Donald J. Trump ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der momentan mächtigste Mann dieser Welt, und mit höchster Wahrscheinlichkeit ist er der momentan bekannteste. Was Trump macht oder sagt und warum er dies tut, verdient von daher unbedingt Beachtung und Betrachtung, einerseits. Andererseits: Sind alle Betrachtungen nicht Zeitverschwendung, da Trump ein Mensch ohne Geheimnisse ist?
Die Existenz von Kellerleichen in Mar-a-Lago oder von kompromittierenden Einträgen in den Epstein-Akten soll damit nicht ausgeschlossen werden. Trumps Charakter jedoch, sein Antrieb zu allem privaten und – falls man das so nennen mag – politischen Handeln dürften sich schon Kleinkindern erschließen. Der Mann kreist ausschließlich um sich selbst, und er erwartet, dass der Rest der Welt sich seiner Umlaufbahn anschließt.
Das Phänomen Trump kann nur ein Fernsehkritiker verstehen
Man könnte sagen: Trump ist ein offenes Buch – klänge das nicht so abwegig bei jemandem, der kaum liest. Mit mehr Recht ließe sich Trump als offener Kanal bezeichnen, als jemand, der ohne Unterlass auf Sendung und dabei Medium und Botschaft zugleich ist. Trump ist mit dem Fernsehen groß und mit ihm eins geworden: Das schreibt James Poniewozik in seinem Buch „Alle Scheinwerfer auf mich!“, einer weiteren Trump-Exegese, die sich im Unterschied zu vielen anderen dadurch auszeichnet, dass ihr Autor vom Fach ist: Er ist Fernsehkritiker.

16 Jahre lang hat er für „Time“ geschrieben, seit zehn Jahren ist er Chefkritiker der „New York Times“ und steckt als solcher nicht im Korsett des Politjournalismus, der sich verpflichtet fühlen mag, bei Trump nach Spuren ideologischer Überzeugungen zu suchen. Stattdessen hat Poniewozik eine Doppelbiographie verfasst – des amerikanischen Fernsehens und des Mannes, der im und für das Fernsehen lebt.
„Audience of One“, der Originaltitel des Buchs, fügt noch einen Aspekt hinzu, denn Trump will nicht nur permanent im Scheinwerferlicht stehen, er will sich dabei auch permanent sehen. Ein Präsident als Programmdirektor, der sich selbst sein wichtigster Zuschauer ist, und wer von ihm wahrgenommen werden will, der wendet sich an ihn via Fernsehschirm. „Menschen waren realer, wenn er sie im Fernsehen sah“, schreibt Poniewozik, „sogar Menschen, die er jeden Tag persönlich traf.“
Auch wenn James Poniewozik, dies ist das Los eines Trump-Biographen, allerlei Bekanntes auflistet, die parallele Entwicklung zwischen dem Mann und dessen liebstem Medium arbeitetet er in bestechender Schärfe heraus. Als durch das Kabelfernsehen das einheitsstiftende Lagerfeuer erlosch und sich die Zielgruppen atomisierten, wurden polarisierende Figuren populärer.
Diskurs wurde zu „Schaukampftheatralik“
Trump gab den Geschäftsmann beziehungsweise das, was sich das Publikum darunter vorstellte, nämlich „die einprägsamste Popkultur-Karikatur des Reichtums neben dem Monopolymann“, willig unterstützt vor allem von NBC. Vierzehn Staffeln lang war er dort „der Moderator, die Jury, der Star und der Hauptgewinn“ der Show „The Apprentice“, die nur erfolgreich sein konnte, wenn man Trump selbst den Erfolg abkaufte. Der perfektionierte hier seine Masche, die „echteste“ Version seiner Selbst zu sein, was laut Poniewozik nicht „ehrlich“ bedeutet, sondern ungefiltert und unterhaltsam.
Sender wie Fox News kleideten jeglichen Diskurs in eine „Schaukampftheatralik“. Hatte CNN daran gearbeitet, die News aufregender zu machen, lautete die Fox-Mission: „das Publikum aufgeregter machen“. Zu seinem neuen Liebling erkor das Fernsehen den Antihelden, den in der Fiktion etwa Tony Soprano und im Reality-TV Donald Trump verkörperten. Letzterer bot ein Spektakel „wie ein Flugzeug, das jeden Tag abstürzte“, und schaffte es paradoxerweise, das zersplitterte Publikum wieder zu vereinen: „In einer Zeit Tausender Kanäle war er das eine Programm, das alle sahen.“
In Amerika ist Poniewoziks Buch 2019 erschienen. Dass es nach so langer Zeit, erweitert um ein Vorwort des Autors, bei uns erscheint, ist ungewöhnlich, doch ergibt Sinn, ist seitdem doch Entscheidendes passiert, nämlich eine weitere Präsidentschaftswahl. Die zweite Staffel „Trump“, welche das Biden-Interregnum, wie Poniewozik treffend schreibt, wie eine Sommerpause wirken lässt, ist noch greller und ungeheuerlicher und enthält schockierende Szenen wie Selenskyjs Demütigung durch die Mobster Trump und Vance im Weißen Haus, für welche der Hauptdarsteller sich selbst mit den Worten lobte, man habe gerade „großartiges Fernsehen“ erlebt.
Wartet eine dritte Staffel Trump? Oder etwas neues?
Zu behaupten, für die Eindeutschung des Buchs seien sechs Jahre Zeit gewesen, wäre gewiss – um einen Trump’schen Lieblingsbegriff zu bemühen – unfair. Einige Fehler in der Übersetzung (oder im Original) aber erwecken den Eindruck, es habe am Ende recht schnell gehen sollen.
So tauchen im Buch auf: Johnny Carsons (richtig: Carson), John Hughs (Hughes), Carl Ichan (Icahn) und Der (!) Barrymore (Drew Barrymore). „Bedtime for Bonzo“ mit dem späteren Präsidenten Reagan war keine Fernsehserie, sondern eine Filmkomödie, die „Sketch-Komikerin“ Dana Carvey ist ein Komiker, Brandon und Brenda Walsh aus „Beverly Hills, 90210“ waren kein „Paar aus Minnesota“, sondern Zwillingsgeschwister, und der erste „Superman“-Film mit Christopher Reeve kam 1978 heraus, nicht 1987. So etwas ist misslich in Zeiten, in denen Trump-Kritikern noch kleinste Fehler vorgehalten werden – während Trump selbst lügen darf wie gedruckt. Oder wie gesendet.
Sofern er keine dritte Staffel durchdrückt, dürfte mit Trumps Präsidentschaft auch die Ära des Fernsehens, wie wir es kannten, ihr Ende finden. Doch danach könnte es noch schlimmer kommen. Die Deutungshoheit auf Social Media haben die Rechtspopulisten längst erobert, und mithilfe von KI können sie noch leichter und effektiver an ihrer eigenen, düsteren Wirklichkeit arbeiten.
James Poniewozik: „Alle Scheinwerfer auf mich!“. Die Geburt Donald Trumps aus dem Fernsehen und der Zerfall Amerikas. Aus dem Englischen von Clara Schilling und Sean Carty. Edition Tiamat, Berlin 2025. 424 S., br., 32,– €.
