Silvester: Lasst sie böllern! Verbot löst nicht Probleme

Es kommt wahrlich nicht häufig vor, dass die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die Linkspartei einer Meinung sind. Beim Böllern in der Silvesternacht aber sind sie es: Ein Verbot soll her! Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Es fängt an mit dem Krach, dann der viele Feinstaub, der Stress für Tiere, die Verletzten, die Toten; Szenerien, die Beobachter an den Ersten Weltkrieg oder an Aleppo denken lassen.

Kein Wunder also, dass auch Tier- und Umweltschützer, Ärzte, Feuerwehrleute und viele andere das Verbot wünschen. Mehr als 2,2 Millionen Unterschriften hat die GdP-Petition, in der ein Ende von „Sodom und Gomorrha auf unseren Straßen“ ge­fordert wird. In der Tat lässt sich nicht verleugnen, was die GdP beklagt: dass es seit Jahren Scheindebatten über ein Böllerverbot gibt und Einsatzkräfte währenddessen Leib und Leben riskieren müssen, weil man Böller als Waffen gegen sie einsetzt. Dieser Zustand ist unhaltbar, da gibt es nichts zu diskutieren.

Das gilt auch für Alkohol, Prostitution und AfD

Insofern könnte man tatsächlich meinen, dass die bunte Allianz von links bis Polizei alle Argumente auf ihrer Seite hat. Und doch ist es nicht so. Es ist eine Fehleinschätzung, dass man mit Verboten alle Probleme lösen kann. Das gilt nicht nur fürs Böllern, sondern auch fürs Fliegen, für Alkohol, Prostitution, unliebsame Mei­nungen oder die AfD. Ein Verbot von Flugreisen, Kreuzfahrten und Verbrennern führt nicht zur Rettung der Welt, ein Verbot von Alkohol nicht dazu, dass niemand mehr trinkt. Das Gleiche gilt übrigens für Can­nabis, nur ist es eine andere Frage, ob und wie man etwas aus guten Gründen Verbotenes legalisiert. Auch Pros­titution löst sich nicht in Wohlgefallen auf, wenn man sie vollends aus der Legalität drängt. Und Meinungen verschwinden nicht, weil man sie nicht mehr äußern darf. Ebenso wenig vergehen politische Gesinnungen und die Gründe dafür, nur weil man ihr Auffangbecken zerstört. Sie suchen sich einfach ein neues.

Das gilt für Böller: Ein Verbot löst nicht die dahinterliegenden Probleme. Wer das denkt, macht es sich zu leicht. Ein Beispiel liefert die Linkspartei, die im Zusammenhang mit dem von ihr geforderten Böllerverbot „staatlich erlaubte Chaostage“ beklagt: Die Gestalten aus dem linken Milieu, die stets zu Silvester Polizisten in Leipzig-Connewitz angreifen, tun das nicht, weil sie böllern dürfen. Sie tun es, weil sie die Polizei has­sende Gewalttäter sind. Ähnliches gilt auch für alle anderen, die den Jahreswechsel ausnutzen, um auf Po­lizisten, Rettungskräfte oder Mitbürger loszugehen und ihre Verachtung und ihren Hass gegenüber Staat und Gesellschaft zu demonstrieren.

Die Neujahrsnacht in Leipzig-Connewitz
Die Neujahrsnacht in Leipzig-Connewitzdpa

Natürlich nimmt man ihnen durch ein Böllerverbot zunächst einmal die Waffen, aber wahrscheinlich fänden sie andere. Vor allem jedoch bestraft man nicht die Chaoten, sondern jene, die keine Straftaten begehen und für die Böller und Silvesterraketen keine Waffen sind, sondern das, was sie sein sollen: eine Tradition, um das alte Jahr zu verabschieden und das neue Jahr zu begrüßen. Weder die Zweckentfremdung als Waffe noch andere Argumente wie etwa der Hinweis auf Unfälle durch sowieso ver­botene Feuerwerkskörper rechtfertigen ein Verbot, das die vielen Menschen einschränkt, die nur friedlich feiern möchten. Wollte man zudem alles verbieten, was für Natur oder Mensch nicht gesund ist, bliebe ein ziemlich freudloses Leben übrig.

Etwas anderes ist es, wenn immer mehr Menschen von sich aus auf Böller verzichten (ob nun aus Liebe zum Tier, zum Klima oder aus welchen Gründen auch immer) und diese womöglich einfach im Laufe der Jahre von der Bildfläche verschwinden. 1950 rauchten noch fast neun von zehn Männern, heutzutage sind es nur noch rund zwei von zehn. Wie den Zigaretten könnte es auch den Böllern ergehen – und zwar ohne Verbote.

Die Kölner Silvesternacht

Das bedeutet nicht, dass man die Missstände, die es vor allem in den Städten gibt, hinnehmen sollte. Ge­gen die Gewaltexzesse an Silvester muss mit aller Macht vorgegangen werden, und das nicht nur in der Silvesternacht selbst. In dieser Nacht offenbaren sich nur die Versäumnisse der vergangenen Jahre und zeigt sich spätestens seit der Kölner Silvesternacht besonders drastisch, was Merz über das Stadtbild äußerte. Man wird diese Probleme nicht beseitigen, indem man Böller verbannt, und auch nicht mit einem silvesterlichen Polizeigroßaufgebot, sondern indem man dafür sorgt, dass die alljährliche Diskussion nach den Silvesternächten nicht immer wieder nach wenigen Tagen ohne Ergebnis verstummt.

Die Stadtbilddebatte hat hier immerhin einen anderen Verlauf genommen als viele Debatten zuvor. Es sind nicht mehr nur einige wenige, die die Zustände beklagen. Auf was es nun ankommt, sind ein Umdenken auch auf der linken Seite des poli­tischen Spektrums und ein Ende der Untätigkeit an den anderen 364 Nächten im Jahr. Dann kann es womöglich auch ein Silvester mit viel Feuerwerk geben, aber ohne Randale.