Muttis Stollen, Schweinis Saugroboter – Gesellschaft

Spitznamen haben ja oft eine humorvoll-zärtliche Note, aber sie sind gerade in Deutschland nicht immer nur liebkosend gemeint. Das gilt vor allem auf dem Boulevard, wo prominente Zeitgenossen regelmäßig einer Schrumpfkur unterzogen werden. Aus dem hoffnungsvollen Bayern-Jungstar Bastian Schweinsteiger wurde recht früh der Schweini, das passte einfach zu diesem sympathischen Herzbuben im Mittelfeld. Fans liebten die Abkürzung genauso wie Journalisten auf der Suche nach der knappsten Schlagzeile. Zum Schweini gab’s dann praktischerweise noch einen volksnahen Poldi, vier Beine für ein Halleluja.

Längst ist der Fußballweltmeister von 2014 ein erfolgreicher Geschäftsmann, der mit seinen graumelierten Haaren für Online-Portale oder Saugroboter Werbung macht – aber sein jüngeres Ich hat er immer noch nicht ganz abstreifen können. Eine Meldung in Bild aus dieser Woche: „Ana Ivanović reicht die Scheidung von Schweini ein“ – als ob der Mann immer noch beim FV Oberaudorf kicken würde!

Mit Spitznamen ist es wie mit Rostflecken: Man wird sie nur schwer wieder los, und je bekannter eine Person ist, desto hartnäckiger bleiben sie haften. Boris Becker ist gerade im zarten Alter von 58 ein fünftes Mal Vater geworden, seine physische Erscheinung legt nahe, dass er sich allmählich anschickt – wie einst der Monaco Franze –, ein seriöser älterer Herr zu werden. Und trotzdem gibt es im öffentlichen Bewusstsein immer noch das „Bobbele“, den dreifachen Wimbledon-Gewinner mit Flausen im Kopf, der jetzt wieder brav Kinderwagen schiebt und am Windeleimer hantiert. Aber warum sollte es Becker anders gehen als dem Komiker Dieter Hallervorden, dem ewigen Didi? Hallervorden, 90, kann noch so viel Molière spielen in seinem Berliner Theater – das „Palim, Palim“ und die Kuh Elsa wird er nie mehr los.

Während diese Spitznamen grundsätzlich freundlicher Natur sind, schwingen bei der Bezeichnung „Mutti“ für Angela Merkel nicht nur Wärme, sondern auch Spott und Herablassung mit. In dieser Woche etwa war die Altkanzlerin in Sachsen bei Ministerpräsident Michael Kretschmer zu Gast. Merkel und Kretschmer hatten sich zur adventlichen Dröhnung einen Dresdner Stollen vorgeknöpft, die frühere CDU-Chefin schnitt höchst fachkundig ein paar Stücke ab – und bereits das war für einige Kommentatoren im Netz wieder Grund zur Schnappatmung. Es gab neben dem üblichen Instant-Hass allerdings auch jede Menge Herzchengesichter: „Mutti, wir brauchen dich“, schrieb ein junger Mann.

Und das ist doch schön: wie aus der abschätzigen Bezeichnung eines rivalisierenden Parteifreunds, der Merkels Aufstieg Anfang der Nullerjahre gerne verhindert hätte (wer das genau war, hat Merkel nie verraten) ein Ehrentitel geworden ist.