Künstliche Intelligenz am Theater: Revolution? Ohne uns

Eine Horrorvorstellung: Man sitzt in seinem Auto und der Boardcomputer übernimmt wider alle Anweisungen das Kommando. Und es geht noch schlimmer. Oder man wird von einer elektronischen Passkontrolle anhand undurchsichtiger Datensätze zu Unrecht als Terrorist identifiziert.

Alles nur Schreckensvisionen? Auf der Bühne des Schauspiels Stuttgart kommen einem diese Szenarien aus Thomas Köcks neuem Stück „KI essen seele auf (ORPHEAI)“ bedrückend nah. Auch, weil der Autor schon gar nicht mehr aus einer menschlichen Perspektive schreibt. Stattdessen begibt er sich in die künstliche Intelligenz hinein, um ihre Allmachtsfantasien und Verführungsmanöver offenzulegen.

Nur hier und da zeigen sich noch Fehler in der perfekt konstruierten Software, wenn man auf Wendungen wie „variationen deiner adresse deines geburtsdatums bekommst du die / denn wirklich alle noch sortiert“ stößt.

Ansonsten ist in diesem kulturpessimistischen Text oft unklar, wer in den Maschine-Begegnungen spricht. Sind die an der Technik scheiternden Menschen echt oder doch nur Erfindungen von Siri, Alexa & Co.?

Alles in Dauerschleife

Um diese Ungewissheit zu veranschaulichen, hat sich Regisseurin Mateja Meded für Spiegel als Seitenwände entschieden. Sie multiplizieren, was wir sehen. Ursprung und Wahrheit ungewiss! Den Hintergrund bildet eine Projektionsfläche. Mal sehen wir sich wild permutierende Farbmuster, mal corallenartige Formen.

Alles ist in dieser lediglich als Dekor dienenden Filmschleife im Fluss, genauso wie die Hintergrundmusik aus Techno- und Elektrosounds. Passend dazu wandern auch die drei eine künstliche Intelligenz verkörpernden Darstellerinnen Therese Dörr, Celina Rongen und Silvia Schwinger dauerhaft auf der Stelle. Atemlos rauschen Satzkaskaden an uns vorüber.

Kein Innehalten wird gewährt. Dass dadurch wertvoller Text verloren geht und Monotonie entsteht, tut der Inszenierung nicht gut. Es zeugt aber von der krassen Überforderung durch KI. In seinen futuristischen Kostümen reißt uns diese neuartige Dreifaltigkeit von einem kruden Schauplatz zum nächsten.

Wie groß ist unsere Einsamkeit?, fragt man auf der Bühne, während im Hintergrund Profile von links nach rechts geswipt werden

Besonders heraus ragt dabei eine Szene über Love-Apps wie Tinder. „Digital Dating statt Digital Detox“, lautet die Devise. „Wie groß ist unsere Einsamkeit“, will man auf der Bühne wissen. Derweil werden im Hintergrund Profile von links nach rechts geswipt.

Zu sanfter Klaviermusik und einem melancholischen Song über Sehnsucht und Trennung tanzen zwei der Figuren im Walzerschritt über die Bühne, ein kurzer Moment trügerischer Intimität. Denn immer wieder schleichen sich wie in der gesamten Aufführung hölzerne Bewegungen in die Dynamik ein. Authentische Liebe dürfte man in diesem Cyberspace nicht finden.

Es ist die Frage nach der Wahrheit, die neben Köcks Werk ebenso andere Bühnenstücke zur KI aufwerfen. So waren uns in der Uraufführung von Elfriede Jelineks theatralem Requiem „Asche“ im Frühjahr 2024 an den Münchner Kammerspielen Avatare auf einer Leinwand begegnet: Die täuschten zwischen Klimawandel und Menschensterben den letzten Anschein einer vermeintlichen Lebendigkeit vor.

Die Überschreibung des gleichnamigen, von Kontrollverlust erzählenden Gedichts von Goethe, „Der Zauberlehrling“, die vergangenen Sommer am Badischen Staatstheater in Karlsruhe zu sehen war, hatte den Menschen bereits ganz abgeschafft.

Zwei Seelenlose imitieren Liebe

Während die Smart-Home-KI Schränke und Schubladen in einem Wohnzimmer öffnet, beginnt der von einem Darsteller anonym gemimte Putzroboter über seine Autonomie und Wünsche nachzudenken. Die Revolution der Maschinen ist Programm.

Ähnlich krude mutet eine Prophetie in Jan-Christoph Gockels phänomenaler Doppel-Faust-Premiere am Schauspiel Frankfurt an. Nachdem darin der titelgebende Wissenschaftler anfangs lediglich als Puppe am Arm von Mephisto gesteuert wird, erscheint die im Paket gelieferte, begehrte Helena als Android.

Zwei Seelenlose imitieren Liebe und Sex innerhalb eines patriarchalen Gefüges. Es läuft einem eiskalt den Rücken runter. Obwohl man innovative, ästhetische Zugriffe des Schauspiels auf die Sphäre der KI noch vermisst, setzt es sich also thematisch intensiv mit dem Technologieumbruch auseinander.

Einig sind sich die Theatermacher in der Dystopie: Der Mensch, der mit dem Netz und klügsten Apparaten das Paradies auferstehen lassen wollte, hat sich damit die eigene Hölle geschaffen.

Die Furcht ist bodenlos

Der Philosoph Byung-Chul Han behauptet in seinem aktuellen Essay „Sprechen über Gott“, dass KI nur zu zählen, aber nicht zu erzählen vermag. Illustriert hat dies mithin der Autor Hannes Bajohr. Mit seinem auf Basis von Sprachbots verfassten Prosa-Entwurf „(Berlin, Miami)“ legt er nahe, dass ChatGPT und andere Programme noch keine kohärenten Plots produzieren können.

Und morgen und übermorgen? Was passiert, wenn wir dann die Wirklichkeit nicht mehr von der Scheinwirklichkeit unterscheiden können? Sind wir nur mit der bodenlosen Furcht konfrontiert, die im von Köck anzitierten Filmtitel „Angst essen Seele auf“ von Rainer Werner Fassbinder mitschwingt?

Mateja Mededs luzide, jedoch streckenweise dahinplätschernde Inszenierung klingt mit Herbert Grönemeyers „Mensch“ aus. Den lakonischen Satz „Du fehlst“ haben wir alle noch im Ohr. Man kann ihn im schauerlichen Setting des Abends als Abgesang werten. Aber vielleicht deutet sich darin ebenfalls die vage Hoffnung an, dass das Humane sich doch bewährt, und zwar in der Kunst. Noch!