Georgien: Mit Chemiewaffe aus Erstem Weltkrieg gegen Demonstranten?

Georgiens Machthaber schießen sich gerade auf einen ausländischen Gegner und dessen angebliche heimische Helfer ein: Die BBC und mehrere Georgier, die in einem Bericht der britischen Journalisten vorkamen oder deren Arbeit darin verwendet wurde. Denn der Schluss, den das Material erlaubt, das die BBC sammelte, ist für das Regime des reichsten Mannes und faktischen Herrschers Georgiens, Bidsina Iwanischwili, brisant und könnte seinem Versuch schaden, auch im Westen wieder Anschluss zu finden.

Demnach verwendeten die Sicherheitskräfte vermutlich vor einem Jahr eine Chemiewaffe aus dem Ersten Weltkrieg gegen Demonstranten, die allnächtlich gegen die nach vielen Anzeichen manipulierte Parlamentswahl und die von den Machthabern verkündete „Aussetzung“ des EU-Beitrittsprozesses ins Zentrum der Hauptstadt Tiflis zogen. Die Proteste halten an, wiewohl in deutlich kleinerem Ausmaß, unter anderem weil das Regime zahlreiche Gegner inhaftiert hat.

Betroffen klagen über gereizte Haut und Atemnot

Schon vor einem Jahr war klar, dass zu den „Spezialmitteln“ der Sicherheitskräfte Wasserwerfer gehörten, die eine stark wirkende chemische Substanz versprühten. Betroffene klagten über stark gereizte Haut, Atemnot, Husten, Erbrechen, Kopfschmerzen, Müdigkeit. Vergebens forderten Mediziner Aufklärung. Die Symptome hielten teils wochenlang an, berichtete nun die BBC, die mit Demonstranten, Ärzten, Informanten vonseiten der Sicherheitskräfte und Chemiewaffenfachleuten sprach.

Im Ergebnis liegt es nahe, dass die Sicherheitskräfte Brombenzylcyanid einsetzten, einen auch als Camite bekannten Kampfstoff, den Frankreich im Ersten Weltkrieg gegen das deutsche Heer einsetzte. In dem Bericht kommt der Arzt Konstantin Tschachunaschwili zu Wort, der selbst betroffen war und eine Studie zu den Auswirkungen der Einsätze anfertigte. Er sagte, seine Haut habe sich tagelang angefühlt, als würde sie brennen, Waschen habe es nur verschlimmert.

Für Iwanischwilis Regime ist besonders heikel, was ein früherer Funktionär, der für die Bewaffnung der Spezialkräfte zuständig war, berichtete: Lascha Schergelaschwili glaubte, es handele sich um eine Substanz, die er im Jahr 2009 habe testen sollen. Das war noch zur Zeit von Präsident Micheil Saakaschwili, der zusehends autoritär regierte. Auch vor diesem Hintergrund war Iwanischwilis Partei Georgischer Traum 2012 an die Macht gekommen.

Die Machthaber nennen die Recherche „absurd“

Nun ist Saakaschwili seit mehr als vier Jahren inhaftiert, und Iwanischilis Regime will die Opposition als „kollek­tive“ Parteigänger ihres prominentesten Rivalen verbieten. Schergelaschwili sagte, er habe sich gegen einen Einsatz der Chemikalie ausgesprochen, doch seien die Wasserwerfer trotzdem damit bestückt worden, mindestens bis 2022, als er gekündigt und das Land verlassen habe. Frühere Kollegen, mit denen er in Kontakt stehe, hätten ihm gesagt, dass diese Chemikalie gegen die Demons­tranten eingesetzt worden sei.

Schergelaschwili kannte den Namen der Substanz nicht. Die BBC fand aber in einer Inventarliste der Spezialkräfte eine Substanz mit einer Kennziffer, die für verschiedene giftige Stoffe stehe, darunter Camite. Waffenfachleute sagten, zur Auflösung von Demonstrationen dürften chemische Stoffe eingesetzt werden, solange es verhältnismäßig und ihre Wirkung von kurzer Dauer sei. Camite jedoch sei nur kurze Zeit nach dem Ersten Weltkrieg von der amerikanischen Polizei eingesetzt, dann durch weniger aggressive Stoffe wie CS-Gas ersetzt worden.

Die Machthaber kamen schon im Bericht zu Wort, wiesen die Recherche als „absurd“ zurück. Als Reaktion auf die Veröffentlichung leitete Georgiens Geheimdienst ein Verfahren ein, einerseits wegen des Verdachts auf Machtmissbrauch seitens der Behörden, andererseits weil „Georgiens nationale Interessen ernstlich beschädigt“ worden sein könnten, mit „Hilfeleistung“ für eine ausländische Organisation.