Früher Tupperwaren, heute Putzmittel: Verkaufspartys boomen

„Hallöchen!“, ruft Na­dine Pehlke, dann geht es schon ans Aufbauen. Im Wohnzimmer stellt sie ihren Campingtisch auf, bestückt ihn mit Mikrofasertüchern, Döschen, Putzmitteln, Zerstäubern und ­Pure-Air-Düften. Auf dem langen Holzesstisch verteilt sie Prospekte, Kugelschreiber und kleine Karten, auf denen die Frauen sich Notizen machen können. Einen Kaffee lehnt Pehlke ab, sie hat sich ihre eigene Flasche Cola light mitgebracht. Die Fahrt nach Liederbach lief gut, ein bisschen Stau gab es unterwegs, aber sonst: „Alles mega.“

Nadine Pehlke verkauft Putzmittel im Direktvertrieb. Sie lebt im Kreis Germersheim in der Pfalz (was nicht zu überhören ist), fährt durchs Land und stellt bei Verkaufspartys die Produkte des Unternehmens vor, für das sie als Selbständige arbeitet. Die Arbeit als Verkaufsberaterin ist nicht ihr einziger Job: Am Vormittag führt sie ein Nagelstudio, abends und an den Wochenenden preist sie Putzmittel an. „Mir macht das nichts aus“, sagt sie. „Ich liebe meine Arbeit.“

Verkaufspartys in deutschen Wohnzimmern, so wie damals zu besten Tupperware-Zeiten, die gibt es noch? Ja, und zwar gar nicht selten. Die Direktvertrieb-Branche brummt, der Onlinehandel kommt ihr nicht in die Quere. Die Sehnsucht, sich von jemandem im eigenen Wohnzimmer Staubsauger, Tierfutter oder Lippenstifte vorführen und verkaufen zu lassen, ist ungetrübt.

20 Milliarden Euro Umsatz macht die Branche

Mehr als 907.000 Menschen arbeiten in Deutschland als Selbständige in der Branche. Der Umsatz liegt bei 20,89 Milliarden Euro im Jahr und ist zuletzt – zwischen 2022 und 2024 – um 2,8 Prozent gestiegen. Die Prognose für 2025 sieht laut Bundesverband Direktvertrieb Deutschland sogar noch besser aus: Auf ein Plus von 4,8 Prozent hofft der Verband. Dass fast nur Frauen im Direktvertrieb arbeiten, ist ein Mythos: Mit 52 Prozent Frauen und 48 Prozent Männern ist das Verhältnis recht ausgeglichen. Dem Direktmarketing geht es gut, das lässt sich wohl ohne Zögern sagen. Andere Branchen wären froh, würden sie so gut dastehen.

Bei Marion, 60 Jahre alt, Vertriebsassistentin, die zur Verkaufsparty eingeladen hat, klingelt es jetzt. Andrea und Katja sind da, zehn Minuten zu früh. Eigentlich wollten sie zu Fuß laufen, doch das Wetter ist garstig, deshalb haben sie das Auto genommen. Darf’s erst mal ein Cappuccino sein? Oder ein Latte Macchiato? „Ich hätte auch ein Sektchen“, ruft Marion von der Küchenzeile aus. Dann stellt sie Stollen, Cantuccini und Lebkuchen auf den Tisch. Da klingelt es schon wieder.

Für Marion wird sich der Abend lohnen. Denn wer eine Verkaufsparty organisiert, wird mit Prämien und Rabatten belohnt. Und wenn sich am Ende des Abends drei Personen finden, die sich bereit erklären, eine eigene Party zu veranstalten, gibt es noch mehr Prämien und Prozente. Oder wenn der Umsatz besonders hoch ist. So wird das Geschäft angekurbelt.

Auf den Spuren der „Tupperkönigin“ Brownie Wise

Neun Frauen, zwischen 50 und 68 Jahre alt, werden es am Ende sein, die sich von Nadine Pehlke Putzmittel und Putzgeräte zeigen und verkaufen lassen. Die eine arbeitet als Verlagskauffrau, die andere als Förderschullehrerin, auch eine Tierheilpraktikerin ist darunter. In Rente gegangen ist bislang nur Heidi, sie war früher Lehrerin. Zwei der Frauen sind Verkaufspartyneulinge, die anderen schon „alte Hasen“. Männer kommen zu der Party keine. „Das ist meistens so“, sagt Beraterin Pehlke.

