Ziemlich bunt ist die Online-Version der Studie mittlerweile. Von einer „Korrektur“ ist in einer blauen Anmerkung vom Juni 2024 die Rede, einige Monate später folgt dann in Gelb eine „Editor‘s Note“: Die Verlässlichkeit der Daten und der Methodik stehe infrage und werde geprüft. Und jetzt, ein gutes Jahr später, in Rot: „Der Artikel wurde zurückgezogen“.
Dabei geht es um eine Arbeit, die im Frühjahr 2024 im renommierten Fachmagazin Nature erschienen ist und die von vielen Medien aufgegriffen wurde, auch von der SZ. Darin berechnen die Klimaforscher Maximilian Kotz, Anders Levermann und Leonie Wenz vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) die ökonomischen Folgen der Erderwärmung. Bis 2050 würde die Klimakrise die Menschheit demnach 19 Prozent des zu erwartenden Einkommens kosten, verglichen mit einer fiktiven Welt ohne Klimawandel, heißt es in der ursprünglichen Studie. Bei ungebremsten Emissionen würden die Verluste bis 2100 sogar auf 62 Prozent der Weltwirtschaft anwachsen.
Dass der Klimawandel zu wirtschaftlichen Verwerfungen führen kann – etwa durch mehr Wetterextreme wie Dürren oder Hitzewellen und damit verbundene Produktionsausfälle –, ist gut belegt. Die Zahlen des Potsdamer Teams wichen aber deutlich von anderen Schätzungen ab. Eine weithin zitierte Studie von 2015 etwa kam auf einen Wohlstandsverlust von 23 Prozent bis Ende des Jahrhunderts bei ungebremstem Klimawandel, eine weitere Arbeit auf bis zu zwölf Prozent.
„Das Forschungsteam und das PIK übernehmen die volle Verantwortung für die Versäumnisse.“
So nahmen andere Fachleute die PIK-Studie unter die Lupe. In einem im August veröffentlichten Kommentar weist etwa ein Team um Solomon Hsiang von der Universität Stanford auf Ungereimtheiten in den Daten hin. Für die Berechnung der Klimaschäden greifen die PIK-Autoren auf subnationale Daten zur Wirtschaftsentwicklung zurück, also aus einzelnen Regionen von Staaten. Im Zentrum der Kritik von Hsiang steht dabei Usbekistan. In den PIK-Daten werden für einzelne Regionen des zentralasiatischen Landes Wachstumsraten von bis zu 110 Prozent ausgewiesen, im Jahr 2000 dann Einbrüche um bis zu 93 Prozent. Rechne man Usbekistan aus der Analyse heraus, ergäbe sich bis 2100 ein deutlich geringerer Wohlstandsverlust – von 23 statt 62 Prozent.
In einer „Retraction Note“, einer Erklärung zur Rücknahme der Studie, räumen die Autoren die Schwierigkeiten mit Usbekistan ein. Die Berechnungen reagierten zu sensibel auf ein einzelnes Land. Im Kern geht es dabei um eine fehlerhafte Umrechnung der Wirtschaftsdaten aus Usbekistan anhand von Marktwechselkursen statt zum Kurs der Kaufkraftparität.
„Das Problem war eine fehlerhafte Umrechnung von Daten aus den 1990er-Jahren in Usbekistan, die dadurch stark von Daten ab 2000 aus einer anderen Quelle abwichen“, sagt die Mitautorin Leonie Wenz. Zwar seien diese mittlerweile korrigiert worden. „Wir verstehen aber, dass unsere Überarbeitung zu umfangreich war, um als Korrektur veröffentlicht zu werden.“ Daher habe sich das Team „im engen Austausch mit Nature“ für eine Rücknahme der Studie und eine Neueinreichung entschieden. An dieser arbeite man gerade. „Das Forschungsteam und das PIK übernehmen die volle Verantwortung für die Versäumnisse, die zu dieser Rücknahme geführt haben“, heißt es in einer Mitteilung des PIK.
In einem zweiten Kommentar weist Christof Schötz von der TU München auf Schwierigkeiten mit subnationalen Daten an sich hin. Anders als von den Autoren angenommen, seien die Wirtschaftsdaten aus benachbarten Regionen nicht völlig unabhängig voneinander. Daher würde die Sicherheit in den Aussagen überschätzt. Schötz sagt, seine Analyse basiere auf denselben Informationen, die auch die Prüfer der Studie zur Verfügung hatten. „Von daher hätte das Problem im Peer-Review oder von den Autoren selbst auch vorher schon bemerkt werden können.“ Gleichzeitig sei es eine komplexe Arbeit, trotz Peer-Review bleibe eine Restwahrscheinlichkeit für Fehler. „Ich interpretiere das als unglücklichen Zufall, dass die Fehler so lange unentdeckt blieben.“
Gegner von Klimaschutz schlachten den Vorgang bereits aus
Leonie Wenz erklärt dazu, dass die räumliche Korrelation einzelner Regionen nun stärker in den Berechnungen berücksichtigt werde, verteidigt aber grundsätzlich die Verwendung möglichst regionaler Zahlen. Gerade in großen Ländern wie den USA oder Russland könnten sich Änderungen bei Niederschlägen oder Temperaturen sonst im Mittel ausgleichen, etwa wenn es in einer Region trockener, in der anderen nasser werde.
Schon im Juni 2024 wurde der Artikel um eine Korrektur zu einem fehlerhaften Zahlenformat ergänzt – an den Ergebnissen ändere sich aber nichts, so die Botschaft. Im August 2025 veröffentlichten die Autoren dann eine korrigierte Fassung des Manuskripts, die bislang nicht von Fachkollegen begutachtet wurde. Darin verändern die Forscher einzelne Zahlen: Statt weltwirtschaftlicher Schäden in Höhe von 19 Prozent bis 2050 gehen sie jetzt von 17 Prozent aus. Im Original hieß es außerdem, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent die Kosten des Klimawandels bis 2050 höher ausfielen als die Kosten seiner Bekämpfung. Diese Zahl wird auf 91 Prozent heruntergesetzt.
Doch auch das könnte noch nicht das letzte Wort gewesen sein. Laut Wenz ist die korrigierte Fassung vom August nicht diejenige, die schließlich erneut eingereicht werden soll. „Wir haben die Daten und den Code veröffentlicht, um den wissenschaftlichen Austausch darüber zu ermöglichen.“
Allerdings sind Rücknahmen von Studien eher die Ausnahme, bei Nature kam das in diesem Jahr insgesamt sechsmal vor, 2024 dreimal. Zumal es um ein Thema geht, das politisch höchst kontrovers ist. So hat die AfD-Fraktion in Brandenburg im September gefordert, die staatliche Förderung des PIK aufgrund des „weltweit wahrgenommenen Wissenschaftsskandals“ zu streichen. Tenor: Das PIK werde seit Jahrzehnten dafür kritisiert, „Alarmismus zu erzeugen“.
In der Aufregung geht leicht unter, dass auch die Forscher, die sich kritisch zu der PIK-Studie geäußert haben, grundsätzlich betonen, dass von der Erderwärmung große wirtschaftliche Risiken ausgehen. „Auch mit den Korrekturen kommen wir auf sehr ähnliche Ergebnisse wie vorher“, sagt Leonie Wenz. Solomon Hsiang von der Uni Stanford schreibt in einer E-Mail: „Unser Gesamtverständnis deutet nach wie vor darauf hin, dass der Klimawandel für die Weltwirtschaft mit hohen Kosten verbunden sein wird.“
