

Frau Dörschel, Sie sind seit 30 Jahren Kreativdirektorin des Einrichtungsunternehmens Lambert. Wie sah ein typisches Wohnzimmer in Deutschland aus, als Sie angefangen haben?
Ich fürchte, da handelte es sich damals immer noch um Sofa, zwei Sessel, Couchtisch, Schrankwand.
Und der Fernseher war so gerichtet, dass man vom Sofa aus gut gucken konnte.
So war die Masse eingerichtet. Aber auch schon zu der Zeit war das nicht mehr die Lambert-Klientel. Das waren eher Individualisten, die viel gereist sind und sich vom Durchschnitt absetzen wollten.
Wie viel Interesse hatten die Deutschen damals an Ihrer Einrichtung?
Am echten Design? Das war eine marginale Gruppe. Da gab es Kenner, aber die Menge der gehobenen Käuferschicht war weniger am Design an sich interessiert als an einer Stilrichtung. Viele haben auch darauf vertraut, dass ihnen jemand, der guten Geschmack und Stil hat, das abnimmt. Und das war zu der Zeit die große Chance von Gunther Lambert.
Er hat das Unternehmen 1967 gegründet. Die Neunzigerjahre waren für Lambert die Zeit des größeren Wachstums, bevor er das Unternehmen im Jahr 2000 verkaufte.
Gunther Lambert kam damals auch mit seinen Coffeetable-Books heraus, so etwas gab es zu der Zeit kaum. So haben die Leute diese Welt kennengelernt und angenommen. Lambert kam übrigens – wie ich – ursprünglich aus der Mode. Er hat einmal Hemden verkauft. Ich habe zuvor für Premiumfirmen gearbeitet. Aber irgendwann hatte ich die Nase voll davon. Aus der Mode war ich rausgewachsen.
Wie war die Umstellung von Mode auf Design?
Massiv. Ich bin ein gründlicher Mensch, ich mag nicht mitreden, wenn ich gar nichts davon verstehe. Bei einer Freundin, die Keramikerin ist, habe ich dann gelernt, wie man Keramik macht. In einer Schreinerei habe ich den ersten Tisch selbst gebaut. Ich wollte wissen, worauf es ankommt, bevor ich so vermessen bin, in eine andere Branche zu wechseln. So sagte Gunther Lambert irgendwann: Dörschel, wäre das nichts für dich?
Und dann sind Sie Chefdesignerin geworden?
Leiterin der Produktentwicklung. Das war ein großer Schuh.
Haben Sie sich unsicher gefühlt?
Jein, ich denke immer: Das mache ich jetzt einfach. Ich habe viel von Gunther Lambert gelernt und hatte die Chance, häufig auf Reisen zu gehen. In Indien habe ich dann zum Beispiel in den Fabriken an der Entwicklung mitgearbeitet, dadurch habe ich viel über die Technik gelernt. Ich war in Vietnam und zu Zeiten in China, als das Land noch spannend war. Auf der Guangzhou-Messe bekam man alles durcheinander. Als ich da zum ersten Mal mit Gunther Lambert war, wollte ich ihn aus der Halle zerren, da standen nur Traktoren und Erntemaschinen herum. Und dann wies er mich darauf hin, dass sich dazwischen doch kleine Körbe und Holzschachteln befanden, die hatten die Hersteller aus ihren Gegenden mitgebracht. Heute ist diese Messe perfekt organisiert. Dafür gibt es dort weniger Handwerksbetriebe und mehr Massenmarkt.
Was haben Sie gemacht, wenn Sie so einen Korb gefunden hatten?
Den haben wir dann dort produziert. Das war manchmal die Hölle, damals gab es noch keine E-Mails, Telefonate nach China waren schwierig, und bis Faxe durchgingen, dauerte es 100 Jahre. Ich weiß noch, wenn ich manchmalFaxe nach Indien schicken musste, gab es auf der anderen Seite immer wieder Stromausfälle. Da saß ich manchmal bis 21 Uhr da, weil mein Fax nicht durchging.
