Rocky: 50 Jahre Einfluss auf Boxen und Filmgeschichte – Gesellschaft

Unzählige Boxer haben ihren Berufswunsch gefunden, nachdem sie einen „Rocky“-Teil gesehen hatten. Wegen seiner Verdienste ums Boxen wurde Sylvester Stallone als einer der wenigen Menschen, die nie professionell gekämpft haben, 2011 in die „Boxing Hall of Fame“ aufgenommen. Seit 50 Jahren quälen sich täglich Menschen die 72 Stufen des Philadelphia Museum of Art hinauf, um das Finale der legendären Trainingssequenz nachzuspielen, die in keinem Rocky-Film fehlen darf. Die trotzig in die Luft gereckten Fäuste wurden Symbol für Selbstbehauptung an sich, seitdem tausendfach kopiert.

Am Fuß der Treppe steht sogar eine „Rocky“-Statue, den Kennern der Filme aus Teil III, „Das Auge des Tigers“, bekannt, eine etwas schwülstige Stallone-Bronze aus den 1980er-Jahren. Stallone war nicht immer geschmackssicher, was seinen Helden angeht, es bilden sich im Stil auch die Jahrzehnte ab, in denen er seine Abenteuer zu bestehen hatte. Es war so geschehen schieres Glück, dass die ersten Teile in einer Zeit spielen, in der man noch in grauen Sweatshirts und Jogginghose trainierte, der Boxring noch nicht mit Werbung zugeklebt war, sondern rein auf das Spektakel konzentriert. Dass Rocky in Converse trainiert, hat der Marke bis heute Fans und stilistischen Kultstatus eingebracht, ausreichend gedämpft waren die Schuhe schon damals nicht.

Dass Rocky Balboa so tiefe Spuren in der echten Welt hinterlassen würde, konnte Sylvester Stallone natürlich nicht ahnen, als er sich die Geschichte des Underdogs ausdachte, in seinem billigen Apartment am Balboa Boulevard in Los Angeles, im Jahr 1975. Stallone war bereits 30 Jahre alt, ein fast schon gescheiterter Schauspieler, der aufgrund eines Behandlungsfehlers mit einer Geburtszange nicht vollständig Herr seiner Mimik ist. Ein Nerv wurde abgetrennt, er kann nur die Hälfte der Unterlippe bewegen. Das Nuscheln wurde erst später zu seinem Markenzeichen.

Stallone spielte in einem Erotikfilm mit, ergatterte eine Nebenrolle als U-Bahn-Rabauke in der Woody-Allen-Komödie „Bananas“ und hatte einen kleineren Erfolg mit dem Rockerfilm „The Lords of Flatbush“, der in Deutschland unter dem Titel „Das Gesetz der Gosse“ zu sehen war. Nebenher schrieb der Boxfan Stallone ein Drehbuch, basierend auf der Figur des US-Boxers Chuck Wepner, der im März 1975 gegen Muhammad Ali in den Ring stieg. Wepner galt im besten Fall als durchschnittlicher Boxer, kein Gegner für den selbsternannten „Greatest Of All Time“.

Das Wichtigste: Viel einstecken können! Das galt auch schon während der Dreharbeiten zum ersten Rocky-Film.
Das Wichtigste: Viel einstecken können! Das galt auch schon während der Dreharbeiten zum ersten Rocky-Film. (Foto: ROCKY, ROCKY BALBOA, CREED and all related ROCKY and CREED Trademarks, Logos and Materials ©1976–2018 Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. All Rights/ alle Bilder entnommen aus „Rocky, The Complete Films“ Taschen Verlag)

Wepner wurde wegen der vielen Treffer, die er stets einsteckte, und der Platzwunden, die sein Gesicht zeichneten, auch „Bayonne Bleeder“ genannt, doch er hielt blutend 15 Runden gegen den damals alle überragenden Ali durch. Es lag sogar der Hauch einer Sensation in der Luft, als Ali in der neunten Runde zu Boden ging, auch wenn das ein Ausrutscher des Champions war, nachdem Wepner ihm auf den Fuß getreten war. „Doch für einen kurzen Moment erwies sich dieser vermeintliche Stümper als großartig“, sagte Stallone später über seine Inspiration.

