
Höcke spricht im Rahmen einer Aktuellen Stunde. Die AfD-Fraktion hatte sie beantragt unter dem Titel „Kriegsrhetorik und Wehrpflichtdebatte: die Zukunft der Thüringer Jugend muss der Frieden, nicht der Krieg sein“.
Der Landes- und Fraktionsvorsitzende der Thüringer AfD belässt es nicht bei Horrorbildern. Er fügt hinzu, dass sich eine Verteidigung der Bundesrepublik aus seiner Sicht heute gar nicht lohne. Was solle denn ein junger Mann heute noch verteidigen, fragt Höcke.
Höcke hat erkannt, dass das Thema Sprengkraft hat
Ihm fällt dazu nur Folgendes ein: „Dragqueen-Auftritte in Kindergärten, die Deindustrialisierung, die Plünderung der Sozialversicherungssysteme, die mit Betonmauern gesicherten Lichterfeste, die früher mal Weihnachtsmärkte hießen“. Außerdem die Massenzuwanderung, die junge Männer zu Fremden im eigenen Land mache, und der „Schuldstolz“. Erst müsse das Land wieder ein Staat der Deutschen werden, bevor ein junger Mann „zwangsweise wieder in Uniform antreten soll“.
Seit Monaten treibt Höcke seine Kampagne gegen eine vermeintliche Wehrpflicht voran. Dass es derzeit nur um eine Musterungspflicht geht und es zudem ein Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung gibt, dass Wehrdienstleistende und andere Soldaten dieses Recht selbst in der Bundeswehr noch wahrnehmen können, wie die SPD-Politikerin Dorothea Marx ihm entgegnet, interessiert Höcke nicht. Wie er auch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine mit keinem Wort erwähnt.
Höcke hat erkannt, dass das Thema Sprengkraft hat. Und deshalb setzt er darauf.
Weidel wollte die Wehrpflicht – Höcke setzte seine Position durch
In der AfD ist er damit schon weit gekommen. Er habe es geschafft, mit seinen engen Vertrauten im Bundestag, wie dem Thüringer Ko-Landeschef Stefan Möller oder dem Vizelandeschef Torben Braga, „die Meinung Ihrer Bundestagsfraktion zu drehen“, wie Thüringens Sozialministerin Katharina Schenk von der SPD in der Debatte im Landtag sagt.
Höcke hatte zunächst Anfang September mit Unterstützung von Tino Chrupalla, dem Ko-Bundeschef der AfD aus Sachsen, alle ostdeutschen AfD-Landesfraktionschefs auf seine Seite gebracht. Arm in Arm zeigten sich die Fraktionschefs auf einem Foto, das Höcke mit dem Kommentar „Keine Wehrpflicht für fremde Kriege!“ auf der Plattform X verbreitete.
Im Bundestag organisierten Höckes Leute dann im Oktober eine Gruppe von 23 AfD-Abgeordneten aus Ostdeutschland, die sich gegen Partei- und Fraktionschefin Alice Weidel stellten. Weidel wollte in einem Antrag im Bundestag die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht fordern.
Höcke reicht dieser Erfolg nicht
Die Forderung steht im Grundsatzprogramm der AfD und – auf ausdrücklichen Wunsch von knapp 72 Prozent der Mitglieder – auch noch im Bundestagswahlprogramm 2025. Höckes Leute aber formulierten einen eigenen Entschließungsantrag und verlangten darin, „bis zur endgültigen Beendigung des militärischen Ukraine-Konflikts“ keine Wiedereinsetzung zu fordern.
Den Konflikt mit Chrupalla und Höcke wollte Weidel nicht riskieren. Sie schwenkte stattdessen auf deren Linie ein und sagte, dass es eine Wehrpflicht erst in Friedenszeiten und möglichst unter einer AfD-Regierung geben solle.
Höcke reicht dieser Erfolg aber nicht. Er will die sich entwickelnde Bewegung unter Jugendlichen gegen eine Dienst- und Wehrpflicht nicht der Linken und dem BSW überlassen. Höcke gehe es darum, „sich an junge Menschen ranzupirschen“, sagt SPD-Politikerin Schenk in der Debatte. Das habe er schon mit dem Thema Simson getan. Auf dem gleichnamigen DDR-Kultmoped hatte sich Höcke im Landtagswahlkampf im vorigen Jahr ablichten lassen, er organisierte gemeinsame Ausfahrten mit jugendlichen Simson-Fans und regte im Landtag an, das Moped aus Suhl zum immateriellen Kulturerbe des Bundeslands zu machen.