Ab und zu wird sie gemeinsam mit ihrem Mann zu Verkaufspartys eingeladen. Dann sitzt sie mit den Frauen meist zusammen im Wohnzimmer und erklärt ihnen, wie sie Böden oder Backöfen blitzblank bekommen, während ihr Mann draußen auf der Straße steht und den Männern zeigt, mit welchen Mittelchen man am besten sein Auto poliert.

Das Prinzip der Verkaufspartys hat eine alleinerziehende Mutter, die für sich und ihren Sohn hart schuften musste, in den Fünfzigerjahren erfunden: die „Tupperkönigin“ Brownie Wise. Die Amerikanerin hatte als Sekretärin, Kolumnistin und Verkäuferin in einem Modegeschäft gearbeitet – und nebenbei privat Haushaltswaren verkauft. Zu den Produkten, die sie anpries, zählten auch die pastellfarbenen Aufbewahrungsboxen aus Kunststoff des Unternehmers Earl Silas Tupper.

Berät und verkauft: Nadine Pehlke
Berät und verkauft: Nadine PehlkeAnjou Vartmann

Wise wurde klar, dass man den Hausfrauen erklären musste, was das Besondere an den Dosen war und wie man sie verwendet, darum organisierte sie eine erste „Tupperparty“. Die Mischung aus Damenkränzchen und Verkaufspräsentation schlug ein, der Verkauf zog heftig an. Earl Tupper erkannte das Talent von Wise, beförderte sie zur Vizepräsidentin von Tupperware Home Parties, dem Tochterunternehmen, das fortan den Verkauf der Produkte über Hauspartys vorantreiben sollte.

Aus der mittellosen, alleinerziehenden Mutter wurde eine glamouröse Person des öffentlichen Lebens, die sich einen pinkfarbenen Cadillac zulegte und den großen Auftritt genoss. Als erste Frau überhaupt hievte man Wise auf das Cover des Magazins „Business Week“. Ihr Geschäftsmodell bot den „Tupperladies“ große Chancen: Aus Hausfrauen wurden selbständige Mini-Unternehmerinnen. Mit dem Verkauf der Plastikdosen konnten sie Geld verdienen, das Leben als Tupperware-Repräsentantin brachte ihnen ökonomische Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein. Auf Nachahmer musste das Tupper-Unternehmen nicht lange warten. Der Siegeszug des Direktvertriebs hatte begonnen.

„Da kriegt ihr keine nassen Hände.“

In der Wohnung von Marion legt Na­dine Pehlke nun los. „Ich bin eine ehrliche Beraterin“, stellt sie sich den Frauen vor. „Ich schwatze euch nichts uff“, verspricht sie. Und dass sie ihnen auch nach dem Abend, wenn sie Fragen zu den Produkten haben, weiter mit Rat und Tat zur Seite stehen werde. „Ruft einfach an oder schießt mir ’ne Whatsapp durch.“

Pehlkes Produktpalette ist groß. Und jedes Produkt hat seinen eigenen marktschreierischen Namen. Da ist der I-Drop, der ein wenig aussieht wie eine riesengroße Klobürste. Das „Rotationswischsystem“ kostet inklusive 500 Milliliter Putzmittel und Fasertuch 179 Euro. „Da müsst ihr euch nie wieder bücken“, preist Pehlke ihn an. „Da kriegt ihr keine nassen Hände.“

Mit Drink: Zwei potentielle Kundinnen prüfen die Qualität der angebotenen Putzlappen.
Mit Drink: Zwei potentielle Kundinnen prüfen die Qualität der angebotenen Putzlappen.Anjou Vartmann

Sie hat auch den Alleskönner dabei: einen Universalreiniger, der zu den „Topsellern“ des Unternehmens zählt, für das sie als Verkaufsberaterin unterwegs ist. „Der ist unser grünes Gold, der kann alles, außer Kalk.“ Das Basic-Allround-Paket mit einem Liter Alleskönner, Alleskönner-Sprühflasche und Universalputztuch kostet 49,90 Euro. Das klingt erst mal nach viel Geld, „aber das hält ewig“, verspricht Pehlke. „Mehr als zwei, drei Spritzer braucht ihr nicht.“ Ökozertifiziert ist das Putzmittel außerdem. Und duftet fein. „Ihr dürft alle mal riechen“, sagt die Verkäuferin, dann macht das Fläschchen die Runde.