Nachdem Stallone diesen Kampf gesehen hatte, erdachte er in nur drei Tagen die universelle Geschichte des Underdogs Rocky, dessen größter Erfolg nicht der Sieg ist – sondern das Durchhalten selbst. „Wenn ich beim Läuten vom Schlussgong immer noch stehe, dann werde ich zum ersten Mal in meinem Leben wissen, dass ich nicht nur irgendein Penner, ein Niemand bin“, ließ Stallone seinen Helden sagen. Eine Metapher für den Lebenskampf an sich. So wurde Rocky zu einer Identifikationsfigur, auch für viele Frauen.

Stallone stattete seinen Helden mit allen Eigenschaften aus, die man Boxern im besten Fall nachsagen kann. Rocky hat das Herz am rechten Fleck, er ist hart im Nehmen, verfügt aber über einen weichen Kern. Sein Verstand ist nicht so gut trainiert wie sein Körper, aber trotzdem sollte man ihn nie unterschätzen. Er ist ehrlich und kann über sich selbst lachen. Wenn er mit seiner angebeteten Adrian auf die Eisbahn geht, fragt ihn die zarte Tierhändlerin, warum er boxt. Seine Antwort, eingegangen in den Kanon der größten Filmzitate: „Weil ich nicht singen und tanzen kann.“

Das war die Umdrehung eines Zitats des früheren Boxweltmeisters Jack Dempsey: „Ich kann nicht singen oder tanzen, aber ich kann jeden Mistkerl hier verhauen.“ Stallone, der als Drehbuchautor unterschätzt wird, studierte die Charaktere genau, die Boxen vor allem im vergangenen Jahrhundert zu einem Sensationsereignis machten, die Trainer, die Manager, die Sprüche. Wenn Rocky seinen Trainer Mickey in der Ecke fragt, wie seine gebrochene Nase aussieht, antwortet dieser: „Ach, es ist eine Verbesserung.“

Jogginhose, Sweatshirt, Converse-Schuhe - der Trainingslook von Rocky war zeitlos schön.
Jogginhose, Sweatshirt, Converse-Schuhe – der Trainingslook von Rocky war zeitlos schön. (Foto: ROCKY, ROCKY BALBOA, CREED and all related ROCKY and CREED Trademarks, Logos and Materials ©1976–2018 Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. All Rights/ alle Bilder entnommen aus „Rocky, The Complete Films“ Taschen Verlag)

Stallone amalgamierte den archetypischen Rocky aus vielen alten Kämpfern. Dabei gehört zur Heldenreise von Rocky auch, dass die Figur sich schon bei ihrer Entstehung wiederum mit ihrem Erfinder amalgamierte. Denn Sylvester Stallone, der in dieser Zeit nach eigenen Angaben so abgebrannt war, dass er sogar seinen geliebten Hund verkaufen musste, um sich etwas zu essen leisten zu können, weigerte sich, sein Drehbuch zu verkaufen, wenn er nicht selbst diesen Rocky spielen dürfe. Ein Underdog, der alles verkauft, nur nicht seinen Traum.

Das Filmstudio bot ihm schließlich 360 000 Dollar an, nur um Rocky nicht zu spielen. Doch am Ende knickten die Produzenten ein und gaben Stallone eine Million Dollar, um den Film zu drehen. Das war auch im Jahr 1976 ein sehr kleines Budget. Daher wurden viele Szenen einfach ohne Drehgenehmigung mit der Handkamera gefilmt, unter anderem der Rocky Run, der auf den Stufen des Museums endet. Der Obsthändler, der Rocky beim Joggen eine Orange zuwirft, ist echt. Übrigens auch der Hund, der ihn beim Laufen begleitet. Es war Stallones eigener Hund, den er zurückkaufen konnte, nachdem er das Geld für Rocky endlich bekommen hatte.

