Eltern-Kolumne „Schlaflos“: Ohne Kinder noch ein Paar?

Mein Freund Michael hat vor Kurzem seine Frau verlassen. Er hat mit einer Jüngeren aus dem Job angebandelt und ist von Jetzt auf Gleich ausgezogen. Der Klassiker. Hört man oft, und es passiert auch oft, aber am besten nicht einem selbst, sondern anderen. Michael und seine Frau Claudia haben zwei Kinder, sieben und sechs Jahre alt.

Für Claudia kam die Trennung aus heiterem Himmel. „Michael hat sich eine Lederjacke gekauft“, hatte sie meiner Frau ein paar Wochen vor der Trennung erzählt. Sie fand das merkwürdig. „Lederjacke? Da ist er gar nicht der Typ für.“ Aus ihrer Sicht war er auch nicht der Typ, der sich trennt. Die Lederjacke war ein letztes Warnsignal, wenn es nicht sogar schon zu spät war. Michael hat seine Familie gegen eine jüngere Frau und eine Lederjacke eingetauscht. Aus und Schluss.


Matthias Heinrich

ist Niedersachse. Nach Jahren in Berlin ist er mit seiner Familie wieder in der Provinz gelandet – allerdings in der fränkischen. Im Vergleich mit seinen Kindern fiel ihm die Eingewöhnung deutlich schwerer. Inzwischen hat er sich dank seiner Kinder und des Fußballvereins an Schäuferla und Seidla gewöhnt. Mit dem bayerischen Schulsystem hadert er aber noch. Hier schreibt er unter Pseudonym.

Bild: F.A.Z.

Aber so einfach ist es natürlich nicht. Der Lederjacke gingen viele andere Zeichen voraus, die beide, Claudia und Michael, missachtet haben. Eine Trennung fällt in vermutlich 95 Prozent der Fälle nicht vom Himmel. Eine Lederjacke ist nie der erste Schritt. Dazwischen kommen viele Schritte, die – anders als eine Lederjacke – aber übersehen werden. Ganz oft sind es Worte, die fallen. Oder Worte, die eben nicht fallen, die unausgesprochen bleiben: verschwiegene Bedürfnisse, das Hinwegsehen über die Macken des anderen. So war es bei Michael. Ich kenne ihn seit vierzig Jahren. Über seine Gefühle hat er mit mir und vermutlich auch mit seiner Frau nie gesprochen.

Ich kann es nicht leiden, wenn mich jemand bekehren möchte

Wenn so etwas im Freundeskreis passiert, stellt man seine eigene Beziehung selbst auf den Prüfstand. Ich zumindest tue das. Wie steht es um unsere Zweisamkeit? Sprechen wir genug und vor allem auf angemessene Weise über uns, über Dinge, die uns bewegen oder am anderen stören? Die Frage muss ich ehrlicherweise mit Nein beantworten. Ich denke zwar, dass ich im Prinzip ganz gut über Emotionen sprechen kann, aber ich tue es zu selten. Warum, kann ich nicht sagen. Ich mache Dinge gerne mit mir selbst aus. So auch die Selbstreflexion nach der Trennung des befreundeten Paares. Mit meiner Frau habe ich noch nicht darüber gesprochen.

Wenn wir uns über unsere Befindlichkeiten unterhalten, geht das in neunzehn von zwanzig Fällen von meiner Frau aus. Sie macht viel Self-Care, liest Ratgeber und hört Podcasts. Wenn sie mit mir etwas besprechen möchte, habe ich meistens keine Lust dazu. Weniger ist es der Inhalt des Gesprächs als ihr dozierender Ton, der mich abstößt. Meine Frau hört, liest etwas und ist begeistert. Sie will das Gehörte, den Rat, ihre Erkenntnis sofort auf sich, auf uns, auf die Familie anwenden. Ich traue ihrem Enthusiasmus nicht, weil meiner Meinung nach viele Wege nach Rom führen. Außerdem konnte ich es schon seit der Kindheit nicht leiden, wenn mich jemand bekehren möchte.