Mit der Kampagne gegen die Wehrpflicht ließe sich möglicherweise ein weit größerer politischer Gewinn erzielen, nicht zuletzt um staatskritische Haltungen zu verstärken. Denn Höcke verbindet seine Kampagne gegen „fremde Kriege“ mit der von der AfD verfolgten Delegitimierung des Rechtsstaats. Er stellt die Bundesrepublik als Staat dar, der bereit sei, Wehrpflichtige in einen Kriegseinsatz zu zwingen, etwa in der Ukraine.
Zwangseinsätze von Wehrpflichtigen im Ausland sind allerdings per Gesetz untersagt, ein Einsatz ist nur mit deren schriftlicher Einwilligung möglich. Der CDU-Abgeordnete Christoph Zippel wirft Höcke im Landtag vor: „Kein neuer Wehrdienstleistender wird in die Ukraine geschickt. Es findet nicht statt. Aber Sie erfinden es trotzdem. Sie schüren diese Angst bei Eltern und jungen Menschen in ganz Thüringen, weil Sie eben mit Verunsicherung Stimmen gewinnen wollen.“
Doch auf solche Details geht Höcke nicht ein. Zum Thema Wehrpflicht sagte er auf einer Pressekonferenz im Erfurter Landtag am 26. November: „Unsere Position ist: Wehrpflicht ja, aber nicht jetzt. Also grundsätzlich bin ich für die Wehrpflicht in einem funktionierenden Staat, der auch die Interessen der eigenen Bevölkerung ganz oben ansetzt. Das ist in Deutschland nicht der Fall.“
Widerstand gegen den Wehrdienst gibt es auch in der Landesregierung
In Thüringen erinnert man sich an einen Auftritt Höckes auf einer Kundgebung in Erfurt vor zehn Jahren, am 30. September 2015. Damals hatte Höcke davon gesprochen, dass „wir unsere Männlichkeit wiederentdecken müssen“. Und, so fuhr er fort, „nur, wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft. Und wir müssen wehrhaft werden.“ Das wurde von vielen als Bekenntnis zur Wehrpflicht verstanden.
Nun aber geht es um Russland, die Macht, auf die sich Höcke und die AfD ausrichten, besonders in Ostdeutschland. Auf der Pressekonferenz Ende November machte Höcke keinen Hehl daraus, wie er die Wehrpflichtdebatte in diesem Zusammenhang nutzen will. „Die Gefahr ist einfach, dass unsere wenigen jungen Leute, die wir haben, tatsächlich dann in der Ukraine an der Front verheizt werden. Und das liegt nicht im deutschen Interesse.“ Erst wenn deutsche Interessen „ganz oben angesetzt werden“, könne man über die Wehrpflicht reden – „und dann bitte auch nur über die Wehrpflicht für junge Männer“.
Für Putins Regime fand Höcke auf der Pressekonferenz lobende Worte. Anders als bei deutschen Politikern habe er das Gefühl, dass es bei den Russen „die Definition von Interessen gibt und dass es eine strategische Planung zur Durchsetzung der Interessen gibt“. Die russische Führung, vor allen Dingen Außenminister Sergej Lawrow, seien „wirkliche Politikprofis“. Es sei eine Tatsache, „dass dort Staatsmänner am Werke sind, die für ihr Land das Beste rausholen wollen, was ich in Deutschland allerdings nicht erkennen kann“.
Auch Wladimir Putin zollte Höcke Anerkennung, der russische Machthaber kenne sich mit Geschichte aus. „Putin hat mehr historisches Wissen als Bundeskanzler Merz.“ Das habe er Interviews mit Putin entnommen.
Höcke bewegt sich in Thüringen in einem politischen Umfeld, in dem die Vorbehalte gegenüber der NATO groß und pazifistische Stimmungen besonders ausgeprägt sind. Wenn es um populistischen Widerstand gegen eine Wehrpflicht geht, ist die AfD sich einig mit der Linken und dem BSW.
Das ist insofern heikel, als das BSW in Thüringen Teil der Landesregierung mit CDU und SPD ist. Im Landtag bemüht sich die friedenspolitische Sprecherin der BSW-Fraktion, Anke Wirsing, am Mittwochabend denn auch, Unterschiede zur AfD zu finden, indem sie an deren Grundsatzprogramm mit dem Bekenntnis zur Wehrpflicht erinnert. Am Ende ihrer Rede ruft sie die Thüringer Schüler dazu auf, sich an diesem Freitag am Schulstreik gegen die Einführung der Wehrpflicht zu beteiligen.