Und dann hat man auf Antwort gehofft?
Ja, da konnte man manchmal nur hoffen. Und dann hat man auch gehofft, dass die Muster so rauskamen, wie man sich das gedacht hat. Heute schicke ich alles per E-Mail, bekomme Fotos zurück und kann schnell per Facetime mit den Leuten direkt kommunizieren.
Und damals kamen dann Prototypen zurück?
Genau. Wir haben einmal Betten aus Indonesien für die Möbelmesse in Köln bekommen, die hatte unser Zeichner in der technischen Zeichnung versehentlich zu kurz gezeichnet. Wir mussten dann die Matratzen absäbeln.
Wie viele Produkte haben Sie damals entwickelt?
Pro Jahr haben wir ungefähr 150 Produkte eingeführt. Heute sind es mehr.
Vom Teelichthalter bis zum Teewagen. Entwerfen Sie das alles?
Entwerfen ist bei mir nicht die erste Ausrichtung, wir arbeiten mit anderen Designern, haben ein Design-Team in Indien, denen gebe ich Briefings und Lookbooks, korrigiere die Zeichnungen und mache mehr oder weniger Design-Coaching, bis wir das Resultat haben. Eine Vase hast du relativ schnell stehen, aber ein komplexer Schrank dauert länger.
Indien ist Ihr Hauptstandort für die Fertigung?
Nicht nur, wir produzieren auch so viel wie möglich in Europa, das hat immer damit zu tun, wo es die beste Leistung gibt. Es gibt aber viele Bereiche, die in Europa nicht mehr machbar sind, weil hier heute das Knowhow und die Fabriken fehlen. Oder wenn, dann sind es so kleine Betriebe, dass die Produkte immens teuer werden würden. In China produzieren wir sehr wenig, insgesamt in Asien aber sehr viel.
Design ist sicher nicht so schnelllebig wie die Mode. Trotzdem: Welche Einrichtungstrends haben Sie kommen und gehen sehen?
Es gibt immer Schlagworte, nach denen wir uns aber gar nicht stark ausrichten. Vieles wiederholt sich auch. Zum Beispiel gab es einmal das East-meets-West-Thema, was sich heute Japandi nennt. Eigentlich ist es ganz ähnlich, es ist nur noch etwas cleaner und nüchterner geworden. Lambert hat sich immer gerne an Vertrautem orientiert. Wir sind viel auf Flohmärkten unterwegs gewesen, Clignancourt in Paris zum Beispiel, das war ein Lieblingsmarkt, den ich mindestens zweimal im Jahr besuchen musste. Da fanden wir immer etwas, zum Beispiel eine Lampe, die uns dann Inspiration gab. Mal waren es Details, mal Stilrichtungen, die sich gut in die heutige Zeit weiterentwickeln ließen.
Welche Flohmärkte finden Sie noch gut?
In Brüssel bin ich bis heute gerne, da gibt es zweimal im Jahr den phantastischen Brussels Design Market. Früher war Amsterdam immer eine Fundgrube, aber das ist inzwischen grauenhaft touristisch geworden.
Was ist mit Tongern in Belgien?
Der ist viel romantischer. Selbst früher war das nicht Lambert.
Welche Stücke, hinter denen Sie stehen, sind richtig gut gelaufen?
Der Lobby-Sessel verkauft sich zum Beispiel kontinuierlich. Oder das Küchenkaro . . .
Ein Muster in Blau-Weiß auf Keramikstücken.
Das liebe ich, allein weil die Entstehung so prägend war: Da saß ich in der Keramikwerkstatt in Vietnam und habe alle Linien eingezeichnet.
Sie sind jetzt mehr als 70 Jahre alt. Warum arbeiten Sie immer noch?
Ich kenne ganz viele Kreative, die noch sehr lange arbeiten. Das gehört einfach zum Leben dazu. Ich könnte mir nicht vorstellen, immer nur im Café zu sitzen. Ich sitze mittlerweile lieber und häufiger im Café als früher, aber ganz aufzuhören, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich lebe lieber im Heute als im Gestern.
