In London: Steinmeier sieht neue Gemeinschaft nach Brexit

Der Bundespräsident hat in London vor Abgeordneten aus beiden Kammern des Parlaments die Partnerschaft mit Großbritannien beschworen. Er beteuerte, das Vereinigte Königreich bleibe auch nach dem Brexit ein wichtiger Verbündeter im Kampf der westlichen Demokratien gegen „das Wiederaufleben imperialer Ambitionen“. Frank-Walter Steinmeier beschrieb das Zusammenwirken der drei größten europäischen Mächte Deutschland, Großbritannien und Frankreich, auch „E 3“ genannt, als „Nukleus“, der schon „viele außenpolitische Dossiere“ gemeinsam bearbeite; dabei nannte Steinmeier Iran, den Nahen Osten und die Ukraine als Beispiele.

Der Bundespräsident richtete in der Royal Gallery einen dramatischen Appell an die Repräsentanten beider Länder, der ihm am Ende langen stehenden Beifall einbrachte. Es war ein Aufruf zur Verteidigung von Demokratie, Freiheit und westlichen Werten, der Amerika nicht ausdrücklich einschloss. Im Gegenteil: Steinmeier sagte, er sei dankbar, dass sein Staatsbesuch in eine parlamentarische Sitzungswoche falle und ihm damit die Gelegenheit gebe, im Parlament zu sprechen. Dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump, der im September mit einzigartigem protokollarischem Pomp in London bewirtet wurde, war diese Möglichkeit wegen einer kurzen parlamentarischen Sitzungspause verwehrt geblieben.

Steinmeier umriss die europäische Wertegemeinschaft mit den Worten, die Demokratie habe „unseren Kontinent stark gemacht“ und über Jahrzehnte hinweg Wohlstand, Freiheit und Frieden gesichert. Doch heute sei sie in Gefahr: „Wir erleben direkte Angriffe auf unsere Demokratien, von innen und von außen.“ Autokraten würden stärker, sie nutzten Desinformation als Waffe, sie versuchten, unsere Gesellschaften zu spalten. „Sie säen Zweifel, an unseren Institutionen, an unseren Werten, an der Demokratie selbst.“ Auch die Freiheit sei in Gefahr. Der Angriff Russlands auf die Ukra­ine sei ein „Angriff auf die Ordnung, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa aufgebaut haben“. Steinmeier forderte, „wir müssen gemeinsam einstehen für das, was uns ausmacht“, und er beteuerte, „wir lassen uns nicht auseinanderdividieren“.

Steinmeier zitiert Oasis

Dieses neue Gemeinschaftsempfinden relativiert nach Ansicht Steinmeiers auch Unverständnis und Unsicherheiten, die durch den EU-Austritt Großbritanniens entstanden sind. Die neuen Verträge des Vereinigten Königreiches mit Brüssel und Berlin hätten zu Erleichterungen im Handel und zu neuen Partnerschaften in der Energie- und Klimapolitik geführt, auf dem Feld von Sicherheit und Verteidigung sei die Kooperation enger als je zuvor.

Am Abend bekräftigte die Bürgermeisterin der City of London Steinmeiers Worte im Parlament. Sie war nach dem von König Charles III. am Mittwoch gegebenen Staatsbankett am Donnerstag die zweite Gastgeberin des Bundespräsidenten. „Lady Mayor“ Dame Susan Langley, deren Funktion vor allem die der wichtigsten Repräsentantin der Londoner Finanzwelt ist, lobte die abgeschlossene Verteidigungspartnerschaft und mahnte zugleich, „jetzt müssen wir sie auch verwirklichen“. In den gegenwärtigen geopolitischen Stürmen „können wir uns den Luxus von Verzögerungen nicht leisten“, es dürfe zwischen Deutschland und Großbritannien „keinerlei Barrieren mehr“ geben.

Steinmeier beendete seine Rede im Parlament mit einer Liebeserklärung an „meine lieben Briten“, an ihre Fußballvernarrtheit, an britische Popmusik, an ihren Pragmatismus und „an die Fähigkeit, auch in schwierigen Zeiten einen kühlen Kopf zu bewahren“. Er zitierte den Titel der Popband Oasis, „Don’t look back in anger“ – blicke nicht zurück im Zorn.

Dann warf er doch einen Blick zurück in die Geschichte; er erinnerte an die beiden Panoramagemälde an den Wänden des Festsaales, von denen eines Lord Nelsons Sieg in der Seeschlacht von Trafalgar über die Franzosen zeigt, das zweite die Begegnung der britischen und preußischen Feldmarschälle Wellington und Blücher bei Waterloo nach der endgültigen Niederwerfung Napoleons. Diese Bilder zeugten davon, „dass starke Bündnisse Geschichte schreiben können“, sagte der Bundespräsident, und schloss einen dreifachen Auftrag an: „Wir verteidigen die Demokratie, wir verteidigen die Freiheit, wir stehen zusammen – als Verbündete, als Partner, als Freunde.“