„Mit Nadine habe ich ein gutes Gefühl“

„Das ist mega.“ „Das geht ruckizucki.“ „Das ist geil.“ „Da kann man sich free fühlen.“ Pehlke spart nicht mit Lobpreisungen, wenn sie über die Produkte, die sie verkaufen will, spricht. Sie sagt aber auch: „Ich stelle euch nur vor, wovon ich wirklich überzeugt bin.“ Einmal zum Beispiel sollte sie einen neuen Sanitärreiniger verkaufen. „Der hat gestunken, den biete ich doch nicht an.“

Die Tochter von Marion serviert jetzt Kürbissuppe. Superrezept, sind sich am Esstisch alle einig: eine Hälfte Kürbis, eine Hälfte Tomaten, das macht es frischer. Und Aperol Spritz gibt es nun auch. Wer keinen Alkohol mag, kann auch einen Bitterino trinken. Karin geht kurz raus auf die Terrasse, eine rauchen.

Fensterputzen: Party mit Warenprobe
Fensterputzen: Party mit WarenprobeAnjou Vartmann

Von den Frauen wird Pehlke, die Verkaufsberaterin, mit Fragen gelöchert: Wie bekommt man Terrassenfenster am besten sauber? Womit gehen Zahnpastareste am besten weg? Wie reinigt man die Toilette? Dann geht es zu Marions Küchenspüle, die braune Flecken hat. „Das kommt von Kaffee- und Teeresten“, beichtet sie. Pehlke greift zum Duo Pad Hurricane („das leistungsstarke Spülpad mit integriertem Schwamm“, heißt es im Katalog) und spritzt etwas Creamex Soft („ergiebige Reinigungspaste mit Poliertonerde und hochwertigem Bienenwachs“) in das Becken. Dann scheuert sie los. „Komm, Nadine, gib alles“, wird die Verkaufsberaterin angefeuert. Das Ergebnis? „Schon viel besser“, loben die Frauen.

„Ich bin eigentlich gar kein Putzteufel“, sagt Katja, die Tierheilpraktikerin. Sie hat früher schon einmal an einer von Pehlke organisierten digitalen Verkaufsparty auf Whatsapp teilgenommen, nun will sie wissen, „wie das old school abläuft“, darum ist sie zu Marion gekommen. „Mit Nadine habe ich ein gutes Gefühl, die quatscht mir nichts auf“, sagt Katja. „Aber klar: Man wird beeinflusst.“ Doch die Produkte, die am Abend vorgestellt werden, gefallen ihr: „Sie helfen, dass das Putzen schneller geht, das finde ich gut.“

Für Karin war es heute die allererste Verkaufsparty überhaupt. An den Hype um die Tupperpartys vor vielen Jahren kann sie sich noch erinnern. „Damals habe ich in Vollzeit gearbeitet, da hatte ich dafür keine Zeit.“ Sie habe gemerkt, dass die anderen deutlich mehr Erfahrung mit solchen Verkaufsabenden haben. „Ich war ganz schön überfordert von den ganzen Lappen und Mitteln.“ Ein paar Fenstertücher und ein Reinigungs-Gel für den Backofen hat sie trotzdem bestellt. „Da probiere ich jetzt mal aus, ob das hält, was mir versprochen wurde.“

Nadine Pehlke ist mit ihrem Job „mehr als glücklich“. Sie sei ihr „eigener Chef“, könne sich ihre Zeit selbst einteilen, verdiene gutes Geld, habe viele Freiheiten. „Ich bin ein Mensch, nicht nur eine Nummer“, sagt sie. Vor kurzem wurde sie, weil ihre Verkäufe so gut waren, zu einer Reise nach Dubai eingeladen. Auch der Abend bei Marion hat sich für die Verkaufsberaterin gelohnt. Für mehr als 600 Euro werden Putzmittel bestellt. Brownie Wise wäre sicher stolz gewesen.