Mit einem Film zum ewigen Helden - Sylvester Stallone zog Rocky nahezu im Alleingang durch.
Mit einem Film zum ewigen Helden – Sylvester Stallone zog Rocky nahezu im Alleingang durch. (Foto: ROCKY, ROCKY BALBOA, CREED and all related ROCKY and CREED Trademarks, Logos and Materials ©1976–2018 Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. All Rights/ alle Bilder entnommen aus „Rocky, The Complete Films“ Taschen Verlag)

Die Nebenrollen wurden nicht mit großen Stars besetzt, sondern mit profilierten Nebendarstellern. Adrian, nach der Rocky am Ende im Ring ruft, weil Liebe eben doch wichtiger ist als ein Weltmeistergürtel, wurde von Talia Shire gespielt, der Schwester von Francis Ford Coppola, der sie 1972 bereits in „Der Pate“ besetzt hatte. Burt Young, ein ehemaliger Soldat, der in der Army geboxt hatte und der schon in vielen Filmen als gute Zweitbesetzung aufgefallen war, wurde als ihr permanent mies gelaunter Bruder Paulie besetzt. Der Trainer Mickey wurde vom großartigen Burgess Meredith gespielt, der zu dieser Zeit etwas in Vergessenheit geraten war.

Die Rolle von Apollo Creed, der Muhammad-Ali-Figur in den „Rocky“-Teilen I bis IV, übernahm der ehemalige American-Football-Spieler Carl Weathers. Weathers, der ein Anfänger vor der Kamera war, beschwerte sich nach den ersten Proben, dass er viel besser performen könnte, wenn man ihm einen echten Schauspieler gegenüberstellen würde. Sein Gegenüber war natürlich Sylvester Stallone, der diese, wie so viele Anekdoten rund um den Film, bis heute unermüdlich erzählt. So wie alte Boxer immer wieder von ihren großen Kämpfen berichten.

Die besten Szenen vor und hinter der Kamera und viel Erhellendes rund um die Filmreihe versammelt das Buch „Rocky. The Complete Films“, das im Taschen Verlag erschienen ist.
Die besten Szenen vor und hinter der Kamera und viel Erhellendes rund um die Filmreihe versammelt das Buch „Rocky. The Complete Films“, das im Taschen Verlag erschienen ist. (Foto: ROCKY, ROCKY BALBOA, CREED and all related ROCKY and CREED Trademarks, Logos and Materials ©1976–2018 Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. All Rights/ alle Bilder entnommen aus „Rocky, The Complete Films“ Taschen Verlag)

„Eine improvisierte Bewegung führte dazu, dass Carl danebenschlug und sich den Daumen brach“, wird Stallone in dem prächtigen Bildband zitiert, der nun zum 50. Jubiläum von „Rocky“ bei Taschen erscheint, „er hatte für den Rest des Kampfes große Schmerzen. Tatsächlich hatten wir beide für den Rest des Kampfes große Schmerzen.“ Ganz so, als hätten sie damals wirklich gegeneinander geboxt. Der Band zeigt Bilder aus den sechs Rocky-Filmen sowie von den Dreharbeiten. Es ist ein Panoptikum dieser Zeit, die aus heutiger Sicht ein wenig lässiger wirkt, als sie tatsächlich war. Die schmalen Hosen, die großen Frisuren. Dabei ist eine Auffälligkeit der frühen Rocky-Filme, wie schlecht das Boxen selbst aussah, im Vergleich zu „Wie ein wilder Stier“ beispielsweise, der Arthouse-Variante der Geschichte, die 1980 von Martin Scorsese gedreht wurde – eine Folge des Rocky-Hypes.

