Videokonferenzen: Technische Probleme beeinflussen Vertrauen – Wissen

Das ganze Team hat sich versammelt und wartet gespannt auf den Auftritt der neuen Chefin, die sich online zugeschaltet hat. Sie wirkt sympathisch. Doch als sie gerade erklären will, was sie alles vorhat, verpixelt ihr Gesicht. Kurz ist sie noch mal wie aus weiter Ferne zu hören: „Entschuldigung … Internet … Mist!“ Dann ist nur noch ihr verzweifeltes Gesicht zu sehen, das auf dem Bildschirm eingefroren ist.

Dass solche technischen Probleme bei Videokonferenzen nicht nur harmlose Missgeschicke sind, sondern äußerst negative Konsequenzen haben können, haben US-Wirtschaftspsychologen nun in einer Studie gezeigt, die in der Fachzeitschrift Nature erschienen ist. Demnach wirken Menschen, bei denen während einer Videokonferenz die Verbindung zusammenbricht, wenig vertrauenswürdig. Sie werden seltener eingestellt und seltener auf Bewährung entlassen.

Das schließt das Team um Melanie Brucks von der New Yorker Columbia University aus einer ganzen Serie von Experimenten. In einem davon zeigten die Forschenden mehr als 3000 Probandinnen und Probanden Videos von Bewerbungsgesprächen. Am Ende sollten die Frauen und Männer eine Empfehlung abgeben. „Technische Störungen während des Jobinterviews reduzierten die Wahrscheinlichkeit, dass die Probanden empfahlen, einen Bewerber einzustellen“, heißt es in einer Presseerklärung von Nature.

In einem anderen Experiment inszenierten die Wissenschaftler Online-Gesundheitsberatungen mit und ohne technische Störungen. Das Ergebnis war eindeutig: 77 Prozent der knapp 500 Probanden, die an diesem Experiment teilnahmen, gaben nach einer unfallfreien Beratung an, dass sie den Online-Arzt vertrauenswürdig fänden. Fror das Bild während der Beratung ein, fanden nur 61 Prozent den Mediziner seriös.

Schließlich werteten die Wissenschaftler noch 472 echte Online-Anhörungen vor Gericht aus, in denen es darum ging, ob ein Angeklagter ins Gefängnis musste oder auf Bewährung freikam. Wenn die Technik funktionierte, bekamen 60 Prozent der Täter Bewährung. War das nicht der Fall, waren es nur 48 Prozent.

Das ist den Autoren zufolge insofern überraschend, als die meisten Menschen technische Störungen, die etwa bei jeder dritten Videokonferenz auftreten, als „harmlose Belästigungen abtun“. Unbewusst lassen sie sich aber offensichtlich doch stark davon beeinflussen, wenn das Gesicht des Gegenübers plötzlich verschwimmt, Ton und Mimik nicht mehr zusammenpassen oder die Stimme klingt, als käme sie aus einer fernen Galaxie.

Woran liegt das? Vermutlich an der Empfindung „Uncanniness“, glauben die Forschenden. Der Begriff, für den es keine treffende deutsche Übersetzung gibt, beschreibt das Gefühl, das man bekommt, wenn etwas Seltsames, irgendwie Unnatürliches passiert.

Das Konzept der Uncanniness kommt aus der Robotik. „Wenn ein Roboter zunächst menschlich erscheint, sich aber dann doch nicht-menschliche oder mechanistische Attribute erkennen lassen, dann löst dies ein unheimliches Gefühl aus“, sagte die deutsche Wirtschaftspsychologin Lisa Handke der Wissenschaftsagentur Science Media Center.

Anders formuliert, beschleichen Gesprächspartner offenbar unbewusst Zweifel, ob es wirklich ein Mensch ist, mit dem sie sich da gerade unterhalten haben. Und eine Roboterfrau möchten die meisten lieber nicht als Chefin haben.