu erwarten. In allen nichtboykottierenden Ländern haben die Vorauswahlprozeduren begonnen.

Die EBU hat weise entschieden und sich einer Minderheit mit ihren Sorgen nicht gefügt. Es ist ein Zeichen der Inklusion, nicht ein politisches Desaster.

Anm. der Redaktion: Ursprünglich war dieser Text mit „Sängerstreit ohne fünf“ betitelt. Der Ausstieg Islands ist aber noch unsicher. Daher gitl bis auf weiteres die neue Zeile: „Sängerstreit ohne vier“