Die Legendenbildung rum um Rocky will es, dass der Film bei einem ersten Screening vor der „Director’s Guild“, also etwa 900 Profis in Hollywood, nicht gut ankam. Beim Publikum aber schlug er, Pardon, sofort ein. Die Aufrichtigkeit, der Humor, die Schweinehälften, dieser rührend nuschelnde Simpel, der nur ein kleines Stück vom Glück für sich erkämpfen möchte. Bald wurde klar, dass Stallone einen Nerv getroffen hatte, der dazu führte, dass „Rocky“ im Jahr 1976 der große Überraschungshit wurde, ein kleiner Film, der schließlich mehr als 220 Millionen US-Dollar einspielte und 1977 drei Oscars gewann. Unter anderem für den besten Film.

Sylvester Stallone selbst ging leer aus, sowohl als Hauptdarsteller wie auch als Drehbuchautor, wurde aber von großem Jubel der Hollywood High Society auf die Bühne begleitet, als sein Werk gegen „Taxi Driver“, „Die Unbestechlichen“ und „Network“ gewann. Jack Nicholson übergab die Statue an die Produzenten. Zum Dank sagte Stallone: „An alle Rockys dieser Welt – ich liebe euch.“ Es war die Geburt eines Franchise, das bis heute in den Filmen der „Creed“-Serie andauert und Stallone zu einem der letzten großen Hollywood-Stars machte, mit allen Höhen und Tiefen, die sein Leben parallel zu seiner Figur durchlief.

Rocky war und ist einfach nicht totzukriegen, auch wenn Stallone es zumindest mit dem fünften Teil mit aller Energie versucht hat. Nur um dann mit dem sechsten Teil, den er nur noch „Rocky Balboa“ nannte, wieder zum Kern seines eigenen Märchens durchzudringen. Er musste erneut mit kleinem Budget drehen, weil kein Studio mehr an ein Comeback der Figur glaubte. Es kam anders. „Es geht nicht darum, wie hart du zuschlagen kannst, sondern darum, wie viele Schläge du einstecken kannst und trotzdem weiterkämpfst“, lässt der gealterte Stallone den gealterten Rocky sagen. Wer will da widersprechen?

Der dritte Teil der „Creed“-Filme war 2023 der erste der Serie, in dem Rocky, also Stallone, der die Rechte an seiner Figur 1976 verkauft hatte, nicht mehr mitspielte. Die Serie hat sich von ihm entfernt oder er sich von ihr. Es gehört zu den weniger schönen Aspekten des Lebens, dass die Helden der Kindheit manchmal schlecht altern. Sylvester Stallone, der im kommenden Jahr 80 wird, hatte bereits in „Rocky IV“ und „Rambo“ II und III gezeigt, dass er ein „Make America Great Again“-Mann sein könnte. In einem Netflix-Feature über sein Leben meckerte er kürzlich darüber, dass die jungen Leute heute alle keinen Biss mehr haben. Nun soll er für die Trump-Regierung dafür sorgen, dass Hollywood von Wokeness befreit wird.

Amerikanischer Traum? Mittlerweile steht Sylvester Stallone auf Seiten der Trump-Regierung.
Amerikanischer Traum? Mittlerweile steht Sylvester Stallone auf Seiten der Trump-Regierung. (Foto: ROCKY, ROCKY BALBOA, CREED and all related ROCKY and CREED Trademarks, Logos and Materials ©1976–2018 Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. All Rights/ alle Bilder entnommen aus „Rocky, The Complete Films“ Taschen Verlag)

Das alles sollte man Rocky nicht übel nehmen, diesem Alltagshelden für alle. Auch heute noch steigt in jedem Gym der Welt die Schlagzahl, wenn die Fanfaren der Rocky-Melodie „Gonna Fly Now“ aus den Boxen scheppern. Die Rocky-Geschichte, also nicht nur die des Boxers, sondern auch die vom jungen Stallone, bleibt eine Inspiration und wird derzeit von Peter Farelly verfilmt, der früher mit „Dumm und Dümmer“ und „Verrückt nach Mary“ große Erfolge feiern konnte. „I Play Rocky“ soll zum 50-jährigen Erscheinen des Originals in die Kinos kommen. Ein Film über einen Schauspieler, der nicht aufgibt, einen Boxer spielen zu dürfen, der nicht aufgibt – mehr Märchen geht nicht.