Wir haben uns schon gegenseitig „Mama“ und „Papa“ genannt

Dabei besteht auch bei uns auf alle Fälle Redebedarf. Die Kinder nehmen in unserem Leben sehr viel Raum ein. Das ist normal, aber unsere Beziehung als Paar verkümmert, wenn wir sie nicht im Auge behalten. Ich habe es immer schon befremdlich gefunden, wenn sich Paare in Gegenwart der Kinder anstatt mit den Vornamen als „Mama“ und „Papa“ ansprechen. Leider tun meine Frau und ich genau das. Und zwar wirklich: „Papa, kochst du uns noch einen Kaffee?“ „Mama weiß doch bestimmt, wo dein weißes T-Shirt ist.“ Fürchterlich.

Wenn ein Paar so miteinander spricht, hat es in Sachen Zweisamkeit kapituliert. Wenn man im Familienalltag die Identität des Partners verschluckt, dann dreht sich alles um die Kinder. Das ist die Endstufe, dann ist alles egal. Dann ist es nicht mehr weit bis zur Lederjacke. Glücklicherweise haben wir beide das erkannt und – endlich mal – darüber gesprochen. Immerhin. Es hat uns beide gestört. Wir haben „Mama“ und „Papa“ weitestgehend aus unserem Wortschatz entfernt. Das fühlt sich besser an.

Eine Frage, auf die es keine Antwort gibt

Eine große Baustelle bleibt aber der Umgang mit Kritik. Auch hier macht der Ton die Musik, und der ist meistens falsch. Wenn meine Frau und ich uns in Gegenwart der Kinder kritisieren, klingt es fast immer wie ein Vorwurf. Damit kommen wir beide nicht gut zurecht, wir fühlen uns attackiert. Der falsche Ton sorgt für Überempfindlichkeit. In diesem Zustand gibt niemand gerne zu, etwas falsch gemacht zu haben, und geht zum Gegenangriff über. Und das sorgt für Frust. In einem solchen Moment habe ich mir wirklich schon die Frage gestellt: Wären wir noch zusammen, wenn wir keine Kinder hätten?

Diese Frage ist natürlich hypothetisch und unmöglich zu beantworten, weil aus ihr weitere hypothetische Fragen folgen: Wie wären wir denn als Paar, wenn wir keine Kinder hätten? Wo würden wir leben? Wie hätten wir die dreizehn Jahre unserer Elternschaft verbracht? Es ist müßig, darüber nachzudenken.

Ist das ein Setup, das glücklich macht?

Kinder sind das, was uns bereichert, aber als Paar trennt. Die Kinder sind dazwischen. Auf der anderen Seite sind sie aber auch das, was uns zusammenhält. Zwischen zwei Menschen gibt es eine Verbindung. Ein Seil, das reißen kann. Zwischen vier Menschen gibt es also sechs Seile. Jeder ist mit jedem verbunden. Zusammengeknüpft ist das eine Familie. Wie halten Eltern das Seil zwischen sich so unter Spannung, dass es weder erschlafft noch zerreißt? Das ist die Frage, auf die es keine klare Antwort gibt.

Mein Rat: Sprecht, verbringt regelmäßig gute Zeit zu zweit miteinander. Meine Frau und ich hatten aufgrund der räumlichen Entfernung von der Familie von Beginn an bei der Kinderbetreuung wenig Unterstützung. Darum haben wir uns einen Babysitter besorgt und das gemacht, was wir schon vor den Kindern gern gemacht haben. Wir sind regelmäßig ausgegangen, auf Konzerte, zum Essen oder zum Wandern. Neulich erst waren wir für eine knappe Woche zu zweit am Gardasee, darüber hatte ich hier schon geschrieben. Wer keinen Babysitter hat, spannt Familie oder Freunde ein. Man kann sich dabei abwechseln.

Wichtig ist, dass man sich immer wieder klarmacht, was man aneinander hat. Das ist in den meisten Fällen gar nicht mal so wenig, wenn man ehrlich ist. Mein Freund Michael hat seine Familie verlassen. Er wohnt jetzt in einer kleinen Mietwohnung im Nachbarort. Mit seiner Lederjacke, seine Freundin wohnt nicht bei ihm, sondern noch einen Ort weiter. Er sieht die Kinder jedes zweite Wochenende. Ist das ein Setup, das glücklich macht?

Noch sehe ich mich weit davon entfernt eine Lederjacke zu kaufen. Ich brauche auch keine. Meine Frau hat mir neulich zum Geburtstag eine Jeansjacke geschenkt. Immerhin.