

Am allerwichtigsten ist festzustellen, wie groß die Beteiligung der Vereinigten Staaten am weltweiten Kampf gegen AIDS war – es waren mehr als 70 Prozent aller Gelder. Deswegen war der Schock so groß. Aber es gibt auch wieder bessere Neuigkeiten, und wir sind ein bisschen optimistischer, als wir es vor ein paar Wochen noch waren. Vergangenen Freitag haben die Vereinigten Staaten einen wenn auch verringerten, aber immer noch großen Anteil zum Global Fund (zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria) beigesteuert. Mit 4,6 Milliarden Dollar ist Washington immer noch der größte Geldgeber. Deshalb sind wir etwas weniger alarmiert. Aber natürlich sinken die Zahlungen, die die Welt bereitstellt für Gesundheit und Entwicklungshilfe insgesamt. Bei HIV geht es nicht nur um Behandlung und Medikamente, sondern auch um soziale Strukturen, marginalisierte Gruppen, das Schulsystem, umfassende Sexualaufklärung. Wie viel davon mittlerweile gestoppt ist, zeigt sich jetzt erst nach und nach.
Also gilt nach wie vor: Ohne die USA ist der Kampf gegen AIDS unmöglich?
Ich glaube, man muss immer bedenken, wie plötzlich diese Entscheidungen der amerikanischen Regierung kamen. Wir haben alle schon seit mehreren Jahren darauf hingearbeitet, dass mehr und mehr HIV-Programme auch von den Ländern selbst bezahlt werden. Und gerade als Antwort auf die neue Politik der Vereinigten Staaten haben besonders afrikanische Staaten klar gesagt, wir wollen weniger abhängig sein von Geldern von außen. Aber das ist jetzt zu abrupt. Deswegen setzt sich UNAIDS dafür ein, erst einmal genau zu erkennen, wo die größten Lücken auftauchen auf Länderebene, um dann zu schauen, wo genau externe Finanzierungsmittel besonders gut eingesetzt werden können.
Könnte man etwas zynisch auch etwas Positives in der Politik des amerikanischen Präsidenten Donald Trump sehen, weil sie mehr Aufmerksamkeit für das Thema erzeugt hat und die Unabhängigkeit der Empfängerländer schneller vorantreibt?
Ja, das könnte man natürlich, aber es ist schwierig, wenn man sich vor Augen führt, was das für die Bevölkerung und vor allem für besonders arme Länder und für besonders ausgegrenzte Gruppen bedeutet. In den vergangenen Monaten haben es die meisten Länder geschafft, die Behandlung von HIV-positiven Menschen weitgehend fortzuführen. Trotzdem sind ganze Systeme, die vor allem mit der Prävention von HIV in Verbindung gebracht werden, zusammengebrochen. Wie sich das auswirkt, wird man erst später sehen. Wir wissen, dass wir bei HIV besonders deshalb erfolgreich gewesen sind, weil wir große Systeme aufgebaut haben, die in den Gemeinschaften verankert waren. Weil wir wissen, dass viele der Menschen, die am stärksten von HIV betroffen sind, nicht in ein Krankenhaus oder in eine Klinik gehen, die von der Regierung bereitgestellt werden. Als Vereinte Nationen müssen wir immer daran denken, wie ist das schwächste Glied in der Kette betroffen? Und man sieht, dass sich diese Veränderung besonders auf die Schwächsten auswirkt.
Präventivmaßnahmen stehen oft besonders in der Kritik, wie etwa Trumps Bemerkung zu Kondomen zeigt, die in den Gazastreifen geliefert worden seien. Wie würden Sie das verteidigen?
Wir waren auf einem guten Weg, unser Ziel zu erreichen, AIDS als Gefahr für die öffentliche Gesundheit bis 2030 zu beenden. Das geht nur, wenn wir Neuinfektionen verhindern. Und zuletzt hatten wir in den vergangenen paar Jahren immer um die 1,3 Millionen Neuinfektionen, das ist im Moment unser Problem. Wenn sich das nicht ändert oder vielleicht sogar noch schlimmer wird, können wir alle Medikamente der Welt haben, können wir so viele Menschen wie möglich in Behandlung haben – wir werden aber nie ändern, dass wir so etwas wie eine Pandemie haben. Deswegen ist es so wichtig, dass Präventionsmaßnahmen da sind. Sie sind oft nicht besonders populär, weil es um Sex und Sexualität oder um Drogenmissbrauch oder um Sexarbeit geht, alles Dinge, die oft in konservativeren Gesellschaften einfach nicht angesprochen werden. Diese Präventionsprogramme sind jetzt am stärksten betroffen. 30 Prozent der Präexpositionsprophylaxe-Programme (PrEP) in Uganda waren plötzlich nicht mehr erreichbar für die Menschen. Die Bereitstellung von Kondomen in Nigeria ist um 55 Prozent gefallen. Das wird Auswirkungen haben darauf, wie viel mehr Menschen wir haben, die sich mit HIV angesteckt haben.
Wie hat sich die Situation bei Forschung und Medikamenten in diesem Jahr verändert?
Es ist fast ein bisschen schizophren. Auf der einen Seite ist da die Forschung, die so weit wie noch nie fortgeschritten ist in Sachen Impfstoffe gegen HIV. Aber im Großen und Ganzen fehlt das Geld, um das in großer Menge einzusetzen. Auf der anderen Seite gibt es eine katastrophale Situation, was Forschungsgelder angeht. Viele kamen von den Vereinigten Staaten, von amerikanischen Universitäten. Dort gab es einen totalen Einbruch. Viele Forschungsinitiativen fallen jetzt erst mal weg, da tut sich noch ein großes schwarzes Loch auf.
Die Ukraine hat auch mit steigenden HIV-Infektionen zu kämpfen. Welche Rolle spielen die zunehmenden Krisen?
Auf die Ukraine bezogen, muss man sagen: Hut ab vor der ukrainischen Regierung. In einer Situation, in der seit mehreren Jahren Krieg herrscht, hat es die Ukraine geschafft, ihre HIV-Programme mehr oder weniger erfolgreich weiterzuführen. Trotzdem hat das Land die zweitgrößte HIV-Epidemie in der Region und damit ein großes Problem. Im größeren Kontext: Natürlich besteht da, wo Krisen, Krieg und Not herrschen, auch immer die Gefahr, dass die HIV-Zahlen nach oben gehen. Wenn Menschen sich vor allem darum kümmern, ob sie in Sicherheit sind, ob sie etwas zu essen haben, ob ihre Kinder in Sicherheit sind, ist es sekundär, sich um Präventionsmittel zu kümmern oder zu einem HIV-Test zu gehen.
