EuGH entscheidet zu Fake-Möbeln: Kann dieser Schrank Kunst sein?

Wer einen USM-Haller-Couchtisch vor sich sieht, hat es nur mit dem kleinsten Teil einer großen Idee zu tun: Der Architekt und Schöpfer des Möbelsystems aus verchromten Rohren und bunten Flächen, Fritz Haller, beschäftigte sich in größerem Umfang mit Modularität.

Er dachte über modulare Stadtstrukturen nach, groß genug für die ganze Weltbevölkerung. Auch das Werk des Herstellers im Schweizer Kanton Bern wurde nach seinen Ideen errichtet und wie das bekannte Möbelsystem in modularer Bauweise mehrmals erweitert.

Schnell ist aus der raumlangen Regalwand eine kaskadierende Regal-Landschaft zusammengesteckt oder ein paar kubische Aufbewahrungsinseln, die wie Eisberge durchs minimalistische Industrie-Loft treiben. Leider verhält es sich mit diesen Möbeln auch genau wie mit Lego in Kinderhand: Um Visionen zu verwirklichen, braucht es viel Material. Und soll die Landschaft aus USM-Haller-Bauteilen entstehen, ist dieses Material ganz schön teuer.

Populär und imitiert

Günstiger geht es anders: Die Popularität des Designklassikers zeigt sich in der Zahl der Imitate auf Onlineplattformen. Eine Suche nach „USM Haller Dupe“ etwa führt direkt zu Tchibos augenscheinlichem Imitat „Sideboard CN3“. Die chinesische Handelsplattform Alibaba bietet ein „Modulares Organizer-Schranksystem“ für Büro, Zuhause und Gewerberäume an, das auf einem Bild nicht vom Schweizer Vorbild zu unterscheiden ist – dabei aber nur Bruchteile kostet.

Das Nürnberger Unternehmen „Konektra“ bietet neben anderen zu USM Haller kombinierbare Bauteile und Montagen an: Ersatzteile und Ergänzungen für Regale des Schweizer Herstellers. Seit 2019 brennt deswegen ein Gerichtsstreit. Aus den Ersatzteilen ließe sich ein komplettes Regal bauen, argumentierte USM.

Kunst oder Gebrauchsgegenstand?

Der Fall zog vom Düsseldorfer Landgericht über das Düsseldorfer Oberlandesgericht (OLG) bis zum Bundesgerichtshof, der 2023 den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Klärung einiger Begriffe ansuchte.

Dass die Gerichte sich jeder möglichen Hilfe der höchsten Instanz bedienen, verwundert nicht: Generalanwalt Maciej Szpunar schreibt in seinem Schlussantrag von Dilemmata, die der Schutz geistigen Eigentums von Werken an der Grenze zwischen „reiner“ Kunst und Gebrauchsgegenstand aufwerfen, weil sie beides sind. Die Beurteilung sei notwendig teilweise subjektiv – was mit dem Selbstverständnis eines Richters auf Kollisionskurs liegt.

Und so kann der EuGH das Dilemma naturgemäß auch nicht auflösen, aber zumindest eine europaweit harmonisierte Vorstellung des Urheberrechtsschutzes formulieren. Fraglich war vor allem, unter welchen Voraussetzungen Gebrauchsgegenstände solchen Schutz erfahren können.

Entscheidung des EuGH

Nun hat der EuGH ein Urteil gesprochen, allerdings ohne die Rechtsstreitigkeit final zu klären. Nicht die Idee, sondern die Ausdrucksform, das sichtbare Ergebnis sei entscheidend. Darin müsse sich die Persönlichkeit der Ur­he­be­r*in widerspiegeln und ihre freien kreativen Entscheidungen erkennbar sein, die sich nicht aus technischen Notwendigkeiten ergeben.

Womit man wieder bei gewissen subjektiven Spielräumen wäre. Für Möbelgestalter ist mit Urheberrechtsschutz also schwer zu kalkulieren. Wer sichergehen will, muss die eigenen Designs als eingetragenes Geschmacksmuster anmelden.

Für USM Haller wird sich zeigen, was die deutschen Gerichte damit anfangen. Das OLG hatte – anders als zuvor das Landgericht – in den Regalen kein urheberrechtlich geschütztes Werk der angewandten Kunst erkannt. Die Gestaltung sah es als wesentlich technisch determiniert und insofern nicht als frei kreativ an.

Im Februar hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass Birkenstock-Sandalen nicht unter den Urheberrechtsschutz von Kunstwerken fallen. Birkenstock konnte nicht belegen, dass die Sandale ausreichend auf künstlerischen Erwägungen beruhe.